das Kirchenjahr

Gedenktag der Reformation

31. Oktober.

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe III - Gal 5, 1-6

Liebe Gemeinde!
Ich will frei sein von den Erwartungen anderer. Ich will nicht dies oder jenes tun müssen, nur weil andere es wollen.
Ich will frei sein, zu entscheiden, welchen Weg ich einschlage. Ich will meine Zukunft nicht von so etwas wie der Wirtschaft bestimmen lassen.
Ich will frei sein. Ich will nicht weiter Angst davor haben müssen, dass man mich gefangen nimmt, foltert und vielleicht sogar tötet.
Ich will frei sein in meiner Familienplanung. Ich will selbst entscheiden, ob und wann ich ein Kind bekomme.
Ich will frei sein von Hunger. Ich will jeden Tag zu essen haben.
Ich will frei sein in der Auswahl dessen, was ich esse.
Ich will frei sein von allen Geschwindigkeitsbeschränkungen. Ich will so schnell fahren können, wie es mir Spaß macht.
Ich will frei sein, überall hin zu reisen, wohin ich möchte.
Ich will frei sein von dem Zwang, jeden Tag arbeiten zu müssen.
Ich will frei sein, meinen Lebensunterhalt selbst zu verdienen.
Ich will frei sein von den Vorschriften, die mir meine Eltern ständig machen.
Ich will frei sein von dem Genörgele meiner Kinder, die mir immer wieder vorhalten, wie gut es doch ihre Freundinnen und Freunde haben.
Ich will frei sein von der Schule, denn das meiste, was einem da beigebracht wird, brauche ich später ja doch nicht.
Ich will frei sein, zur Schule zu gehen, damit ich viel lerne.
Ich will frei sein, den Zeitpunkt meines Todes selbst zu bestimmen.
Ich will frei sein, zu leben.
Ich will frei sein, in meinem Land für Freiheit und Gerechtigkeit eintreten zu können.
Ich will frei sein und dabei doch nicht losgelassen werden von denen, die mich halten, die mir Schutz und Hilfe geben.
Ich will frei sein...
Liebe Gemeinde, das sind viele verschiedene Aspekte des Wunsches nach Freiheit, und natürlich längst nicht alle. Sie lassen schon erkennen, wie schwierig das mit der Freiheit ist – manchmal widersprechen sich auch die Begründungen, oder führen in entgegengesetzte Richtungen.
Unterschiedliche Perspektiven führen automatisch zu unterschiedlichen Freiheitswünschen. Ein Mensch in einem totalitären Staat empfindet Freiheit ganz anders als ein Mensch in einem freiheitlich demokratischen Staat.
Paulus spricht in seinem Brief an die Galater von der Freiheit. Freiheit vom Gesetz. Es geht dabei um ein ganz konkretes Problem, nämlich die Frage, ob sich die christgewordenen Griechen in Galatien nun so wie die christgewordenen Juden auch beschneiden lassen müssen. Tatsächlich gab es damals Prediger, die dies meinten und forderten.
Paulus hält dagegen: wenn ihr etwas tut, was vom Gesetz gefordert wird, dann müsst ihr das ganze Gesetz erfüllen – und habt damit das verloren, was euch durch Christus geschenkt wurde: nämlich die Freiheit vom Gesetz.
Das Gesetz sollte eigentlich Gerechtigkeit schaffen – Gerechtigkeit vor Gott. Darin hatte es versagt, das war mit der Zeit offensichtlich geworden. Es war nie gelungen und würde nie gelingen, dass alle Menschen sich an das Gesetz hielten.
Wer nun seine Hoffnung auf das Gesetz setzt, hofft vergeblich.
Es wird immer klarer, dass Gerechtigkeit nicht durch Gesetze geschaffen werden kann. Vielleicht könnte man das noch in Bezug auf die zehn Gebote sagen – was wäre das wohl für eine Gesellschaft, die nur diese zehn Gebote kennt? - aber die Menschen vermochten eben nicht, es dabei genug sein zu lassen. Sie fragten natürlich danach, was es bedeutet, wenn es heißt: „du sollst nicht töten“, oder „du sollst den Sabbat heiligen“.
Jesus gab dazu Antworten in den Antithesen der Bergpredigt, provokative Antworten, die vielleicht erst deutlich machten, wie wenig möglich es ist, diese Gebote in Wahrheit einzuhalten.
Das Versagen der Menschheit ist offensichtlich, so wie es Gott in der Noah-Geschichte scheinbar ratlos erklärt: Der Mensch ist böse von Jugend an. Aber die Konsequenz dieser Erkenntnis ist nicht, die Menschheit zu vernichten. Dazu liebt Gott seine Schöpfung, ja, die Krone der Schöpfung, viel zu sehr, und darum hat er uns ja auch nicht aufgegeben. Das wurde und wird durch Jesus Christus, durch seinen Tod und seine Auferstehung deutlich.
Martin Luther hatte lange um diese Erkenntnis gerungen. Er musste das Evangelium, so wie er es erfahren und geglaubt hatte, gegen die Gesetze der Kirche durchsetzen, und das war alles andere als leicht. Es war auch für ihn ein langer Weg. Die Autorität des Papstes hat er lange Zeit respektiert – in den 95 Thesen ist ein Zweifel an der Autorität des Papstes jedenfalls noch nicht zu erkennen.
Doch später erkannte er, dass auch die Institution des Papstes schon lange missbraucht worden war, und löste sich darum auch von dieser Autorität.
Luther kämpfte für die selbe Freiheit, für die auch Paulus schon gekämpft hatte: die Freiheit die durch das Evangelium allen Menschen ermöglicht wird. Es ist im Grunde die Freiheit, die Gott uns zum Zeitpunkt der Schöpfung schon anvertraut hatte: die Freiheit, das Richtige zu tun und das Falsche zu lassen.
Es ist eine Freiheit, die sich nicht dadurch definiert, dass es keine Grenzen mehr gibt. Eher im Gegenteil. Es ist die Freiheit, die es einem ermöglicht, diese Grenzen selbständig zu erkennen, ohne dass einem andere es sagen müssen.
Gesetze sind immer Interpretation eines größeren Grundsatzes – so wie es mit den zehn Geboten etwa ist. Die Freiheit, die Gott uns schenkt, macht es möglich, auf diese Interpretationen zu verzichten. Wir wissen es durch den Glauben, wozu wir berufen sind.
Ich will frei sein... ja, wozu eigentlich?
Ich will frei sein, um Verantwortung zu übernehmen für andere Menschen, um anderen Menschen zu dienen, Frieden zu schaffen und Versöhnung zu bewirken.
Ich will frei sein, um dieser Welt ein freundlicheres Gesicht zu geben, um Sicherheit zu geben denen, die von mir abhängig sind oder die sich auf mich verlassen. Aber auch sie sollen nicht in dieser Abhängigkeit bleiben, sondern frei sein, ihr Leben in Verantwortung zu gestalten.
Freiheit – ja, das ist Verantwortung.
Paulus schreibt im 1. Korintherbrief: „Es ist alles erlaubt, aber nicht alles dient zum Guten“. Luther übersetzte das so: „Es ist alles erlaubt, aber es frommt nicht alles.“ (1. Kor 6, 12) Und Martin Luther hat es in seinem Traktat von der Freiheit eines Christenmenschen mit dieser These formuliert:
„Ein Christ ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christ ist ein dienstbarer Knecht in allen Dingen, und jedermann untertan.“
Untertan sein nicht im Sinne von kritiklos untergeordnet, sondern im Sinne von verpflichtet sein.
Freiheit darf nach christlichem Verständnis nicht auf Kosten anderer umgesetzt werden. Freiheit birgt in sich eine große Verantwortung.
Zum Beispiel: wenn wir die Möglichkeit haben, in unserem Land unsere Meinung frei zu sagen, dann sollen wir das nutzen, indem wir uns einsetzen dafür, dass andere Menschen, die diese Freiheit nicht haben, sie letztlich doch bekommen.
Wie weit man dabei gehen darf, ist eine weitere Frage, die sich nur durch eins beantworten lässt: den Glauben, der durch die Liebe tätig ist. Das ist der Maßstab unseres Handelns, die Liebe, so wie Gott sie uns gegenüber bewiesen hat. Liebe auch zu denen, die uns hassen und verachten, oder vor denen wir Angst haben, weil wir sie nicht kontrollieren können.
Glaube ist durch die Liebe tätig. Dies sichtbar werden zu lassen, das ist unser Auftrag, wenn wir aus diesem Haus hinaustreten in die Welt, die zunehmend bestimmt wird durch Aktien-Indizes. Wir haben Liebe dagegen zu halten, Liebe, die uns frei macht von den Gesetzen dieser Welt – auch von den Gesetzen der Marktwirtschaft, denen wir uns so schwer entziehen können.
Gebe Gott uns dazu Mut und Kraft.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ (EG 246)
Wir bitten deine Güte (EG 320, 7-8)
Nun freut euch, lieben Christen g'mein (EG 341)
Es ist das Heil uns kommen her (EG 342)
Such, wer da will, ein ander Ziel (EG 346)
Die ganze Welt hast du uns überlassen (EG 360)
O Durchbrecher aller Bande (EG 388, 1-2.5-7)
Herr, deine Liebe ist wie Gras und Ufer (EG 610)
Liebe ist nicht nur ein Wort (EG 629)


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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Ps 46

Die Predigt wurde über das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott” gehalten. Dafür wurden vor der Predigt die ersten beiden, nach der Predigt die letzten beiden Strophen gesungen.
Liebe Gemeinde,
Wenn wir so ein Lied singen wie das eben, dann kommt das je nach Alter wohl ganz unterschiedlich an. Für die Älteren unter uns ist es ein Bekenntnislied, das eng mit dem Reformationsfest verknüpft ist. Dazu steht man. Es ist auch ein vertrautes Lied, das unbedingt am Reformationsfest gesungen werden muss.
Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen“ - das steht auch in großen Buchstaben und weithin sichtbar auf dem Turm der Schlosskirche in Wittenberg, an deren Tür Martin Luther vor fast 500 Jahren die 95 Thesen angeschlagen hat, die letztlich zur Bildung der lutherischen Kirche führten.
Es geht in diesem Lied darum, zu der Kirchenspaltung, die sich damals ereignet hat, zu stehen.
Für die Jüngeren unter uns ist es etwas anders. Es dürfte wohl eher ein sehr merkwürdiges Lied sein, vor allem die Sprache ist merkwürdig. Wenn man „Wehr und Waffen“ hört, dann denkt man wohl eher an einen Schild und an ein Schwert oder Gewehr, irgendwie hat es jedenfalls mit Krieg zu tun, und der Gedanke, dass Angriff die beste Verteidigung ist, liegt dann auch nicht fern. Auf jeden Fall scheint es ja wohl um einen Kampf zu gehen.
Ich möchte heute versuchen, dieses fast 500 Jahre alte Lied etwas vertrauter zu machen. Darum ist es sicher gut, sich das Lied auch vor Augen zu halten, es also im Gesangbuch aufzuschlagen (EG 362 – wir singen ja ohnehin nachher noch die letzten beiden Strophen).
Zunächst einmal: wir sehen neben der Nummer den Hinweis: „Nach Psalm 46“. Martin Luther, der dieses Lied geschrieben hat, hat also einen Psalm nachgedichtet, und zwar den, den wir eingangs im Wechsel gebetet haben.
Psalmen, das sind hebräische Gedichte, die ursprünglich gesungen wurden, nur wissen wir heute nicht mehr, wie das wohl geklungen hat. Die Melodien wurden nicht mit überliefert. Viele haben sie aber wieder vertont, und da reiht sich auch das Lied „Ein feste Burg“ mit ein.
Der Psalm beginnt so: „Gott ist unsre Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Das finden wir mit anderen Worten in den ersten beiden Zeilen des Liedes auch wieder: „Ein feste Burg ist unser Gott,
ein gute Wehr und Waffen,
er hilft uns frei aus aller Not,
die uns jetzt hat betroffen.

Mit der Ausdrucksweise Luthers kommen wir heute aber nicht so gut klar. Da sind moderne Lieder natürlich viel einfacher zu verstehen. Doch wenn man sich um das Verstehen bemüht, dann erkennt man, dass viele dieser älteren Lieder eine ungeheure Kraft vermitteln können.
So gerne manche vielleicht auch die Waffen ergreifen wollen; das ist hier nicht gemeint. Das Lied ist kein Aufruf zum Kampf. Es macht vielmehr klar: Gott kämpft für uns. Er ist Wehr und Waffen. Wie er für uns kämpft, ist dabei aber erst einmal völlig nebensächlich. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird er sich wohl nicht mit Schwert und Schild ausrüsten. Gott hat andere Wege, zu kämpfen.
Martin Luther bezeichnet die Kampfweise schlicht als „gut“, „ein gute Wehr und Waffen“, sagt er. D.h. mit anderen Worten: wir dürfen darauf vertrauen, dass sich Gott für uns einsetzt, dass er uns verteidigt, dass er uns auf gute Weise hilft, was auch immer geschieht.
Die Not, von der Martin Luther redet, kennen wir nicht. Es gibt verschiedene Überlegungen dazu: manche meinen, dass die Osmanen, die mit ihrem Heer gefährlich nahe an die deutsche Grenze gerückt waren, gemeint seien.
Andere behaupten, Luther habe von der Pest geredet, die zu der Zeit viele Menschen heimsuchte.
Und wieder andere sehen in der Not die Auseinandersetzungen mit der römischen Kirche, die nicht nur mit Worten, sondern auch mit Waffen erfolgte.
Es gibt also genug Anlässe für das Lied, und man kann es darum eigentlich in jeder Situation singen, in der man das Gefühl hat, dass man von etwas Schlimmem bedroht wird.
Allerdings benutzt Luther eine sehr drastische, bildhafte Sprache. Er redet vom „alten bösen Feind“, womit eigentlich nur der Teufel gemeint sein kann, Satan, der den Glauben der Menschen immer auf's Neue herausfordert, um uns Menschen von Gott weg zu führen.
Jetzt meint er es ernst“, sagt Luther, und auch das sollten wir uns einmal bewusst machen: nicht immer ist das so. Es gibt Zeiten, in denen wir keine Not empfinden, in denen es uns gut geht. Da kommt kein alter böser Feind, da brauchen wir eigentlich gar keine Burg, niemanden, der uns verteidigt. Es ist ja alles in Ordnung.
Aber da müssen wir dann doch etwas vorsichtiger sein. Denn auch in solchen Zeiten neigen wir dazu, Gott zu vergessen. Denn es geht uns ja gut.
Manche sagen, dass gerade dann, wenn es keine äußere Not gibt, der Teufel ein leichtes Spiel hat und er sich gemütlich zurücklehnt. Wir erledigen das schon selber, was Satans Hauptanliegen ist: wir vergessen Gott.
Nun ist es heutzutage natürlich schon etwas komisch, überhaupt von einem Teufel oder von Satan zu sprechen. Gehört das nicht in die Märchenwelt?
In der Bibel wird Satan als ein Engel Gottes vorgestellt, der die Aufgabe bekommt, den Glauben der Menschen auf die Probe zu stellen. Später soll er dann zum Widersacher Gottes geworden sein, aber seine Macht ist nie so groß wie die Macht Gottes, denn letztlich bleibt er ein Geschöpf Gottes.
Aber das ist schon etwas problematisch, Satan auch als Geschöpf Gottes zu verstehen. Warum will Gott diese Seite in uns provozieren? Warum will er, dass unser Glaube herausgefordert wird?
Auf diese Frage gibt es eigentlich nur eine Antwort: Gott will uns immer neu auf sich selbst aufmerksam machen. Und weil er unsere Entscheidungsfreiheit nicht einschränken will, darum sucht er einen etwas merkwürdigen Weg. Wir werden immer wieder mit der Alternative konfrontiert, wie das Leben wäre ohne Gott.
Für Luther ist der alte böse Feind, der Satan, jedenfalls sehr real, und er beschreibt ihn in der ersten Strophe seines Liedes ganz eindrücklich: große Macht hat er, er ist sehr listig, und es gibt niemanden auf der Erde, der wie er ist.
Dagegen, so heißt es dann in der zweiten Strophe, können wir überhaupt nichts ausrichten. Schild und Schwert taugen da nicht. Den Schild kann der Satan in Null Komma Nichts durchdringen, und mit dem Schwert können wir sowieso gar nichts gegen ihn ausrichten.
Wir brauchen einen anderen, der für uns gegen diese Macht kämpft, und den beschreibt Luther dann auch in der zweiten Strophe. Wie ein großer Held wird er hier vorgestellt, von Gott selbst ausgewählt. Wer ist er? Die Antwort liegt schon fast auf der Hand: es ist Jesus Christus.
Luther bezeichnet ihn als „Herr Zebaoth“, und das meint: Herr der himmlischen Heere. Ihm unterstehen also riesige Heere von Engeln, wenn man so will. Das ist eine taugliche Streitmacht, die sich gegen den Satan stellen kann. Die Schlacht bekommen wir allerdings nicht wirklich mit – das spielt sich alles eher in einer Dimension ab, die wir nicht so ohne weiteres erfassen können.
Und so scheint es nun doch wie ein Kampf, mit dem wir eigentlich gar nichts zu tun haben. Aber eigentlich geht es doch immer wieder um uns selbst. Denn der Satan, der Versucher, kann uns jederzeit packen, wenn wir nicht auf die Macht Gottes vertrauen. Das ist es, was Luther eigentlich sagen will. Denn auch wenn wir uns körperlich nicht in jener Dimension bewegen können – unsere Seele kann es durchaus.
Für uns streitet der rechte Mann: Jesus Christus stellt sich vor uns, er schützt uns vor den Angriffen des Bösen. Das geht aber nur, wenn wir darauf auch vertrauen, und wie schnell kann es passieren, dass wir dieses Vertrauen dann doch verlieren.
Gott muss das Feld behalten“, sagt Luther - mit anderen Worten: Gott muss in diesem Kampf siegen, es geht gar nicht anders – aber das funktioniert nur, wenn wir daran glauben. Und wenn wir es nicht glauben, dann hat uns Satan schon fest im Griff.
In der dritten Strophe geht es noch wilder zu: „Und wenn die Welt voller Teufel wäre und uns sogar verschlingen wollte“ - wenn also die Not so groß ist, dass wir um unser Leben fürchten müssen und nichts und niemand zu sehen ist, der uns helfen kann – dann brauchen wir uns doch nicht zu fürchten. Denn wenn wir auf Gott vertrauen, werden wir eben doch durch die größte Not hindurch gerettet werden.
Wichtig ist dabei, sich dies bewusst zu machen: es geht durch die Not hindurch, nicht an ihr vorbei. Im 23. Psalm kommt das auf unvergessliche Weise zum Ausdruck und hat vielen Menschen in großer Not auch geholfen:
Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn du bist bei mir.
In der großen Not auf Gott vertrauen, das ist es, worauf es ankommt.
Die zweite Hälfte des dritten Verses klingt erstmal sehr merkwürdig:
Der Fürst dieser Welt,
wie sau'r er sich stellt,
tut er uns doch nicht,
das macht, er ist gericht':
ein Wörtlein kann ihn fällen.

Wenn man dichtet, muss man manchmal verkürzen, damit es mit dem Versmaß noch hinkommt. Das ist besonders bei Liedern nötig, denn man kann ja nicht für jede Strophe eine eigene Melodie schreiben. Dann wäre es kein Lied mehr. Darum klingt diese Strophe besonders merkwürdig.
Aber was bedeuten diese Worte nun? Ich gebe es mal ausführlicher, ungereimt, wieder:
Der Fürst dieser Welt, wie sauer er auch ist, kann uns doch nichts anhaben, denn er ist schon gerichtet: ein einziges Wort genügt dafür.
Aber welches Wort ist das? Luther lässt uns darüber im Unklaren. Ich sehe hier verschiedene Möglichkeiten: Es könnte „Christus“ sein. Oder auch „Liebe“. Oder: „Evangelium“. Oder: „Glaube“.
In jedem dieser Worte steckt natürlich viel mehr als nur das Wort. Aber das genügt, um die Oberhand zu behalten über dem Versucher, über dem Satan.
In der vierten Strophe knüpft Luther zwar an das Wörtlein aus dem dritten Vers an, indem er wieder vom Wort redet, aber jetzt ist ein anderes Wort gemeint. Hier ist es sicher das Evangelium.
Das war gewissermaßen die Errungenschaft der Reformation. Das Wort des Evangeliums, die gute Nachricht, die frohe Botschaft von der Liebe Gottes, war durch die Reformation wieder von allem Ballast freigeschaufelt worden.
Gottes bedingungslose Liebe war wieder sichtbar geworden, und daran soll niemand rütteln. Sie sollen es stehen lassen. Gott ist da, dieses Vertrauen kommt in der vierten Strophe besonders stark zum Ausdruck.
Und dann kommen die Worte, weswegen heute viele die vierte Strophe gar nicht mehr so gerne oder überhaupt nicht singen:
Nehmen sie den Leib,
Gut, Ehr, Kind und Weib;
lass fahren dahin,
sie haben's kein Gewinn,
das Reich muss uns doch bleiben.

Ich übertrage es nochmal ohne Reim:
Wenn sie den Leib nehmen, den Besitz, die Ehre oder auch die ganze Familie, dann soll das egal sein, denn darauf kommt es letztlich nicht an. Das einzige, worauf es ankommt, ist, dass wir am Ende doch Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen sind (Eph 2, 19).
Das hört sich ganz schön hart an, aber Luther redet hier vom Extremfall, den manche auch tatsächlich erleben. Gerade in Krisengebieten kommt es immer wieder vor, dass nur einer aus einer Familie überlebt. Er oder sie hat nichts mehr. Manche Ältere haben diese Erfahrung auch in unserem Land noch gemacht im und nach dem 2. Weltkrieg.
Interessant finde ich, dass Luther an die erste Stelle das eigene Leben stellt: „Nehmen sie den Leib“. Also ist man bereit, das eigene Leben zuerst aufzugeben, bevor alles andere verloren geht. Der Leib ist nämlich nicht alles.
Martin Luther betont, dass es vor allem darauf ankommt, der Seele keinen Schaden zuzufügen. Und das kann niemand, außer wir selber. Wenn wir nämlich Gott nicht mehr vertrauen, wenn wir unseren Glauben aufgeben, dann ist auch unsere Seele verloren. Wir mögen zwar unser Leben erhalten haben, aber was ist es wert, wenn die Seele keinen Ort mehr hat, an dem sie bleiben kann?
Jesus hat es mit diesen Worten zum Ausdruck gebracht: Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt und doch Schaden nimmt an seiner Seele? Die Antwort können wir uns denken: es hilft ihm gar nichts. Denn am Ende ist immer der Tod. Und dann können wir nichts mitnehmen von dem, was wir uns hier auf Erden gesammelt haben.
Die Seele aber bleibt, und es kommt darauf an, ihr die Heimat zu bereiten, in der sie dann auch bleiben kann, wenn unser Leib nicht mehr ist. Und das, so will Martin Luther uns sagen, ist das Reich Gottes, das wir uns heute zwar gar nicht so richtig vorstellen können, das aber in der Offenbarung des Johannes angedeutet wird:
Das Reich Gottes ist der Ort, wo Gott bei den Menschen ist, wo kein Tod mehr ist, keine Not, kein Hunger, kein Krieg. Es ist der Ort, an dem Gott selbst die Tränen abwischen wird von unseren Angesichtern. Da gibt es keine Trauer mehr. Dort freuen sich alle Menschen.
Das, so kann man wohl sagen, ist ein guter Ort für die Seele. Und darauf will das Lied, von dem wir gleich die letzten beiden Strophen singen werden, hinaus.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Herr Gott, dich loben wir (EG 191)
Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort (EG 193)
Ach bleib bei uns, Herr Jesu Christ (EG 246)
Verzage nicht, du Häuflein klein (EG 249)
Kommt her, des Königs Aufgebot (EG 259)
Wo Gott, der Herr, nicht bei uns hält (EG 297)
Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich (EG 351)
Ein feste Burg ist unser Gott (EG 362)


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Predigtvorschläge zu Reihe V - Mt 5, 1-10 (11-12)

Liebe Gemeinde,
Sie kennen sicher alle die Seligpreisungen. Sie stammen aus der Bergpredigt, so genannt, weil Jesus auf einen Berg gestiegen ist, um von dort die Predigt zu halten. Vermutlich ist der Berg nicht sehr hoch gewesen, aber das spielt auch nicht so eine große Rolle.
Jedenfalls konnten sich so viele Menschen um ihn versammeln und ihn sehen und hören. Die Seligpreisungen sind der Beginn der Bergpredigt.
Selig – was bedeutet das überhaupt? Konfirmandinnen und Konfirmanden haben damit große Schwierigkeiten, sie kennen den Begriff kaum noch. Selig, das meint so viel wie „wunschlos glücklich sein“. Das ist mehr als nur „glücklich sein“, es ist auch etwas anderes.
Wunschlos glücklich – das heißt, es sind alle Wünsche erfüllt, alle Sehnsucht hat ihre Erfüllung gefunden.
Und so bezeichnet Jesus Menschen, die eine bestimmte Eigenschaft haben. Es ist dabei wohl wichtig, zu bemerken, dass er nicht davon redet, dass es irgendwann so sein wird, sondern dass es so ist. „Selig sind“ - und nicht: „Selig werden sein...“. Die Menschen sind schon jetzt selig, weil sie wissen, was sie erwartet.
Da sind die geistlich Armen: sie erwarten alles von Gott. Sie vertrauen nicht auf sich selbst, sondern allein auf Gott. Das ist mit geistlich arm gemeint: sich ganz darauf verlassen, dass Gott für uns sorgt, dass er unsere Nöte und Ängste kennt und uns niemals alleine lässt. Menschen, die so geistlich arm sind, denen gehört das Himmelreich, und darum sind sie schon jetzt wunschlos glücklich.
Dann sind da die Leid tragenden. Es gibt viel Leid in dieser Welt, es gibt Grund zu tiefer Trauer, wenn z.B. ein Vater in der Mitte seines Lebens stirbt und seine Frau und zwei kleine Kinder zurücklässt. Es ist schweres Leid, wenn man seine Heimat zurücklassen muss und alles, was man dort aufgebaut hat, um woanders wieder von vorne zu beginnen.
Leid, das ist auch Krankheit, das ist die Gebrechlichkeit des Körpers, das Nicht mehr so Können, wie man will. Selig sind, die da Leid tragen: die Bereitschaft, das Leid hinzunehmen, ja, sogar anzunehmen als mir gegeben: eine Aufgabe, eine Herausforderung, an der ich wachsen und reifen kann – Gott entgegen.
Am Ende, und darum sind die Leid tragenden selig, steht der Trost Gottes, seine liebenden Arme, seine große Barmherzigkeit.
Die Sanftmütigen werden als dritte genannt, Menschen, die erkannt haben, dass mit Gewalt nichts zu erreichen ist, dass es auch nicht darauf ankommt, den eigenen Willen mit aller Gewalt durchzusetzen. Sanftmütige, das sind Menschen, die nicht verletzen, sondern die freundlich auch denen begegnen, die keine Freundlichkeit kennen, die verärgert sind. Den Sanftmütigen wird das Erdreich gehören. Ein merkwürdiger Gedanke. Ob ich mich darüber freuen soll? Was wollen Sanftmütige mit dem Erdreich anstellen? Nun, sie würden es wohl freigeben, so, dass niemand mehr Besitzansprüche stellen kann, sondern dass vielmehr die Natur aufatmet und die Menschen in ihr sich wieder wohlfühlen, anstatt verzweifelt zu versuchen, sie sich zu unterwerfen.
Dann sind da die, die nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Es gibt viele Menschen, die ungerecht behandelt werden. Sie müssen zusehen, wie ihnen ihr Land und ihre Arbeit genommen werden, damit andere noch ein bisschen mehr Besitz anhäufen können. Sie sind nicht mehr frei, über ihr eigenes Leben zu bestimmen, sondern müssen sich dem Willen anderer beugen. Menschen, die sich danach sehnen, dass diesen Gerechtigkeit widerfährt, das sind die, die hier angesprochen sind. Sie haben die Zusage, dass ihr Verlangen erfüllt wird – kein stilles Verlangen, sondern ein lautes Klagen.
Die Barmherzigen sind selig. Barmherzigkeit, das Erbarmen, nicht im Sinne von Mitleid allerdings, wird mit Barmherzigkeit belohnt werden. Barmherzige sehen die Not anderer und helfen ihnen wieder auf. Sie achten dabei nicht auf sich selbst, sondern sehen wirklich nur den anderen Menschen. So ist auch Gottes Barmherzigkeit groß geworden über uns: dass er unsere Not sieht und lindert, durch seine Barmherzigkeit.
Wer hat wohl ein reines Herz? Gibt es da überhaupt jemanden? Vielleicht ist es ein Kind, so wie Jesus gesagt hat: wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich gelangen. Ein reines Herz kennt keine böse Gedanken. Selig ist der, der das schafft, sein Herz rein davon zu halten. Gott wird sich solchen Menschen offenbaren, sie werden ihn sehen können. Darum sind sie selig.
Und dann sind da die Friedfertigen. So heißt es tatsächlich im Original: Menschen, die Frieden schaffen. Also sind keine Menschen gemeint, die Frieden halten, nach dem Motto: um des lieben Friedens willen gebe ich klein bei. Sondern es sind Menschen, die aktiv Frieden schaffen, die sich in Konflikte einmischen und helfen, nach Lösungen zu suchen, die beide Parteien wieder in Frieden zusammen führen. Die Friedfertigen werden Gottes Kinder heißen. Was für ein Geschenk. Wir nennen uns Gottes Kinder – aber sind wir auch friedfertig? Schaffen wir Frieden?
Die letzte Seligpreisung widmet sich denen, die um Gerechtigkeit willen verfolgt werden. Da merken wir etwas von der Reformation, denn Martin Luther erging es ja genau so: er kämpfte für die Gerechtigkeit Gottes, und nicht der Menschen. Er setzte sich dafür ein, dass alle Menschen erkennen, dass Gottes Gerechtigkeit nicht durch Menschen geschaffen wird, sondern allein durch Jesus Christus. Diese Erkenntnis ist wichtig, für sie einzutreten, auch bei uns selbst, ist unsere tägliche Aufgabe.
Ihnen gehört das Himmelreich, so heißt es. Das ist die gleiche Verheißung, die auch den geistlich Armen gemacht wird. Und damit schließt sich der Kreis der Seligpreisungen. Geistlich Arme – ja, sie werden heute vielfach belächelt, die frommen Menschen, die mit dem Finger nach oben zeigen, wenn sie davon erzählen, wie sie bwahrt wurden in den Zeiten des Krieges, den Jahren danach, und in vielen anderen Situationen, die ihr Leben bedrohten. Gott lenkt mein Leben, er hat es in seiner Hand. Er allein.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Herr Gott, dich loben wir (EG 191)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Lobe den Herren, o meine Seele (EG 303)
Gedenk an uns, o Herr (EG 307)
Es ist das Heil uns kommen her (EG 342, 1.6)
Ich habe nun den Grund gefunden (EG 354)
Warum sollt ich mich denn grämen (EG 370)
Selig seid ihr (

HE-EG Gesangbuch der ev. Kirchen in Hessen
599)


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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Röm 3, 21-28

Diese Predigt wurde 2016 gehalten und wurde im Blick auf die Bezüge zum seinerzeit bevorstehenden „Reformationsjubiläum” für die Zeit nach 2017 angepasst.
Liebe Gemeinde,
Heute blicken wir zurück auf xxx Jahre, die seit dem Thesenanschlag vergangen sind. Ein paar Schlaglichter:
• Die Gegenreformation, die eine friedliche Wiederherstellung der Einheit der Kirche ausschloss
• Die Zersplitterung der protestantischen Kirche abhängig vom Glauben des Gebietsfürsten
• Die Verbrennung von Ketzern und Hexen - auch in der evangelischen Kirche
• Der dreißigjährige Krieg, der viel Elend über die einfache Bevölkerung brachte - Brandschatzung und Mord
• Zerfall des Deutschen Reiches in Kleinstaaten
• Der Rationalismus und die Aufklärung
• Zwei Weltkriege
Und damit sind wir dann schon fast in unserer Zeit angekommen.
Die letzten Jahrzehnte waren für die Kirchen in Deutschland im Grunde verheerend, denn nach dem zweiten Weltkrieg hat das sogenannte Wirtschaftswunder auch die Frage aufgeworfen, wozu man eigentlich die Kirche noch braucht.
Viele Menschen hatten sich schon innerlich von ihr verabschiedet und vollzogen dann schließlich auch den letzten Schritt, indem sie aus der Kirche austraten.
Was früher noch selbstverständlich war, nämlich, dass Kinder getauft wurden, wird heute in manchen Familien lebhaft diskutiert und oft dann erst einmal „ausgesetzt”. So kam es zu einem deutlich erkennbaren Mitgliederverlust, der allerdings nicht die befürchteten finanziellen Folgen nach sich zog.
Aber der zunehmende Mangel an Interesse an der Kirche hat auch dazu geführt, dass immer weniger Menschen bereit sind, ihr Leben in den Dienst der Kirche zu stellen. Es gibt viel zu wenig Theologiestudierende, so dass auf absehbare Zeit viele Regionen ohne Pfarrerin oder Pfarrer sein werden.
Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, hat man nun mit viel Mühe und noch mehr Geld die 500. Wiederkehr eines Ereignisses, von dem Historiker heute sagen, dass es sich so, wie es geschildert wird, gar nicht ereignet hat, in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gebracht.
Man darf sich seit 2017 am 31. Oktober sogar auf einen fast bundesweiten Feiertag freuen. Der Kirchentag in Berlin und Wittenberg war ein ganz außergewöhnliches Ereignis, und auch sonst gab es unzählige Aktivitäten, die sich rund um das Gedenken der Reformation rankten.
Dazu kommt das Merchandising, wie man das heute so schön nennt: es gab und gibt alles Mögliche mit Luthers Konterfei drauf zu kaufen, sogar einen Playmobil-Luther gab es, der sich ausgesprochen gut verkaufte. (Vermutlich waren die Abnehmer überwiegend Pfarrämter, die die Figuren z.B. als Taufgeschenk u.ä. verwandten).
Wenn man den Personenkult nicht so sehr mag, kann man sich etwa Gläser oder Papiertaschentücher mit dem Schriftzug "Sola Scriptura" oder "Sola Gratia" oder anderen Schriftzügen aus der Reformation kaufen.
Dazu kommen zahlreiche verschiedene Lutherkalender, Tassen mit der Lutherrose drauf, natürlich auch Lesezeichen, z.B. mit "Ein feste Burg ist unser Gott", Kreuze mit Lutherrose, Reformationstee, Magneten für den Kühlschrank mit Lutherkopf oder Lutherrose drauf, Wartburgseife, Kerzen mit Lutherzitaten, usw.
Ich glaube, wenn Martin Luther heute unter uns wäre, er würde uns alle diese Dinge um die Ohren hauen genauso, wie er damals mit seinen Thesen den Ablasshandel dem Mainzer Bischof um die Ohren gehauen hat.
Heute erwartet man sich allerdings vom Kauf dieser Dinge natürlich keinen Sündenerlass mehr, darüber sind wir hinweg, weil wir der Ansicht sind, dass das mit der Sünde gar nicht so schlimm ist, wie es damals dargestellt wurde.
Aber da sollten wir dann doch nachdenklich werden.
Ich gebe zu, dass ich mit all diesem Brimborium nicht viel anfangen kann. Auch das Wort "Jubiläum" will nicht über meine Lippen, denn es gibt wahrhaftig keinen Grund zum Jubeln. Ein Gedenken, d.h. ein Erinnern an die Reformation mag durchaus angemessen sein, ja, es muss sein, aber unter völlig anderen Vorzeichen.
Denn noch immer ist es offiziell nicht möglich, dass Christen aller Konfessionen gemeinsam das Abendmahl feiern. Noch immer steht Trennendes nicht nur zwischen den beiden großen Konfessionen katholisch und evangelisch, sondern auch innerhalb der evangelischen Kirche zwischen verschiedenen Denominationen. Zwar ist man hier schon zur Gemeinschaft bereit, aber diese vollzieht sich dann auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner - alles andere, das, wozu damals Martin Luther und seine Zeitgenossen ausführliche Erklärungen verfassten, um ihre Standpunkte deutlich zu machen und die Unterschiede zur Diskussion zu stellen, das, worüber es zur überhaupt erst zur Trennung kam, wird ausgeblendet.
Doch diese ganze Problematik betrifft im Grunde nur die Kirchenleitungen.
Denn an der Basis gibt es schon lange eine sehr lebendige Ökumene, die deutlich macht, dass Christen nicht immer bereit sind, blind hinter ihren Hirten - womit ich jetzt die Kirchenleitungen meine - her zu laufen.
Es gibt da z.B. den Ökumenischen Kirchentag, der allerdings noch viel zu selten stattfindet. Es gibt die Charta Oecumenica, die das Streben nach der Einheit der Kirche zur Notwendigkeit erhebt.
Hier in Königslutter feiern wir am Pfingstmontag den sehr gut besuchten ökumenischen Gottesdienst, und es finden noch zahlreiche andere ökumenische Veranstaltungen statt, die uns deutlich machen, dass der Wille zur Einheit zumindest an der Basis vorhanden ist.
In diesen Zusammenhängen erkennen wir auch, dass es nur einen Hirten - nämlich Jesus Christus - und nur eine Herde (Joh 10, 16) gibt, nämlich die Gemeinschaft der Heiligen, von der wir im Glaubensbekenntnis sprechen.
Doch die Basis-Ökumene genügt nicht, so verlautete vor einiger Zeit vom leitenden Bischof der Vereinigten Evangelisch-lutherischen Kirche. Der Dialog auf leitender Ebene ist ebenso wichtig, weil dort die ganzen theologischen Probleme, die einer Einheit im Wege stehen, gesehen und erörtert werden können.
Und es ist ja klar: Die Kirchen können nur dann zusammen gehen, wenn die Leitungen der Kirchen dies auch unterstützen.
Aber da frage ich mich: warum wurden die ersten neun Jahre der sogenannten Luther-Dekade nicht stärker dazu genutzt, Gespräche, die zur Einheit führen, zu forcieren? Warum hat man sich nicht ein Ziel gesetzt, z.B. dass wenigstens Protestanten und römische Katholiken in Zukunft ab 2017 Abendmahlsgemeinschaft haben? Mit einer solchen Entwicklung hätten wir das Andenken an Martin Luther und alle anderen Reformatoren sicher mehr geehrt als mit all dem Merchandising und all den Veranstaltungen, die sich in dem 10. Jahr der Lutherdekade ereigneten.
Der Kirchenvater Clemens, der dritte Bischof von Rom, der noch im 1. Jahrhundert lebte, hatte schon mit Kirchenspaltungen zu tun. Damals gab es die verfasste Kirche zwar noch nicht, aber auch in Ortsgemeinden kam es schon mal zu Spaltungen, so auch in der Gemeinde in Korinth - ein Problem, mit dem ja auch Paulus schon einige Jahrzehnte zuvor zu tun hatte. Clemens schrieb dorthin:
So diene ein jeder … seinem Herrn Jesus Christus und gliedere sich ein nach dem Maß der Kräfte, die ihm von Gott verliehen sind. Liebe ist den Christen geboten, und Liebe kennt weder Hochmut noch Spaltung; sie lehnt sich nicht auf und sondert sich nicht ab, sondern tut alles in Eintracht.
Seit fast fünfhundert Jahren pflegen wir nun die Trennung, die dem Willen unseres Herrn ganz offenkundig widerspricht.
Zugegeben, es gibt viele gute Ansätze, auch auf leitender Ebene. Die im Jahr 1999 von der römischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund unterschriebene Erklärung zur Rechtfertigungslehre ist ein Zeugnis dafür. Aber auch sie endet mit der Feststellung, dass die Trennung noch besteht und nicht dem Willen unseres Herrn Jesus Christus entspricht.
Das Rühmen ist ausgeschlossen, schreibt Paulus, und damit hat er ganz Recht. Es gibt keine Errungenschaften, die wir auf unsere eigenen Fahnen schreiben könnten. Es ist alles Geschenk und Gnade Gottes. Ihm sei Dank in Ewigkeit.
Durch Gottes Gnade sind wir nun hier zum Gottesdienst versammelt und fragen erneut:
Was ist das Wesentliche christlichen Glaubens? Denn das ist die Frage, die Luther damals stellte und die wir uns immer neu stellen müssen.
Das Gesetz hat, so Paulus, jedenfalls nichts damit zu tun. Nicht, solange es uns glauben macht, dass wir durch das Gesetz Frieden mit Gott machen und vor ihm gerecht werden könnten. Es gibt nur ein Gesetz, das dies kann, und das ist das Gesetz des Glaubens.
Aber was ist das Gesetz des Glaubens? Ist es nicht ein Widerspruch in sich, von einem Gesetz des Glaubens zu reden?
Paulus stellt das Gesetz des Glaubens dem Gesetz der Werke gegenüber. Wenn er vom Gesetz der Werke redet, meint er die Liste von Regeln, der ein Mensch zu folgen hat – sein Leben lang – damit er vor Gott gerecht wird. Weil die Liste lang ist, und weil der Mensch nun mal Mensch ist und seinen eigenen Kopf hat, wird das nie ganz gelingen können.
Das ist eine tiefgreifende Erkenntnis, die auch schon das jüdische Volk zur Zeit Jesu längst gewonnen hatte.
Gott hat darum aber nicht aufgegeben, sondern uns einen neuen Weg eröffnet. Durch Jesus Christus ist es nun möglich, Frieden mit Gott zu machen und vor ihm gerecht zu werden. Hier ist das neue Gesetz, das kein Regelwerk, keine endlos lange Liste mehr umfasst, sondern nur eins von uns erwartet: dass wir ganz auf die Liebe Gottes vertrauen und uns ganz auf seine Gnade verlassen.
Martin Luther hat es in seiner „Summe christlichen Lebens“ so formuliert: „Wir sind es ja schuldig, als die Kreaturen ihrem Herrn und Schöpfer gehorsam zu sein, und dies dem mit allem Willen zu tun, der uns soviel Gutes gegeben und noch täglich tut, daß wir ihm nimmermehr genug dafür danken können.
[Martin Luther: Die Summe christlichen Lebens (1532). Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 4046 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 179)]
Rund ein Drittel der Menschheit sind Christen, so sagen uns die Statistiker. In Deutschland sind immerhin noch fast die Hälfte, rd. 50% der Bevölkerung, Christen (Stand 2022 - das sind 10% weniger als 2016!). Wenn wir die Worte Luthers ernst nehmen würden, müssten die Kirchen eigentlich Sonntag für Sonntag überfüllt sein.
Martin Luther hat auch dazu etwas in seiner Summe christlichen Lebens zu sagen:
Weit über und vor diesem allen hat Gott besonders gepriesen und herausgehoben diesen Dienst derer, die sein Wort hören und predigen, und dieses Stück so vor allen auf Erden auserkoren, daß es ihm besonders gedient heißen soll[, denn die andern Stücke geschehen (doch) den Menschen]. Darum hat er auch einen besonderen Tag in der Woche dazu geordnet, an dem man das allein tue[, obwohl man sonst die ganze Woche mit anderer Arbeit auch Gott dient, welche er an keine Zeit, oder besondere Tage gebunden hat].
Aber diesen hat er besonders ausgezeichnet und streng geboten, ihn zu halten, damit man Zeit und Muße dazu habe, und damit nicht jemand klagen möchte, er könne es infolge seiner Arbeit nicht tun noch dazu kommen. So hat er auch besondere Stätten dazu verordnet, wie bei uns die Kirchen oder Häuser, wo wir zusammen kommen. Ja, er hat den ganzen Priesterstand dazu gestiftet und erhalten, schafft und gibt, was dazu gehört, solch Amt zu treiben, wie z.B. allerlei Künste und Sprachen und mancherlei Gaben. Und es wäre wohl fein, wenn man es in die Gewohnheit bringen könnte, daß man zur Predigt gehen so nennte, daß es hieße: zum Gottesdienst gehen, und predigen hieße: Gott dienen; und wenn alle, die da beieinander sind, hießen: im rechten, hohen Gottesdienst versammelt.
” [Martin Luther: Die Summe christlichen Lebens (1532). Martin Luther: Gesammelte Werke, S. 4048 (vgl. Luther-W Bd. 6, S. 180)]
Der Gottesdienst ist also das Zentrum christlicher Gemeinde. Hier versammelt sie sich, hier hört sie Gottes Wort, hier dankt sie Gott für seine Gnade, hier schöpft sie Kraft für die Aufgaben des Alltags. Wo wird das heute noch erkennbar?
Das Gedächtnis der Reformation, das wir heute feiern, erinnert uns an die Trennung, unter der wir leiden. Es führt uns zurück auf die grundlegende Aussage, die nicht erst Martin Luther, sondern vor ihm schon viele andere immer wieder formuliert haben : allein durch Glauben seid ihr gerecht geworden, durch die Gnade Gottes, die am Kreuz Jesu Christi offenbar wurde.
So lasst uns einander lieben in Demut und Dankbarkeit, so wie Jesus Christus uns geliebt hat, auch über die Grenzen der Konfessionen hinweg, damit wir endlich dahin kommen, dass ein Hirte und eine Herde ist.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Nun lob', mein Seel, den Herren (EG 289)
Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst (EG 299, 2-3.5)
Es ist das Heil uns kommen her (EG 342)
Christi Blut und Gerechtigkeit (EG 350)


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