Der Name des Sonntags Judika leitet sich vom Beginn der lateinischen Antiphon
ab: „Judica me, Deus, et discerne causam meam de gente non sancta”
(Ps 43, 1; deutsch s. unten, wörtliche Übersetzung von „Judika” hervorgehoben)
Nach alter Sitte (etwa seit dem 8. Jahrhundert) beginnt an diesem Sonntag die eigentliche Passionszeit, indem
das Leidensgeschehen Jesu in den Mittelpunkt gerückt wird. Deswegen trug der Sonntag Judika auch den Namen
„Dominica Passionis”, also Passionssonntag.
Von dieser Tradition scheint die protestantische Kirche mittlerweile abrücken zu wollen, denn das typische Kennzeichen
für den Beginn der Passionszeit, der Wegfall des „Gloria Patri”, ist in der neuen Agende (dem EGb,
das im Jahr 2000 erstmalig erschien) erst ab dem Sonntag Palmarum vorgesehen.
Nach dem Sonntag Laetare, an dem die Hingabe Jesu bedacht wurde,
betont nun der Sonntag Judika den Gehorsam Christi genauso wie
unseren Gehorsam. Es geht also um unsere Antwort auf Gottes Handeln und Gebot, die
unaufgebbare Dualistik der Gnade Gottes: wenn sie nicht angenommen wird, kann sie
auch nicht wirken. Es ist die Freiheit der Selbstentscheidung, von Gott geschenkt,
die uns auch das Verderben bringen kann. Die Texte zeigen uns in teilweise grausamer
Härte, wie Gehorsam immer auch zum Segen führt.
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II - Hebr 13, 12-14Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. 13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen. 14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
Diese Perikope kann schon Kopfschütteln verursachen. Nur Vers 14 klingt vertraut - er wurde von Johannes Brahms
in seinem Deutschen Requiem vertont - aber sonst fragen wir uns, was es mit den Versen 12-13 auf sich hat. Vermutlich spielen sie darauf
an, dass Jesus auf Golgatha, einem Ort vor den Toren der Stadt Jerusalem, gestorben ist. Aber aus welchem Lager sollen wir gehen?
Dies wird erst deutlich durch den Zusammenhang des Textes. Und da kann es schon schwierig werden. Die Verse 10 und 11 sprechen
zunächst davon, dass wir einen Altar haben, von dem die Diener der Stiftshütte, also die Anhänger des
jüdischen Glaubens, nicht essen dürfen - sie haben kein Recht dazu. Die „Begründung” ist nun
außerordentlich merkwürdig: die Leiber der als Sündopfer geopferten Tiere sind aus dem Lager hinausgetragen
und dort verbrannt worden. Dort wurde also ein weiteres Opfer, ein Brandopfer, vollzogen? Sicherlich nicht im Sinne eines
Brandopfers - die Tiere wurden dort nur entsorgt.
Jedenfalls wird jetzt Jesus dazu in Analogie gesetzt: auch er wurde außerhalb der Tore, also vor dem Lager, geopfert. Darum ist unser
Altar außerhalb des Lagers, da, wo Jesus geopfert wurde. Wir sind aufgerufen, das Lager des Volkes Israel zu verlassen, um Jesus
nachzufolgen, was wohl in Lästerungen und Schmach resultierte, denn wer wendet sich schon dem „Abfall” zu?
Schließlich mündet diese merkwürdige Analogie in den vertrauten Vers 14: wir suchen die zukünftige
Stadt, weil wir hier keine bleibende Stadt finden. Dieser Vers kann natürlich als Konsequenz dessen gedacht sein, was
zuvor geschieht. Aber diese Analogie würde nun doch erheblich hinken: das Lager der Israeliten war während der
Wüstenwanderung ja auch nichts anderes als eine vergängliche Stadt, die abgerissen und an einem anderen Ort neu
aufgebaut wurde, bis schließlich das Ziel, der Zion, die Stadt Jerusalem gefunden worden war. Warum benutzt also der
Autor nicht das Bild der Stadt und des Tempels, von denen wir uns lösen sollen? Denn Jesus starb ja nicht vor den Toren
des Lagers, sondern vor den Toren der Stadt.
Diese Frage wird uns wahrscheinlich ewig beschäftigen. Es soll hier nur der Hinweis genügen, nicht zu leichtfertig das Bild dahin
biegen zu wollen, dass man das Vertraute, Sichere, Übersichtliche aufgeben solle, um sich dem Risiko auszusetzen. Denn auch das
Lager lässt diese Attribute vermissen. Es ist immer von der Ungewissheit begleitet, wie lange man an diesem Ort bleiben kann. Das
Zelt bietet keine Sicherheit, sondern nur Schutz vor Sonne und Regen, und das auch nur dürftig. Das Lager wird, durch den immer
wiederkehrenden Standortwechsel, nicht vertraut, sondern präsentiert sich jedes Mal in neuer Gestalt, mit einer unheimlichen oder
zumindest unbekannten Umgebung. Dieser Text gibt diese Interpretationsmöglichkeit also nicht her - oder man tut ihm Gewalt an.
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang hilft auch nicht wesentlich weiter beim Umsetzen dieser Perikope. Gehorsam
passt weniger als Nachfolge, um die es hier wohl geht. Nachfolge, die allen Widrigkeiten trotzt. Gehorsam nur in dem Sinn, als Nachfolge
und Gehorsam zusammengehören. Aber der Gehorsam steht nicht im Mittelpunkt des Predigttextes.
Umso schwieriger ist es nun natürlich, über diesen Text eine Predigt zu gestalten. Es sollte wohl
vermieden werden, diese implizierte Aufforderung, sich vom Volk Israel abzusetzen, in die Predigt einfließen zu lassen. Da
hat der Verfasser als Kind seiner Zeit gesprochen, in der das Volk Israel versuchte, sich von der Gruppe der Christen abzusetzen,
die bis dahin noch als jüdische Sekte angesehen wurden, wodurch auch die Juden Gefahr liefen, mit den Christen von den
römischen Herrschern verfolgt zu werden. Vielmehr sollte der Aspekt der Nachfolge in den Vordergrund gerückt werden,
die dadurch motiviert wird, dass wir auf der Suche sind. Dann könnte man tatsächlich auch das Bild vom Lager aufnehmen
als einem Bild des Unterwegsseins, aber Vorsicht! Dieses Bild kann unschlüssig werden, sobald man daran das Verlassen des
Lagers als Aufforderung zum Verlassen gewohnter, gesicherter Strukturen anschließt.
Also liebt Gott die arge Welt (EG 51)
O Mensch, bewein dein Sünde groß (EG 76)
O hilf, Christe, Gottes Sohn (EG 77, 8)
Du großer Schmerzensmann (EG 87)
Jerusalem, du hochgebaute Stadt (EG 150)
Lasset uns mit Jesus ziehen (EG 384)
Führe uns hinaus, allmächtiger Gott, zu dem Ort, da das Leben ist.
Hilf, dass wir die Tiefe deiner Weisheit erkennen, die im Kreuz deines Sohnes Jesus
Christus zum Ausdruck kommt. Vergib uns allen Kleinmut, den Mangel an
Risikobereitschaft und das Verlangen nach Sicherheit und Geborgenheit.
Wir vertrauen auf deine Kraft.
Darum bitten wir dich für die, die deiner Hilfe bedürfen:
sei du bei denen, die Unrecht erfahren um ihres Glaubens willen: hilf,
dass ihnen Gerechtigkeit widerfährt, und stärke ihren Glauben.
Hilf denen, die nichts aus der Geschichte lernen wollen, dass sie
dich erkennen, und nimm sie an der Hand, damit sie das Geschenk
deiner Liebe annehmen.
Schenke all denen die Erfahrung deiner Nähe, die alt geworden sind
und verbittert, weil sie nicht bekommen haben, was sie erwarteten,
und nimm sie an der Hand, damit sie frei werden von allem, was sie
bedrängt und ängstigt.
Dein Heil komme über alle, die krank geworden sind an Leib oder Seele, und nimm
sie an der Hand, damit sie deine Nähe spüren und sich in dir geborgen
wissen.
Offenbare deine Liebe denen, die vor sich selbst Angst haben, vor der Erkenntnis der
Wahrheit, die du uns durch das Evangelium schenkst, und nimm sie an der
Hand, damit sie mutig den Schritt tun können hinaus vor das Tor.
Nimm dich unser gnädig an. Rette und erhalte uns, denn dir allein gebührt
Ruhm, Ehre und Anbetung, dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist,
von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Amen