das Kirchenjahr

10. Sonntag nach Trinitatis

*Die Kirche und das Volk Israel

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe II - Röm 11, 25-33

Liebe Gemeinde!
Der 10. Sonntag nach Trinitatis ist traditionell dem Gedächtnis der Zerstörung Jerusalems gewidmet.
Die christliche Kirche hat sich mit diesem Thema immer schwer getan. Bis zum Erscheinen der erneuerten Agende, des Evangelischen Gottesdienstbuches, vor rd. fünfzehn Jahren waren Perikopen vorgesehen, durch die man den Eindruck gewinnen konnte, dass die Zerstörung Jerusalems als Gottes Gericht über das abtrünnige Volk Israel zu verstehen ist, als Strafe dafür, dass es Jesus Christus nicht als den Messias angenommen hat.
Die Schlussfolgerung, die aus diesen Texten über viele Jahrhunderte gezogen wurde, war, dass das Volk Israel die Gnade Gottes verwirkt habe und auf ewig verdammt sei.
Aus diesem Bewusstsein heraus sind immer wieder Pogrome gegen jüdische Mitbürgerinnen und -bürger entstanden, bis hin zum grausamen Holocaust im Dritten Reich.
Dass dies nicht der Botschaft unseres Herrn Jesus Christus entspricht, drang erst in den letzten Jahrzehnten in das Bewusstsein der Christenheit. Karl Barth wies 1966 in seinem Ökumenischen Testament darauf hin, dass es letztendlich „nur eine tatsächlich große ökumenische Frage gibt: unsere Beziehung zum Judentum.“ (Karl Barth, Ökumenisches Testament, 1966)

Liebe Gemeinde,
die Christenheit hat Israel nicht abgelöst.
Es fällt uns vielleicht schwer, das anzunehmen, aber es ist wahr, dass wir die Heiden sind, von denen die Bibel spricht, und dass es allein durch die Gnade Gottes möglich ist, dass wir an seinem Heil durch den Glauben an Jesus Christus teilhaben können.
Wie gesagt, vor 15 Jahren geschah mit dem Erscheinen des Evangelischen Gottesdienstbuches eine kleine Revision der Predigttexte: manche der vorgeschlagenen Texte am 10. Sonntag nach Trinitatis wurden ersetzt oder es wurden ihnen Alternativen zur Seite gestellt, die einen anderen Aspekt beleuchten, nämlich die Erwählung des Gottesvolkes Israel oder auch die Annahme Jesu als Messias durch jüdische Zeitgenossen. Denn immerhin wirkte Jesus ja fast ausschließlich innerhalb des jüdischen Volkes, die 12 Apostel stammen alle aus dem jüdischen Volk, was auch für die errsten Christengemeinden gilt.
Die kleine Perikopenrevision aus dem Jahr 2000 ist wahrlich keine Sensation, aber immerhin ein Zeichen, dass langsam ein Wechsel in der Haltung gegenüber dem Judentum stattfindet.
Dabei hat man allerdings die Klage Jesu über Jerusalem, die wir vorhin gehört haben, als Evangeliumslesung belassen, und ihm nur einen Alternativtext, nämlich die Frage nach dem Höchsten Gebot, zur Seite gestellt.
Die neue Perikopenrevision, die in diesem Kirchenjahr erprobt wird, hat den Alternativtext allerdings wieder entfernt und nur die Klage über Jerusalem stehen lassen.
Der heutige Predigttext ist vor 15 Jahren eingesetzt und durch die neueste Perikopenrevision noch etwas beschnitten worden, was aber auch durchaus sinnvoll ist.
Ich lese den Text nun noch einmal – vielleicht hören wir ihn mit diesen grundlegenden Informationen schon etwas anders:
Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir mein Gewissen bezeugt im heiligen Geist, 2 dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass in meinem Herzen habe. 3 Ich selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu sein für meine Brüder, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch, 4 die Israeliten sind, denen die Kindschaft gehört und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen, 5 denen auch die Väter gehören, und aus denen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in Ewigkeit. Amen.
Paulus windet sich vor Schmerz, so scheint es. Er wünscht sich, verflucht und von Christus getrennt zu sein, so sehr leidet er darunter, dass das Volk Israel nicht teilhat an dem Heil durch Jesus Christus.
Das wäre ihm wichtiger als alles andere, obwohl es im Grunde ja ein Widerspruch zu sein scheint. Aber das ist es nicht: Paulus drückt damit die Bereitschaft aus, sich selbst zu opfern für das Heil des Volkes Israel, wenn es denn auf diese Weise möglich wäre.
Und er begründet seine Bereitschaft damit, dass das Volk Israel immer Volk Gottes ist. Sie sind seine Brüder, sie sind Kinder Gottes, so sagt er. Der Bund Gottes mit seinem Volk wurde niemals aufgekündigt, er besteht fort.
Und darum gehört die Torah auch weiterhin diesem Volk, und mit ihm der Gottesdienst, die heilige Pflicht, Gott zu loben und zu ehren mit Gesang und Gebet.
Was aber noch wichtiger ist: die Verheißungen, die wir überwiegend auf Christus hindeuten, gelten immer noch diesem Volk, das Gott sich auserwählte, und mit ihnen die Väter, Abraham, Isaak und Jakob. Alles bleibt unverändert bestehen.
Auch Christus gliedert sich in diese Tradition ein, ist Teil von ihr, entstammt diesem Gottesvolk und löst sich auch nicht von ihm.
Es ist nur so, und das führt Paulus dann in dem folgenden Text aus, dass um der Heiden willen – also um unseretwillen – das erwählte Gottesvolk zurückgehalten wird. Es wird gewissermaßen gebremst, indem ihm die Möglichkeit, Christus als den Messias zu erkennen, verwehrt wird.
Das ist aber Gottes Werk und liegt nicht an den Menschen. Und so sieht Paulus dies auch nicht als Strafe oder Bestrafung, sondern als eine freie Entscheidung Gottes, zu der er in seiner Souveränität natürlich auch berechtigt ist.
Und er sieht den Grund für diese Entscheidung darin, dass Gott allen Menschen die Möglichkeit geben will, das Heil durch Jesus Christus zu erfahren.
Am Ende wird dann auch das Volk Gottes, Israel, zu diesem Heil gelangen, und es wird seinen alten Platz einnehmen.
Dahinter steht die Erwartung, dass eines Tages die ganze Menschheit Jesus Christus als den Retter und Bewahrer annehmen wird. Wann und wie es dazu kommen wird, bleibt allerdings offen – auch dies liegt in Gottes Hand, der die Herzen der Menschen für die Botschaft des Evangeliums öffnen kann.
Aber er will auch uns dazu gebrauchen, und so ist es wichtig, dass wir nicht aufhören, von dem zu reden, was uns selig macht, denn erst „dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich“ (Mt 13, 43).

Liebe Gemeinde,
das Volk Gottes, Israel, ist also nicht verworfen, im Gegenteil. Es wird um unseretwillen zurückgehalten.
Gott steht zu seinen Verheißungen, und wir können nur froh und dankbar sein, dass es so ist. Denn wenn es nicht so wäre, wenn Gott das auserwählte Volk Israel verworfen hätte, dann müsste auch die christliche Kirche schon längst verworfen sein angesichts ihrer langen Geschichte der Verfehlungen, die immer wieder vom Streben nach Macht und Reichtum geprägt ist und zur Missachtung der Menschenwürde und des Rechts auf Selbstbestimmung führte und auch heute noch führt.
Wir können da zum Beispiel an die Kreuzzüge denken, aber auch und vor allem sollten wir an diesem Tag an die Judenverfolgungen im Dritten Reich erinnern, die, wenn auch nicht immer durch die Kirchen angestoßen, so doch von ihnen vielmals gebilligt wurden. Und im Grunde kann man schon sagen, dass die Verkündigung der Kirche dazu auch den Grundstein gelegt hat, die christliche Kirche also eine schwere Mitschuld trägt an der Ermordung der jüdischen Mitbürger.
Wo wären wir, wenn Gott nicht zu seinen Verheißungen und Berufungen stünde?
Und darum will ich auch kein Urteil fällen über das, was sich zur Zeit und schon seit vielen Jahrzehnten in Palästina, im verheißenen Land, ereignet. Ich kann nicht urteilen über die Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis, über die Missachtung von Menschenrechten, über die irrationale Angst, die die Menschen dort zu ebenso irrationalen Handlungen führt.
Wir können und sollen füreinander beten, ohne dabei überheblich zu werden. Denn es gilt ja auch uns; auch wir vergessen immer wieder, dass es Gnade ist, durch die wir zum Volk Gottes hinzugezählt werden, Gnade und nichts anderes. Gnade, die auch den anderen gilt.
Darum ist es wohl gut, wenn wir uns immer wieder daran erinnern: es ist die Liebe, die Gott treibt. Darum kam Jesus Christus in die Welt. Und wir sollten darauf achten, dass wir diese Liebe nicht mit Füßen treten, indem wir andere verdammen.

Liebe Gemeinde,
Paulus zeigt sich solidarisch mit dem Volk Israel bis dahin, dass er bereit ist, sein eigenes Heil aufzugeben. Aber er tut es dann doch nicht, weil er darauf vertraut, dass Gott zu seinen Verheißungen steht, und darum auch das Volk Israel zu seiner Vollendung führen wird.
Solch ein Vertrauen brauchen wir, wenn wir teilhaben wollen an dem Bau des Reiches Gottes, das trotz allem Anschein existiert und unsere Welt schon durchdringt – wenn auch noch nicht deutlich erkennbar.
Und vielleicht ist es nicht unbedingt der erste, aber ein sehr wichtiger Schritt, wenn wir die Trauer des Volkes Israel darüber teilen, dass Jerusalem zerrissen, der Tempel in Jerusalem zerstört und der Friede von der Stadt des Friedens und der Vollkommenheit weggenommen ist.
Denn das ist in der Tat genug Grund, traurig zu sein. Aber in der Trauer sollten wir dann natürlich nicht verharren, sondern mit einstimmen in das Gebet um Frieden, der gerade für diese Stadt, auf der auch heute die Verheißung Gottes liegt, so wichtig ist.
Und vielleicht denken wir auch beim Gebet des Vaterunsers an diese Stadt: „wie im Himmel, so auf Erden“, das erinnert nämlich daran, dass es Jerusalem sowohl im Himmel als auch auf der Erde gibt: das Buch der Offenbarung beschreibt das himmlische Jerusalem als die Stadt, in der Gott wohnt mit allen seinen Auserwählten und in der er alle Tränen von den Angesichtern abwischen wird, in der es keinen Tod mehr gibt.
Die Stadt Jerusalem wird von der Rabbinerin Eveline Goodman-Thau beschrieben als die Stadt, in der „die Erde zum Himmel reicht“ und in der „der Himmel die Erde küsst.“
So bleibt die Verbindung zu Israel auch durch unsere Vision von der Vollendung der Heilsgeschichte Gottes mit der Menschheit bestehen.
Möge uns dies immer wieder bewusst werden, wenn wir an Israel, das Volk Gottes, denken.
Amen
oder
Liebe Gemeinde!
Es ist nun ziemlich genau ... Jahre her, dass ich mein Theologiestudium begann. Ich hatte damals viele Bücher gelesen, meist Biographien von Missionaren, die irgendwo in den Urwäldern dieser Erde Pionierarbeit geleistet hatten. Durch sie hatten die Menschen das erste Mal überhaupt etwas von Jesus Christus gehört. Diese Pioniere waren meine Vorbilder, denen ich nacheifern wollte.
Im Laufe der Ausbildung wurde mir klar, dass Mission meist ganz anders aussieht. Der Missionar ist Mitarbeiter der Kirche, die bereits vor langer Zeit in dem fernen Land durch die Arbeit solcher Pioniere entstanden ist. Er muss sich in diese Kirche einordnen, muss dort seinen Platz finden.
Auch das konnte ich mir vorstellen, und ich hielt den Dienst eines Missionars immer noch für etwas Großartiges. Vor allem, wenn ich mir vorstellte, dass es in dem Land, in das wir kommen würden, sicher noch viele Heiden geben würde, die ich für das Evangelium gewinnen konnte.
Die ersten Jahre dort in Indien waren dann allerdings sehr ernüchternd. Ich musste mich davor hüten, Missionsarbeit in dem Sinne zu treiben, wie uns die Bibel davon erzählt, und wie auch viele jener Biographien beschrieben. Ich hätte mein Visum, meine Aufenthaltserlaubnis, damit aufs Spiel gesetzt. Dazu gab es viele Probleme mit den indischen Christen. Sie waren so ganz anders. Dinge, die uns wichtig waren, bedeuteten ihnen kaum etwas, und das, was wir für nebensächlich hielten, war ihnen um so wichtiger. Es war eine verkehrte Welt, und es dauerte lange, bis wir uns in dieser Welt zurechtfanden. Durch die Begegnung mit den Christen dort wurde mein eigenes Weltbild nachhaltig in Frage gestellt.
Die tägliche Begegnung mit den Hindus half mir, sie nicht als arme Wilde zu sehen, die das Evangelium brauchten, sondern in ihnen Menschen zu erkennen, die auf eine Kultur zurückblicken und aus ihr schöpfen können, die wesentlich älter ist als unsere eigene. Diese Menschen verdienten meinen Respekt, denn sie nahmen ihre Religion sehr ernst - viel ernster, als wir es hier in Deutschland mit dem Christentum tun.
War das richtig? Hatte ich nicht den Auftrag, Menschen für das Evangelium zu gewinnen? Hatte nicht Gott selbst mir diesen Auftrag erteilt? Musste ich nicht losziehen und auf den Straßen und vor den Hindutempeln das Evangelium predigen?
Wenn ich das getan hätte, wären wir sicher viel früher nach Deutschland zurückgekehrt. Man hätte uns dort nicht geduldet. Aber hätte ich dieses Risiko nicht eingehen müssen? Sind die Missionare damals nicht viel größere Risiken eingegangen?
Der Predigttext, den wir eben gehört haben, redet vom Plan Gottes. Paulus versucht, zu erklären, warum das Evangelium beim jüdischen Volk nicht denselben Erfolg hat wie unter den sogenannten Heiden. Er sieht die Ursache dafür darin, dass es ein Ende geben wird - ein gutes Ende offensichtlich, denn es sollen alle Heiden das Heil erfahren, und dann auch das Volk Israel.
Für Paulus war das eine realistische Vorstellung. Er sah, wie das Evangelium unter den Heiden Fuß fasste, wie es sich ausbreitete, einem Feuer gleich. Denn alle Menschen sehnten sich nach dem, was das Evangelium ihnen anbot: Liebe, Frieden, Gerechtigkeit. Darum ergriffen sie es. Es war für sie etwas ganz Neues, Erstrebenswertes.
Paulus stellte sich vor, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis alle Heiden Christen geworden wären. Vielleicht noch 50, allerhöchstens 100 Jahre. Und dann würde Gott alles zu dem guten Ende bringen, das er erwartete: das Reich Gottes würde errichtet werden. Das Volk Israel würde die Krone seines großartigen Heilswerkes sein, in dem Gott die Menschheit durch seine unergründliche Liebe verwandelte.
Paulus spürte, dass das Reich Gottes ganz nahe war. Aber die letzte Hürde konnte nicht genommen werden. Das Reich Gottes kam nicht, als die ganze damals bekannte Welt christianisiert worden war. Paulus hatte ja nur einen kleinen Teil der Welt kennen gelernt. Daraus hatte er seine falschen Schlüsse gezogen.
Kein Mensch kann wissen, was vor uns liegt. Aus dem, was geschieht, können wir zwar versuchen, abzuleiten, was in nächster Zukunft sein wird - aber selbst die Meteorologen haben ja trotz ausgefeiltester Technik immer noch ihre Probleme damit, nur das Wetter richtig vorherzusagen.
Was Gott sich vorgenommen hat, was unsere Zukunft bringen wird, können wir nicht wissen. Nur dies eine ist uns ganz gewiss: Dass er uns seine ganze, uneingeschränkte Liebe geschenkt hat. Diese Liebe möchte ich gerne weitergeben. Aber wieweit darf ich gehen, ohne dabei die Würde meines Gegenübers zu verletzen? Darf ich versuchen, einen anderen Menschen davon zu überzeugen, dass er die Liebe Gottes braucht?
Der Predigttext gibt darauf keine direkte Antwort. Aber er lehrt uns eins: Als diejenigen, die wir die Liebe Gottes erfahren haben und für uns auch in Anspruch nehmen können, dürfen wir nicht überheblich werden. Wir dürfen nicht auf unsere Mitmenschen, die unseren Glauben nicht teilen, hinabsehen. Wir müssen ihnen mit dem gleichen Respekt begegnen, mit dem wir anderen Christen begegnen. Jene sind nicht schlechter als wir. Es ist Teil des Planes Gottes, dass sie nicht unseren Glauben teilen.
Natürlich redet Paulus hier nicht von Hindus, Buddhisten, Moslems, Scientologen usw. Die kannte er nicht - viele Religionen gab es damals noch gar nicht. Paulus redet von denen, mit denen er fast täglich zu tun hatte: den Juden, dem Volk Israel, das sich Gott mehr als 1000 Jahre früher erwählt hatte, um es groß zu machen.
Die Christen, vor allem die Heidenchristen, also die, die nicht vom Judentum zum Christentum übergetreten waren, konnten mit den jüdischen Menschen nichts anfangen und begannen, sie zu verachten. 'Die haben Gottes Liebe abgelehnt', hieß es da. Oder: 'Sie sind es nicht wert, zu uns zu gehören, denn sie haben Jesus ermordet!' Paulus warnt vor so kurzsichtigen Verurteilungen. Denn Gott hat doch auch für dieses Volk eine Verheißung. Und niemand sollte die Verheißungen Gottes in Frage stellen.
Ich bin versucht, diesen Gedankengang des Apostels Paulus auszudehnen. Haben auch jene Religionen eine Verheißung Gottes, die Paulus damals noch nicht kannte, oder haben sie immer nur Götzenbilder angebetet? Waren sie immer in völliger Gottesferne, so dass es unsere Aufgabe wäre, sie zu Gott zu führen?
Ich glaube, dass alle Menschen eine Verheißung Gottes haben. »Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der Herr, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?« Ist dieses Wort des Propheten Jeremia nicht schon eine Verheißung? Und wenn Jesus sich dem römischen Hauptmann zuwendet und ihm seine Bitte erfüllt, indem er den Knecht des Hauptmanns heilt, dann tut er das aus Respekt für das Vertrauen, das dieser Götzenanbeter in Jesus setzt, und nicht erst, nachdem dieser sich von den römischen Göttern losgesagt hatte.
Gott liebt alle Menschen. Das ist nicht leicht zu akzeptieren, und doch haben wir es gestern in unserem Einschulungsgottesdienst ganz deutlich gezeigt. Da waren Christen und Muslime zusammen, um für die Schulanfängerinnen und -anfänger gemeinsam zu beten und ihnen einen guten Start in den neuen Lebensabschnitt zu wünschen. Unter den einzuschulenden Kindern waren vier nicht körperlich, sondern geistig Behinderte, die nun gemeinsam mit den anderen Kindern zur Schule gehen.
Es ist ein Versuch, deutlich zu machen, was die Verheißungen Gottes für die Menschheit bedeuten: dass wir uns nicht voneinander trennen dürfen, sondern aufeinander zu gehen müssen. Dass das, was in unseren Augen schwach ist, vor Gott stark wird.
Ja, es ist heute der Israelsonntag. Sicher wird heute viel über den Konflikt in Palästina oder Israel gepredigt. Aber sind wir überhaupt in der Lage, ein Urteil zu fällen? Ich glaube, dass wir dazu kein Recht haben.
Wir können nur versuchen, es hier an unserer Stelle besser zu machen. Konflikte zu vermeiden, das Aufkommen von Misstrauen zu verhindern. Gestern morgen war so eine Stunde, wo ich wieder einmal das Gefühl hatte: das Reich Gottes ist ganz nahe herbeigekommen.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Jesu Christe, wahres Licht (EG 72)
Gott der Vater steh uns bei (EG 138)
"So wahr ich leben", spricht dein Gott (EG 234)
Treuer Wächter Israel' (EG 248)
Wir wünschen Frieden euch allen (EG 433)
Der Friede des Herrn geleite euch (EG 434)
Gehe ein in deinen Frieden (EG 489)
Herr, wir bitten: komm und segne uns (EG 590)


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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Mt 5, 17-20

Die nachfolgende Predigt wurde über die Perikope Mt 5, 17-22, am 18. Sonntag nach Trinitatis gehalten.

Liebe Gemeinde,
es lässt sich ja noch nachvollziehen, wenn es heißt: „Du sollst nicht töten“ oder: „Du sollst nicht stehlen“. Damit haben wir keine Probleme, solche Gebote sind einzusehen.
Die zehn Gebote werden ja auch durch unsere staatlichen Gesetze weitgehend umgesetzt. Nur hat man da schon manchmal das Gefühl, dass hier Wege geschaffen wurden, seine Mitmenschen zu bestehlen, ohne das Gesetz zu brechen. Das ist dann allerdings nur für ein begrenzte Gruppe von Menschen möglich. Doch das nur am Rande.
Grundsätzlich stimmen wir, so denke ich, alle darin überein, dass die 10 Gebote vermünftig und richtig sind und eine gute Grundlage für ein friedvolles Miteinander.
Doch nun kommt Jesus mit seinen später so genannten Antithesen:
Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist... ich aber sage euch...
und dann zieht er erstmal ordentlich vom Leder. Allein der zornige Gedanke gegen einen Mitmenschen genügt, um bestraft zu werden. Das begehrliche Ansehen einer Frau ist gleichbedeutend mit Ehebruch. Und wenn man geschlagen wird, soll man nicht etwa zurückschlagen, sondern auch noch die andere Backe hinhalten. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie die Zuhörer da standen, immer fassungsloser wurden und sich sicher auch eine Menge von ihnen von ihm abwandte.
Wie kann er so etwas erwarten?
„Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten?“ So heißt es in einem Lied, das zumindest im Seniorenkreis meiner früheren Gemeinde mit großer Vorliebe als Geburtstagslied ausgewählt wurde.
Man darf doch wohl denken, was man will – niemand kann erraten, und niemand darf erraten, was in meinem Kopf vorgeht.

Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten,
sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen, kein Jäger erschießen.
Es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Ich denk' was ich will und was mich beglücket,
doch alles in der Still', und wie es sich schicket.
Mein Wunsch, mein Begehren kann niemand verwehren,
es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!

Und sperrt man mich ein in finstere Kerker,
das alles, das sind vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei, die Gedanken sind frei!

Drum will ich auf immer den Sorgen entsagen
und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen.
Man kann ja im Herzen stets lachen und scherzen
und denken dabei: Die Gedanken sind frei!


Die Intention dieses Liedes ist klar: Die Gedanken sollen einem über schlechte Zeiten hinweg helfen. Wer sich in einer niederdrückenden Situation befindet, denkt sich eben einfach etwas Schönes, und schon sieht alles wieder ganz anders aus.
Aber so einfach ist es leider nicht. Manche Situation kann einen so sehr bedrücken, dass da keine Kraft mehr ist, sich mittels der Gedanken darüber hinweg zu heben.
Es ist wohl wahr: kein Mensch kann die Gedanken erraten; und insofern sind sie Symbol der Freiheit.
Aber was ist mit Gott?
Natürlich kennt er unsere Gedanken.
Herr, du erforschest mich und kennest mich. Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne“ (Ps 139, 1f). So heißt es im 139. Psalm.
Jesus sieht unsere Gedanken in diesem Licht. Natürlich hat auch er nichts gegen erheiternde, aufhellende Gedanken, die einem den tristen Alltag etwas erträglicher machen.
Aber er sieht hier vor allen die Heuchelei, die hinter den bösen Gedanken steckt, die man zwar hegt, aber nicht ausspricht. Nach außen hin wahrt man den Anstand, innerlich aber brodelt es.
Unser Textabschnitt ist nur die Einleitung der Antithesen. Wenn es um das Ehebrechen geht, genügt ein begehrlicher Seitenblick, und schon hat man das Gesetz gebrochen.
Jesus will noch nicht einmal ein Tüpfelchen vom Gesetz wegnehmen. Alles bleibt bestehen, und das in einer drastischen Härte, wie wir es uns kaum vorstellen können – weit enger werden die Gesetze durch seine Worte gefasst, als es die Pharisäer selbst getan hatten.
Steht das nicht im Widerspruch zu der größten Errungenschaft der Reformation, der Rechtfertigung allein aus Glauben? Wie kann das zusammengehen: verbindliche Einhaltung des Gesetzes und das Heil, wie es uns durch Jesus Christus zuteil wurde – nicht, weil wir es uns verdient hätten, sondern allein aus Gnade?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diesem Problem zu Leibe zu rücken.
Zum einen: Jesus sagt zu Beginn, dass er gekommen ist, das Gesetz und die Propheten zu erfüllen. Man könnte nun daraus schließen, dass letztlich durch ihn die Erfüllung der Gesetze ein für alle mal erfolgt ist. Also gelten diese Worte nur bis zu seiner Auferstehung und Himmelfahrt, und kein bisschen weiter. Denn dann hat er ja alles erfüllt.
Damit wären wir aus dem Schneider. Alles, was er über die Einhaltung der Gebote in den Antithesen sagt, könnten wir dann getrost vergessen. Anstelle dessen könnten wir getrost mit in das Lied einstimmen: Die Gedanken sind frei, wer kann sie erraten. Gott wird uns da auch in Ruhe lassen.
Aber so leicht kommen wir wohl nicht davon.
Denn nach wie vor leben wir in einer Welt, die vom Tod gezeichnet ist – und damit von der Sünde, denn der Tod ist der Sünde Sold, also der Lohn der Sünde. Es wäre fatal, würden wir Jesu Leiden, sein Sterben und seine Auferstehung als Freibrief verstehen, der uns von jeglicher Verpflichtung gegenüber dem Gesetz befreit.
Es ist eher im Gegenteil so, dass wir gerade durch das Handeln Gottes in Jesus Christus noch viel stärker verpflichtet werden als zuvor.
Die Gedanken sind eben nicht frei. Sie prägen vielmehr unsere Haltung gegenüber unseren Mitmenschen. Wer über andere schlecht denkt, der wird sie auch entsprechend behandeln.
Das muss nicht unbedingt direkt geschehen. Oft ist es so, dass die Missachtung anderer über viele Ecken erfolgt. Man macht sich die eigenen Beziehungen zunutze, um dem ungeliebten Menschen zu schaden.
Für uns als Christen, als Menschen, die auf die Gnade Gottes vertrauen, kann und darf das aber nicht so sein. Denn Christen sehen in ihren Mitmenschen solche, die ebenfalls die Gnade Gottes verdient haben – und nicht das Todesurteil.
Darum: wer nicht bereit ist, die Gnade Gottes auch für seine Mitmenschen in Anspruch zu nehmen, der ist des höllischen Feuers schuldig, wie Jesus sagt.
Wer denkt, er könne denken, was er will, der denkt falsch. Denn er rechnet nicht mit Gott, der unsere Gedanken schon von ferne versteht.
Dabei sollten wir Gott aber nicht als Bedrohung verstehen. Früher wurden solche Texte gerne als Argument für den drohenden Zeigefinger herangezogen. Pass bloß auf, der liebe Gott weiß und sieht alles.
Es ist zwar richtig, aber es ist auch richtig, dass Gott nicht gleich den, der seine Gedanken nicht unter Kontrolle hat, mit einem Blitz erschlägt oder auf sonst eine Weise heimsucht.
Denn auch dann eröffnet er uns die Möglichkeit der Buße, der Umkehr. Eben: Jesus Christus erfüllt das Gesetz und ermöglicht damit für uns die Berufung auf die Gnade Gottes. Wir dürfen auch dann, wenn wir das Gesetz nicht einzuhalten in der Lage sind, bei ihm Zuflucht suchen und ihn um Vergebung bitten.
Nur: die Messlatte ist enorm hoch gelegt. Aus eigener Kraft kommen wir da nicht rüber. Auch wenn wir vor den Menschen schuldlos durchkommen, weil wir nicht gegen den Buchstaben des Gesetzes verstoßen haben und sie unsere Gedanken nicht lesen können: vor Gott kämen wir nicht durch.
Denn niemand kann von sich behaupten, dass er nicht schon gegen einen Mitmenschen zornig gewesen ist, oder einen anderen oder eine andere begehrlich angeschaut hat.
Es ist gut und richtig, wenn wir uns darum bemühen, diesen Maßstab auch zu erfüllen, selbst oder besser: gerade dann, wenn wir wissen, dass wir es nicht aus eigener Kraft schaffen. Gott honoriert unsere Bemühungen, er erkennt an, wenn der Wille da ist – und darum dürfen wir dann auch auf seine Gnade und Barmherzigkeit nicht nur hoffen, sondern auch mit ihr rechnen.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Dies sind die heilgen zehn Gebot (EG 231)
Und suchst du meine Sünde (EG 237)
Der Herr ist mein getreuer Hirt (EG 274)
Wohl denen, die da wandeln (EG 295)
Es ist das Heil uns kommen her (EG 342)
Ich steh vor dir mit leeren Händen (EG 382)


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