das Kirchenjahr

3. Sonntag nach Trinitatis

Das Wort der Versöhnung

Predigtbeispiele

Sie dürfen gerne meine Predigten benutzen und den Gegebenheiten anpassen. Wenn Sie einen meiner Predigtvorschläge in einem Gottesdienst verwenden wollen, teilen Sie es mir bitte mit. Eine Genehmigung müssen Sie dafür aber nicht abwarten.
Jegliche andere Form der Vervielfältigung, auch im Internet, ist nur mit meiner ausdrücklichen, schriftlichen Zustimmung erlaubt. Weisen Sie bei der Verwendung des Materials bitte auf die Quelle hin.

Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe I - 1. Tim 1, 12-17

Liebe Gemeinde,
Sind Sie gerne letzte? Denken wir mal kurz darüber nach: Z.B. als letzte an der Kasse im Supermarkt stehen. Das passt einem gar nicht, vor allem dann, wenn man eigentlich schon mit dem Essenkochen beginnen müsste, und die vor einem volle Einkaufswagen haben. Ärgerlich, dass nicht mehr Kassen geöffnet sind. Aber es dauert ja nicht lange, dann ist man schon vorletzter, und langsam rückt man auf, bis man schließlich erster ist.
Dafür muss man sich nicht anstrengen – es kommt von selbst und ist nur eine Frage der Zeit.
Anders ist es bei einem Wettkampf. Man geht nur ungern als letzter durchs Ziel. Am schlimmsten ist es, wenn man lange, lange nach dem vorletzten die Ziellinie erreicht.
Mit dem zweiten oder dritten Platz wäre man dann aber schon zufrieden. Bei den olympischen Spielen bekommt man auch auf dem dritten Platz noch eine Medaille. Das ist also schon was.
Am Besten ist es aber dann doch, erste zu sein, ganz vorne. Man hat etwas geleistet, man hat sich eingesetzt, alles gegeben, und das wird nun belohnt, wenigstens durch eine Auszeichnung, vielleicht aber gibt es auch noch ein Preisgeld. Dafür hat man lange trainiert.
Sicher würden wir uns auch alle freuen, wenn unsere Nationalmannschaft die Fußballweltmeisterschaft gewinnen würde. Denn bei so etwas fühlt man sich ja mehr oder weniger als Teilhaber an dem Sieg – unsere Mannschaft repräsentiert ja schließlich ganz Deutschland. Und dass sich damit viele identifizieren können, erkennt man an den zahlreichen Nationalflaggen, die wieder überall zu sehen sind.
Aber es gibt Situationen, in denen man durchaus froh wäre, nicht als Erster zu gelten. Eine solche Situation schildert uns der Apostel Paulus. Er ist der erste unter den Sündern. Schön, kann man da doch nur sagen, bloß gut, dass ich es nicht bin! Doch Paulus hat kein Problem damit, sich als der erste unter den Sündern zu bezeichnen. Als wolle er damit angeben.
Aber das ist es nicht. Es ist kein Wettkampf, von dem er redet. Es ist keine Leistungsschau. Es geht ihm nur darum, dass er Vorbild ist.
Aber Moment mal: Vorbild im Sündersein? Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein. Sollen wir etwa alle jetzt um die Wette sündigen?
Nein, wie gesagt, es geht nicht um einen Wettkampf. Paulus ist nicht Vorbild im Sündersein, sondern im Sündenbekennen.
Er, der große Apostel, schämt sich nicht, einzugestehen, dass er Sünder ist. Und das ist auch wichtig: Er ist es noch. Er sagt nicht: das war alles früher mal, ich war Sünder, jetzt aber bin ich sauber, ich habe keinen Dreck mehr am Stecken, ich bin ja schließlich Apostel. Er sagt: ich bin der erste unter den Sündern, nach wie vor.
Könnten wir uns da einreihen? Oder würde es uns nicht doch auch schwer fallen, zu sagen: ich bin ein Sünder – vielleicht nicht der erste unter den Sündern, aber sicher auch nicht der letzte?
Wir geben schon gerne mal zu, dass wir früher diesen oder jenen Fehler gemacht haben, aber man lernt ja schließlich aus seinen Fehlern, und jetzt wenigstens wollen wir uns makellos darstellen. Das ist wichtig, damit wir Anerkennung finden und respektiert werden. Andere erwarten diese Makellosigkeit.
Das ist in den vergangenen Monaten besonders deutlich geworden, als immer neue Missbrauchsvorwürfe in den Medien auftauchten. Die Reaktionen darauf waren unterschiedlich, und selten hieß es: ich bin ein Sünder und bekenne, dass ich auch damals gesündigt habe. Am Anfang stand vielmehr nahezu immer die Zurückweisung aller Vorwürfe.
Nach Paulus soll das ganz anders aussehen. Wir können uns nicht rausreden. Wir sind und bleiben Sünder, wobei es zunächst keine Rolle spielt, wie schwer die Sünden wiegen.
So sind wir nun alle Sünder. Wenn das so ist, dann bräuchten wir hier nicht zu sein, und dann wären wir auch nicht hier.
Paulus stellt sein Sündenbekenntnis darum in einen Zusammenhang, von dem auch wir wissen und weswegen wir heute eben doch hier sind:
Es ist desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Chistus Jesus ist. Christus Jesus ist in die Welt gekommen, um die Sünder selig zu machen.
Und hier kommt noch einmal das stolze: ich als erster! Christus hat an Paulus als erstem alle Geduld erwiesen – und er brauchte wohl viel Geduld. Paulus war ja ein strenggläubiger Pharisäer, der sich zu dem Zeitpunkt seiner Bekehrung nicht erst aufmachte, Christen gefangen zu nehmen, sondern es schon lange vorher vielfach getan hatte.
Bei der Steinigung des Stephanus saß er dabei und freute sich über den Tod dieses ersten christlichen Märtyrers. Wie viele andere Steinigungen, von denen in der Bibel nicht berichtet ist, er begleitet oder gar veranlasst hatte, das wissen wir nicht. Aber es ist gut denkbar, dass es deutlich mehr als diese eine war.
Ein richtiger Schurke also aus Sicht der Christen, der dennoch von Gottes Gnade und Barmherzigkeit eingeholt wird, dem seine Schuld vergeben wird.
Paulus ist der erste, sowohl als Sünder als auch als Gnadenempfänger. Nun könnte man zum letzten sagen: das will ich auch, da möchte ich wenigstens zweiter sein. Aber auch hier gibt es einen Haken. Denn Gnade und Sünde gehören zusammen. Nur wer schuldig ist, braucht die Gnade. Die Bitte um Gnade ist das Eingeständnis der Hilflosigkeit. Ich komme alleine nicht mehr zurecht.
Wollen wir uns wirklich so klein machen, so sehr erniedrigen?
Aber was wäre, wenn nicht? Wir müssten für uns in Anspruch nehmen, ohne Sünde zu sein. Können wir das wirklich?
Paulus begreift das Menschsein als ein Dasein unter der Gnade Gottes – Und indem er das begreift, erlebt er eine ungeheure Freiheit. Es ist die Freiheit, sich selbst als Werkzeug in der Hand Gottes zu begreifen. Er muss nicht mehr alles aus eigener Kraft schaffen, sondern darf sich getrost in die Hand Gottes legen und von ihm gebrauchen lassen. Dabei ist er natürlich selbst aktiv. Er zieht durch die Lande und verkündigt das Evangelium. Das ist sein Werkzeugsein, wenn man so will. Aber er lässt sich dabei nicht unter Druck setzen. Er entwirft kein Strategiepapier, um seine Arbeit möglichst erfolgreich zu gestalten. Denn er weiß: Der Stratege ist Gott selbst. Er benutzt Paulus, um seine Kirche zu bauen nach seinen Vorstellungen durch seinen heiligen Geist. Darauf kann sich Paulus verlassen. Und das ist eine ungeheure Erleichterung.
Paulus ist uns ein Vorbild. Wir dürfen uns ganz Gott ausliefern – so wie er. Dann fällt es auch nicht mehr schwer, zuzugeben, Sünder zu sein. Denn wir können uns darauf verlassen: Unser Gott ist ein gnädiger Gott, auch wir werden als Sünder von ihm Vergebung empfangen.
Und so können wir auch mit einstimmen in das Lob Gottes, das Paulus am Ende dieses Abschnittes erklingen lässt: Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit!

Für das Schuldbekenntnis zur Vorbereitung auf das Abendmahls habe ich heute eine andere Form gewählt als sonst. Sie haben am Eingang einen Zettel bekommen, auf dem die Worte des Schuldbekenntnisses stehen.*
Es ist ein alter Text, der aus der frühen christlichen Tradition stammt. Die Gemeinde betet füreinander um die Vergebung der Sünden. Wir wissen: Gottes Gnade ist uns zugesagt, wir empfangen sie durch Jesus Christus und erfahren sie, wenn wir gemeinsam das Abendmahl feiern. Indem wir einander unsere Schuld bekennen und füreinander Gott um Vergebung bitten, erfüllen wir den Willen Gottes.
So mögen wir gestärkt werden, das Evangelium zu bezeugen in Wort und Tat, durch Gottes große Barmherzigkeit.
Amen

* Gemeint ist das Sündenbekenntnis, wie es z.B. in der Komplet (NB-EG 786.2) üblich ist.


Liedvorschläge zur Predigt:
Allein zu dir, Herr Jesu Christ (EG 232)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
Jesus nimmt die Sünder an (EG 353)
Ich habe nun den Grund gefunden (EG 354)
Gott liebt diese Welt (EG 409)
Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit (EG 502)


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Predigtvorschläge zu Reihe III - Lk 15, 1-10

Zu Lk 15, 1-7:
Liebe Gemeinde!
Gott geht uns nach. So könnte man dieses Gleichnis vom verlorenen Schaf, das sicher zu den bekanntesten biblischen Texten gehört, wohl schnell auf den Punkt bringen. Gott gibt uns nicht auf, er hört nicht auf, nach uns zu suchen, wenn wir vom Weg abgekommen sind.
Das ist eine schöne und beruhigende Vorstellung. Eine Vorstellung, die auch zu einem Problem werden kann: All zu leicht geben wir uns mit der Position des verlorenen Schafes zufrieden. Und schon wird das Geschehen, auf das in dem Gleichnis hingedeutet wird, zur Vergangenheit, denn wir sind ja schon lange Teil der Gemeinde, wir gehören ja längst zur Herde dazu.
Es war irgendwann in unserer persönlichen Geschichte, dass wir verloren waren und Gott uns zurückgeholt hat: vielleicht liegt dieses Ereignis so weit zurück wie unsere Taufe, vielleicht gibt es solch ein Ereignis auch später noch einmal in unserem Leben, vielleicht sogar öfter, aber jetzt, da wir hier zum Gottesdienst versammelt sind, fühlen wir uns doch recht sicher und geborgen, zumindest was unseren Glauben angeht. Verloren? Das sind wir doch eigentlich nicht.
Und dann wird das Gleichnis zur Anfechtung, denn wir wiegen uns in Sicherheit, wir verlagern seinen Schwerpunkt, wir sehen es nur so, wie es uns angenehm ist, wir missbrauchen es, um uns selbst keine Unruhe zu machen. Darum lassen Sie mich noch einmal von vorne anfangen.
Wem erzählt Jesus dieses Gleichnis? Er erzählt es genau den Menschen, die sich sicher fühlen, die meinen, dass sie zur Herde Gottes gehören, dass nichts ihnen schaden kann, weil Gott, der gute Hirte, auf ihrer Seite ist. Und weil ich mich gerne zu diesen Menschen zählen möchte, darum wird dieses Gleichnis für mich ziemlich beunruhigend. Denn es erzählt mir, dass der Hirte weggeht, mich allein lässt. Zwar bin ich zusammen mit den anderen, die ihm immer treu gefolgt sind, so wie ich, aber er kümmert sich um das eine, verlorene, das ich gar nicht beachtet habe.
Haben Sie das Gleichnis schon einmal aus diesem Blickwinkel betrachtet?
Das fällt sicher schwer, denn es stellt uns ja in eine äußerst ungünstige Position. Aber ich möchte uns dazu ermutigen. Bleiben wir einmal zurück im Stall. Der Hirte geht, um dem Verlorenen nachzugehen. Was empfinden wir dabei?
Ist es Neid? Eifersucht? Zorn? Warum kümmert er sich um den, und nicht um uns? Diese besondere Fürsorge, die das eine Schaf da erfährt, das kann man doch leicht als Ungerechtigkeit empfinden. Wir sind es doch, die ihm treu gefolgt sind. Was will er dann mit diesem Außenseiter, der sowieso nicht weiß, wo's langgeht? Oder kümmert uns das alles gar nicht? Sind wir eben wie Schafe, die nur froh sind, wenn sie nachts sicher ruhen können? Ist es uns egal, ob nun ein Schaf mehr oder weniger da ist? Macht es uns nichts aus, wenn der Hirte weggeht, um ein verlorenes Schaf zu suchen? Bemerken wir es überhaupt?
Das Gleichnis vom verlorenen Schaf wird jedenfalls zur Herausforderung für uns. Denn längst sind wir in die Position der Schafe gelangt, die da im Stall zurück bleiben.
Es ergibt sich jetzt natürlich die Frage, wer wohl das verlorene Schaf sein könnte. Was für Menschengruppen in unserer Gesellschaft sind im Sinne des Gleichnisses verloren? Zöllner gibt es ja heute nicht mehr, Sünder allerdings reichlich.
Ich will diese Frage nicht konkret beantworten. Denn ich glaube, dass sich die Meinung jedes einzelnen unter uns von der des anderen unterscheidet.
Darum scheint es mir vielmehr wichtig, dass wir uns selbst, für uns, Gedanken darum machen: wer soll unserer Meinung nach in der Kirche keinen Platz haben? Wer sollte nicht dazu gehören? Wer hat unserer Ansicht nach kein Recht, dabei zu sein?
Je länger ich über diese Fragen nachdenke, desto mehr stelle ich fest: es gibt zwar Menschen, die mir überhaupt nicht in den Kram passen und um die ich am liebsten einen riesigen Bogen machen würde, aber ich kann nicht verhindern, dass sie auch zur Herde geführt werden, dass sie auch dazu gehören. Nicht, weil es mir von oben so diktiert wird, sondern weil ich selbst erfahren habe, was mich zu einem Mitglied dieser Herde gemacht hat: es ist die Liebe Gottes. Nicht mein eigenes Tun, nicht meine Leistungen, mit denen ich das Leben der Gemeinde bereichert habe, sondern allein die Liebe Gottes. Sie hat mich zu einem Schaf seiner Herde gemacht. Und genau das widerfährt auch denen, die Außenseiter sind, die von mir nicht geliebt sind, oder nur mit sehr großem Vorbehalt. Alle werden sie von Gott geliebt, bedingungslos und darum geht er ihnen nach, ruft nach ihnen, sucht sie in den Abgründen und Schluchten, in den Höhlen und an den Hängen. Wie kann ich mich dazwischen stellen?
Da stehen wir also im Stall und warten auf den Hirten, der sich aufgemacht hat, um das verlorene Schaf zu suchen. Wir erinnern uns daran, wie wir zu seinen Schafen geworden sind, und vielleicht gelingt es uns dann auch, uns zu freuen, wenn er wiederkommt und voller Freude über die erfolgreiche Suche Nachbarn und Freunde zu einem Fest einlädt.
Ja, Gott freut sich über jeden Sünder, der Buße tut - der umkehrt, mehr als über die, die keine Buße tun müssen. So fasst Jesus das Gleichnis zusammen, so bringt er es auf den Punkt.
Dieser Satz stimmt noch einmal nachdenklich. Ich finde es bemerkenswert, dass Jesus es offenbar für möglich hält, dass ein Mensch nicht Buße tun muss. Kann das sein?
Buße tun, das heißt ja nichts anderes als „umkehren”. Umkehren, sich Gott zuwenden anstatt ihm den Rücken zu zu kehren, also wieder auf Gott zugehen. Das ist der Schritt, der von uns erwartet wird. Aber wenn wir uns Gott zugewendet haben, wenn unser Leben auf Gott ausgerichtet ist, dann brauchen wir ja eigentlich nicht mehr Buße tun, d.h. wenn wir dann umkehren würden, würden wir uns doch wieder von Gott entfernen.
Also gibt es durchaus die Möglichkeit, dass man nicht mehr Buße tun muss. Das sind eben die Schafe im Stall, die nicht auf Irrwegen gehen. Das sind wir!
Doch dann heißt es: vorsichtig sein. Denn wenn wir uns zu sicher fühlen, wenn wir meinen, es kann uns nichts mehr passieren, weil wir ja den Hirten haben, der uns sicher führt, dann lässt auch schnell die Aufmerksamkeit nach. Wir achten nicht mehr so genau auf seine Stimme, sondern wir brechen mal aus, schauen mal hier und mal da, denn es gibt ja doch viele interessante Dinge zu entdecken.
Gott wendet sich in seiner Liebe allen Menschen zu. Wir haben es an uns selbst erfahren. Dass wir darum nun nicht überheblich werden und uns für etwas Besseres halten, dazu mahnt uns dieses Gleichnis. Dass wir uns immer wieder neu auf Gott einlassen, dass wir uns immer neu ihm zuwenden und auf ihn und sein Wort acht haben, dazu ermutigt es uns.
So lasst uns teilhaben an der himmlischen Freude und mitwirken daran, dass viele Menschen die Liebe Gottes erfahren und den Weg zu ihm finden.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Der Herr ist mein getreuer Hirt (EG 274)
Wenn ein Schaf verloren ist (EG 353, 3.4)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Gott rufet noch. Sollt ich nicht endlich hören? (EG 392)
Jesu, meine Freude (EG 396)
In Gottes Namen wolln wir finden (KHW-EG 631)


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Predigtvorschläge zu Reihe IV - Ez 18, 1-4.21-24.30-32

Liebe Gemeinde!
Es ist nicht erst in unserer Zeit so, dass Menschen versuchen, zu erklären, warum dem einen ein Unglück geschieht, und dem anderen nicht.
Wir fragen uns, warum ein Kind von einem Laster, dessen Fahrer einfach nicht aufmerksam genug war, überfahren wird.
Wir empfinden es als ungerecht, dass ausgerechnet die Ärmsten der Armen immer wieder von Naturkatastrophen heimgesucht werden.
Wir empfinden es als falsch, wenn ein liebevoller, aufmerksamer Mensch an Krebs erkrankt und früh stirbt.
Die Frage nach dem „Warum“ brennt uns in solchen Situationen auf der Seele. Wer soll damit gestraft werden?
Unser Predigttext befasst sich genau mit dieser Frage. Der Prophet Hesekiel schreibt im 18. Kapitel seines Buches:
Des Herrn Wort geschah zu mir: Was habt ihr unter euch im Lande Israels für ein Sprichwort: "Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden"?
Mit diesem Sprichwort versuchte man zu erklären, warum z.B. ein Kind an einer schweren Krankheit litt, oder blind geboren wurde, oder sonstwie verkrüppelt zur Welt kam.
Die Antwort suchte man bei den Eltern, genauer gesagt, den Vätern. Sie sind schuld. Nicht etwa, weil sie einen genetischen Defekt oder eine Veranlagung zu einer bestimmten Krankheit vererbt hatten, sondern weil sie schuldig geworden waren gegenüber Gott. Die Schuld der Väter vererbt sich auf die Kinder, getreu der Aussage in den zehn Geboten: ich werde heimsuchen die Sünden der Väter bis ins dritte und vierte Glied...
Krankheit, Elend, Not – sie wurden als Strafe Gottes begriffen, und wenn man auch heute in ähnlicher Weise fragt, warum Gott so etwas zulassen kann, dann erwartet man ja offensichtlich, dass Gott gerecht handelt – und man geht davon aus, dass er handelt.
Das Sprichwort, das eine Antwort auf das Warum sein sollte, soll nun nicht mehr benutzt werden. Es soll gerechter zugehen, zumindest soweit es der Prophet Hesekiel als Wort Gottes vernommen und in seinem Buch dann wiedergegeben hat:
So wahr ich lebe, spricht Gott der Herr: dies Sprichwort soll nicht mehr unter euch umgehen in Israel. Denn siehe, alle Menschen gehören mir; die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben.
Mal abgesehen von der Drohung, dass jeder sterben soll, der sündigt, wird hier eine klare Aussage getroffen: Sünde wird Konsequenzen haben für den, der sie begangen hat, und nicht für irgend jemand anderen, auch nicht für die Nachkommen.
Schön wäre es ja, möchte man sagen, doch dann auch wieder nicht. Es ist doch angenehmer, nicht damit rechnen zu müssen, vom Blitz erschlagen zu werden, nur weil man böse Gedanken gegen einen anderen hegt, oder weil man jemanden übervorteilt hat, vielleicht sogar unwissentlich, oder weil man zumindest in Gedanken schon den ein oder anderen Seitensprung begangen hat.
Das wären jedenfalls Gründe für eine Bestrafung, wollen wir den Auslegungen Jesu zu den zehn Geboten in der Bergpredigt folgen. Und wenn hier nun auch gesagt wird, dass jeder, der sündigt, sterben soll: da hätten wohl auch die besten aller Menschen gewisse Probleme.
Wie kommt es dazu, dass Gott das Volk Israel derart bedroht?
Hören wir weiter unseren Predigttext:
Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, schreibt Hesekiel, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben. Es soll an alle seine Übertretungen, die er begangen hat, nicht gedacht werden, sondern er soll am Leben bleiben um der Gerechtigkeit willen, die er getan hat. Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht Gott der Herr, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt? Und wenn sich der Gerechte abkehrt von seiner Gerechtigkeit und tut Unrecht und lebt nach allen Greueln, die der Gottlose tut, sollte der am Leben bleiben? An alle seine Gerechtigkeit, die er getan hat, soll nicht gedacht werden, sondern in seiner Übertretung und Sünde, die er getan hat, soll er sterben.
Ein bisschen tröstlich ist es schon, wenn Gott fragt: „Meinst du, dass ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, und nicht vielmehr daran, dass er sich bekehrt von seinen Wegen und am Leben bleibt?“ Da möchte man gerne gleich antworten: natürlich meine ich das nicht. Ich glaube, dass Gott sich über jeden Sünder freut, der von seinem Weg umkehrt.
Das haben wir ja auch im Gleichnis vom verlorenen Sohn gehört. Ja, natürlich will Gott, dass wir von unseren falschen Wegen umkehren!
Doch dann kommt gleich wieder dieses drohende Wort, das dem Übertreter und Sünder die Todesstrafe ankündigt.
Noch immer ist diese harte Konsequenz schwer anzunehmen. Doch ein Blick auf den übrigen Predigttext hilft uns vielleicht, zu verstehen, warum es so sein muss:
Darum will ich euch richten, ihr vom Hause Israel, einen jeden nach seinem Weg, spricht Gott der Herr. Kehrt um und kehrt euch ab von allen euren Übertretungen, damit ihr nicht durch sie in Schuld fallt. 31 Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist. Denn warum wollt ihr sterben, ihr vom Haus Israel? Denn ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der Herr. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.
Gott will richten. Nicht weil er Lust dazu hat, sich als Richter dar zu stellen, sondern weil er will, dass sein Volk zu ihm umkehrt. Bekehrt euch, so bittet er, und es scheint fast, als flehte er. Bekehrt euch, so werdet ihr leben.
Was war geschehen?
Das Volk Israel lebte im Exil. Das Land, in dem sie lebten, war nicht mehr ihr Land. Sie waren Fremde unter Menschen, die eine andere Kultur und einen anderen Glauben hatten. Am schlimmsten war wohl, dass diese Fremden über sie herrschten.
Dieses Schicksal beklagten sie mit dem Sprichwort: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“ Sie verstanden sich als die Kinder, die schuldlos in diese elende Situation hinein geraten waren. Sie sahen nicht ihre eigenen Verfehlungen, ihre Gleichgültigkeit gegenüber Gott. Und so heißt es nun in den Worten, die Gott durch den Propheten Hesekiel spricht:
Von wegen! Was ihr hier erlebt, ist um eurer eigenen Schuld willen so geschehen. Alle sind selbst verantwortlich für das, was sie tun oder lassen. Natürlich hat eure Schuld Konsequenzen. Aber ich will nicht, dass ihr diese Konsequenzen erleiden müsst. Darum kehrt um!
Beantwortet das die Fragen des Anfangs? Warum eine junge Mutter sterben muss? Warum ein Kind durch einen Unfall ums Leben kommt? Warum unheilbare Krankheit den befällt, den man als freundlichen und umgänglichen Menschen kennt?
Sicher nicht, wenn wir dabei bleiben, dass alles Unglück eine Reaktion Gottes auf unser Handeln ist. Genau darin liegt das Problem. Wir können und dürfen nicht in allem, was sich ereignet, eine Strafe oder auch eine Belohnung Gottes sehen.
Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, mit denen hat Gott gar nichts zu tun, es sei denn, man macht ihn als Schöpfer verantwortlich für das, was seine Schöpfung tut.
Doch da haben wir Menschen eine Rolle, die uns von der ganzen übrigen Schöpfung abhebt: Gott hat uns die Verantwortung für die Schöpfung übertragen. Und wir sind die einzigen, die in der Lage sind, Mittel und Wege zu finden, anderen ohne einen wirklichen Grund zu schaden. Das einzige Motiv für unser Handeln muss nur das eigene Wohl sein, und schon beginnen wir, anderen Schaden zu zu fügen.
Ob das nun alles betrifft, was sich im Leben eines Menschen ereignet, kann man schwer sagen. Es gibt gewiss Dinge, auf die wir auch unbewusst keinen Einfluss haben. Und das ist gut so.
Sie erinnern uns nämlich daran, dass wir Geschöpfe sind, Kinder Gottes, eines Gottes, der nicht will, dass wir sterben, sondern dass wir leben.
Vielleicht verhilft uns diese Erkenntnis dann auch dazu, dass wir bescheidener werden mit unseren Ansprüchen.
Vielleicht führt sie uns dazu, das Wohl des anderen ebenso wichtig zu nehmen wie unser eigenes Wohl, und vielleicht veranlasst sie uns auch, einen Teil dessen abzugeben, was uns so selbstverständlich geworden ist, damit es in der Welt etwas gerechter zugeht.
Denn letztlich sind wir in Gottes Hand. Das kann man, wenn man den Predigttext noch einmal bedenkt, entweder als Drohung oder als Verheißung verstehen. Was von beiden das Bessere ist, liegt wohl auf der Hand.
Amen

oder

Die nachfolgende Predigt wurde im Jahr 2014 zur Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft gehalten

Liebe Gemeinde!
Das Fußballfieber steigt – Deutschland hat es ins Halbfinale geschafft! Man freut sich! Und doch wird wohl diese WM wie keine andere bisher begleitet von kritischen Anfragen, die mitunter in massiven Protestaktionen Ausdruck finden.
Es lässt sich schwer sagen, wie viel Leid die WM unter den Menschen in Brasilien verursacht hat. Auf jeden Fall darf die Frage erlaubt sein, ob der wirtschaftliche Nutzen, der in dem Zusammenhang oft heraufbeschworen wird, dieses Leid wert ist.
Vorgestern kam nach dem Viertelfinalspiel die Meldung in den Nachrichten, dass an einem der Austragungsorte, in Belo Horizonte, eine Brücke eingestürzt ist, die kurz vor der Fertigstellung stand.
Eigentlich sollte sie für die WM bereits nutzbar gewesen sein, doch das Ziel wurde nicht erreicht. Man hatte nun Ende Juli als Datum der Fertigstellung anvisiert.
Durch den Einsturz sind wenigstens zwei Menschen ums Leben gekommen, weitere zwanzig wurden teilweise schwer verletzt. Eigentlich keine großen Zahlen, weswegen dieses Ereignis auch kaum Resonanz in der Öffentlichkeit findet. Aber es sind Menschen betroffen, wobei ich gar nicht mal so sehr an die Toten denke, sondern an die Hinterbliebenen, die lange Zeit brauchen werden, um den Verlust zu überwinden und sich natürlich auch die Frage stellen werden, warum dieses Unglück geschehen musste.
Es versteht sich wohl, dass gleich die Suche nach Schuldigen begonnen hat. Die Polizei untersucht, was die Ursache für den Brückeneinsturz gewesen sein könnte.
Andere wissen es längst: es handelt sich um einen Konstruktionsfehler, Sparen am falschen Ende, Korruption usw., die dieses Unglück verursachen. Mir kam dieses Ereignis in den Sinn, als ich über die Bedeutung des Sprichwortes nachdachte, das Hesekiel in unserem Predigttext zitiert:
Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden”?
Dieses Sprichwort wurde als Ausrede benutzt, die in etwa dem „Nach mir die Sintflut“ entspricht: Man handelt in einer Weise, von der man wohl weiß, dass sie früher oder später negative Auswirkungen haben wird, aber solange man nicht von diesen Auswirkungen betroffen ist, ist es durchaus in Ordnung.
Nach Beispielen müssen wir nicht lange suchen: Die Asse als Lager für radioaktiven Müll wird zu einem großen Problem für unsere Nachfahren werden. Und wenn man den Müll doch in nicht allzuferner Zukunft rausholen sollte, werden Menschen in einer anderen Gegend damit zu tun bekommen – denn er lässt sich ja nicht kompostieren oder in irgendeiner anderen Weise von seiner Radioaktivität befreien. Man muss warten, viele Jahrhunderte lang, bis die Bedrohung durch diesen Müll endlich ein Ende hat.
Doch was hat das mit der Brücke in Belo Horizonte zu tun? Vielleicht gar nichts. Vielleicht aber doch etwas mehr, als wir denken. Denn die Fußball-WM hat den Bau der Brücke notwendig gemacht. Und die Fußball-WM ist von den Ländern, die daran teilnehmen, gewollt. Und dazu gehören nun mal wir.
Der Umsatz der Fifa betrug bei der letzten WM in Südafrika rd. 3 Milliarden Euro, 600 Millionen davon, also etwa ein Fünftel, sind Überschuss, der in Rücklagen fließt.
Einen großen Anteil macht der Verkauf der Fernsehrechte aus. ARD und ZDF zahlen für die Übertragungsrechte einen dreistelligen Millionenbetrag, dessen genaue Höhe allerdings nicht öffentlich gemacht wird. Er liegt vermutlich zwischen 100 und 200 Millionen Euro. Solche Beträge werden gezahlt, weil man der Meinung ist, dass alle Menschen die Möglichkeit haben sollten, die Spiele zu sehen.
Was wäre aber, wenn niemand das wollte? Wenn niemand die Tickets, die man als Nicht-Brasilianer für Preise zwischen 69 und 755 Euro kaufen konnte, erworben hätte? Wenn die sogenannten „Public-Viewing-Veranstaltung“ von niemandem besucht würden? Wenn der Fernseher zu den Spielzeiten aus bliebe?
Vielleicht wäre die Brücke auch dann gebaut worden. Aber vielleicht hätte man sie mit mehr Bedacht gebaut. Vielleicht wäre die Planungsphase gründlicher durchgeführt worden, und vielleicht hätte es auch intensivere Prüfungen gegeben, die sichergestellt hätten, dass ein solcher Einsturz nicht passieren konnte.
Natürlich ist das Spekulation, aber es macht uns vielleicht deutlich: auch wir haben damit zu tun, durch unsere Begeisterung für den Fußball, der doch eigentlich nichts anderes als ein sportliches Spiel sein sollte, in dem 22 Menschen ihre Kräfte und ihr Geschick messen.
Daran kann man sich freuen, aber man muss deswegen nicht gleich einen kommerziellen Overkill lostreten, indem man deutsche Fähnchen an den Fensterscheiben des Autos montiert, im Mannschafts-Trikot herumläuft, überall Aufkleber mit der deutschen Fahne verteilt oder eine entsprechende Baseball-Mütze auf dem Kopf trägt.
Denn letztlich geht es bei der Fußball-WM nur um die sogenannte Gewinnmaximierung, der wir durch unser Verhalten Vorschub leisten, so dass notwendige Sicherheitsmaßnahmen nicht ergriffen werden, weil sie zu viel Zeit oder Geld kosten.
Gerade gestern erreichte mich ein Aufruf zur Teilnahme an einer Petition zur Errichtung eines Mahnmals für die Arbeiter, die beim Bau der Arena Corinthians ums Leben kamen. Der Aufruf kam von der Tochter eines der gestorbenen Arbeiter, die schreibt: „Diese Tragödie hat mir und meiner Familie den Boden unter den Füßen weggerissen.“
Sicher könnte man sagen: "Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden." oder mit anderen Worten: „Das ist nicht unser Problem, den Schaden haben andere verursacht.“
Aber wir sind damit verbunden, weil wir diese Weltmeisterschaft feiern und sie haben wollen – wozu natürlich auch die Medien ihren Teil beitragen.
Die Worte des Propheten klingen dann zunächst ausgesprochen beunruhigend, wenn es heißt: die Väter gehören mir so gut wie die Söhne; jeder, der sündigt, soll sterben.“
Können wir diesem Urteil entrinnen? Es bleibt ja nicht bei der Fußball-Weltmeisterschaft. Immer wieder merken wir, dass unser Verhalten wenigstens indirekt an anderer Stelle einen Schaden verursacht. Aber auch ein unbedachtes Wort, ein voreiliger Schritt oder ein Nicht-Hinhören können uns schon schuldig an unseren Mitmenschen machen.
Da lassen einen die folgenden Worte dann doch vorsichtig aufatmen:
„Wenn sich aber der Gottlose bekehrt von allen seinen Sünden, die er getan hat, und hält alle meine Gesetze und übt Recht und Gerechtigkeit, so soll er am Leben bleiben und nicht sterben.“
Eigentlich ist es allerdings unmöglich, alle Gesetze Gottes zu halten. Wir können uns bemühen, Recht und Gerechtigkeit zu üben, aber, wie schon an der Fußball-WM dargestellt, haben wir manchmal, ohne dass es uns zunächst bewusst wird, teil an der Schuld anderer.
Manchmal hilft es dann, sich bewusst zu machen, wie es dazu kommt, und entsprechend sein Verhalten zu verändern. Aber so richtig gerecht sein können wir dann doch nicht, es bleiben nur Versuche.
Der Aufruf: „Werft von euch alle eure Übertretungen, die ihr begangen habt, und macht euch ein neues Herz und einen neuen Geist.“ wirkt dann schon fast wie eine Zumutung: wie kann das denn gelingen? Ist es nicht unmöglich?
Ich denke, dass hier ein fortwährender Prozess gemeint ist. Man kann nicht so, wie es in der Aufforderung erscheint, einfach von vorne anfangen, denn das neue Herz wird genauso verstrickt werden in die globalen Zusammenhänge wie das alte, und es wird auch nie alle Zusammenhänge im Auge behalten können, wie es nötig wäre, um gerecht zu sein.
Mit dem neuen Herz ist darum wohl auch nicht gemeint, dass es ein absolut sündfreies Herz sein soll, ein Herz, das keine Sünde mehr kennt. Sondern es soll ein Herz sein, das Ernst macht mit dem Gebot der Nächstenliebe, das sich nicht zufrieden gibt mit dem, was einem die Medien vorkauen oder die Werbeindustrie ans Herz legt, sondern alle Dinge hinterfragt und sucht, ob wir schuldig werden, indem wir davon Gebrauch machen oder uns diesem oder jenem anschließen.
Unser Nächster ist der Mensch, mit dem wir es durch unser Handeln zu tun bekommen – und das kann auch der Arbeiter in Brasilien sein, oder die kranke Nachbarin, oder der ungerechte Vorgesetzte. Wenn sie in unser Bewusstsein gelangen und uns nicht länger gleichgültig sind, dann ist das „neue Herz“ gewissermaßen in Aktion.
„Ich habe kein Gefallen am Tod des Sterbenden, spricht Gott der Herr. Darum bekehrt euch, so werdet ihr leben.“ Darum bekehrt euch – kehrt um, geht den Weg des Friedens und der Versöhnung, lasst Euch von Gott den Neuanfang schenken, das neue Herz, das auf seine Gebote achtet und Recht und Gerechtigkeit übt.
Das ist der Aufruf, der aus den Worten des Propheten an uns ergeht. Aber es bleibt nicht dabei, es ist nicht allein unser Handeln, was die Versöhnung mit Gott möglich macht, ja, eigentlich kann es das ja auch gar nicht sein.
Vielmehr versöhnt sich Gott mit uns durch Jesus Christus. Sein Leiden und Sterben vernichtet die Sünde, weswegen es in der Osternacht im Exsultet auch heißen kann: „O glückliche Schuld, welch großen Erlöser hast du gefunden!“ Der Sünder wird erlöst und nennt darum die Sünde „glücklich“, weil die Schuld auf einem wunderbaren Weg und ein für allemal von uns genommen wird.
Das machen wir uns auch heute wieder in der Feier des Heiligen Abendmahls bewusst: unsere Unvollkommenheit wird durch Gott selbst zur Vollkommenheit. Er heiligt uns durch den Leib und das Blut seines Sohnes in einer Weise, wie es kaum vorstellbar ist, denn wir sind seine Kinder.
Das ist kein Freibrief zum unbedachten Handeln, sondern eine Einladung, unsere Mitmenschen mit den Augen Gottes zu sehen als Geliebte im Herrn.
So lasst uns als seine Kinder wandeln – als Heilige des Herrn.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Gott der Vater steh uns bei (EG 138)
Allein zu dir, Herr Jesu Christ (EG 232)
So wahr ich lebe, spricht dein Gott (EG 234)
Und suchst du meine Sünde (EG 237)
Kehret um, und ihr werdet leben (KHW-EG 615, NB-EG 606)
Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen (KHW-EG 640)


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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Lk 15, 1-3.11b-32

Die nachfolgende Predigt wurde in einem Gottesdienst gehalten, mit dem ein Gemeindefest unter dem Thema „Das große Fest” eingeleitet wurde.

Liebe Gemeinde!
Der jüngere Sohn ist zurück! Das ist für den Vater ein Grund zum Feiern. Denn monatelang hatte er sich Sorgen um ihn gemacht – obwohl das ja gar nicht nötig war. Denn der jüngere Sohn hatte zum einen sein Erbteil erhalten – er war also mit genügend Geld ausgestattet – und zum andern hatte er selbst gesagt, dass er sein Leben in die eigenen Hände nehmen wolle.
Da kann man den Ärger des älteren Sohnes schon verstehen: er ist verantwortungsbewusst, stets bereit, seinem Vater zu helfen, er arbeitet von morgens bis abends auf dem Hof und den Feldern, so wie auch an dem Tag, als sein jüngerer Bruder zurückkehrte. Er bekam es noch nicht einmal mit – kein Bote wurde zu ihm gesandt.
Ich glaube, ich würde mich in seiner Situation ganz schön verletzt fühlen. Denn sonst besprachen der ältere Sohn und sein Vater vermutlich ja auch alles miteinander. Der ältere Sohn war so verantwortungsbewusst, dass er es nicht wagte, einmal ein Fest mit seinen Freunden zu feiern, weil das ja doch mit erheblichen Ausgaben verbunden wäre. Und es war immer noch der Besitz seines Vaters, den er nicht so einfach antasten wollte.
Also ein wahres Muster von einem Sohn, so könnte man sagen. Dennoch tut er in dieser Situation das Falsche. Er schmollt und bereitet damit seinem Vater mitten in der Freude doch großen Kummer.

Diese Erzählung ist ein Gleichnis. Gleichnis heißt: die Erzählung steht für etwas anderes.
Nicht immer ist es leicht, dieses andere zu erkennen. In unserem Fall fällt es aber nicht schwer. Denn es sind Pharisäer und Schriftgelehrte, denen Jesus diese Geschichte erzählt, und zwar weil diese sich darüber beklagen, dass Jesus Gemeinschaft, ja sogar Tischgemeinschaft hat mit Zöllnern und Sündern.
Das war für die Schriftgelehrten und Pharisäer ein Unding. Sünde war für sie wie eine ansteckende Krankheit. Man begab sich nicht in die Gesellschaft von Sündern, weil man sich schon dadurch an ihrer Sünde beteiligte.
Bei den Zöllnern war es offensichtlich: sie hatten sich am Geld anderer bereichert, und wenn man sich von solchen einladen ließ, dann wurde man gewissermaßen mit diesem unrechtmäßig erworbenem Geld bewirtet. Das ging gar nicht.
Und Jesus ließ sich ständig darauf ein. Immerhin erkennen wir an dieser Kritik, dass sie Jesus als Rabbi durchaus anerkannten – nur konnten sie sein Handeln nicht nachvollziehen. Jesus belehrt sie mit diesem Gleichnis und macht deutlich:
Sünde ist nicht ansteckend. Sünde schreit gewissermaßen nach Vergebung. Keine billige Vergebung natürlich, nach dem Motto: solange es keiner merkt, ist es auch keine Sünde.

Vielmehr steht an erster Stelle, und das erkennen wir in der Geschichte, die uns heute schon vorgelesen und vorgespielt wurde, besonders deutlich, die Buße, die Umkehr.
Das kommt in dem Gleichnis besonders klar zum Ausdruck. Immer weiter hatte sich der jüngere Sohn von dem entfernt, was die Gemeinschaft mit seinem Vater ihn gelehrt hatte. Und dann ging er in sich und kehrte um.
Mit der Umkehr ist das Bekenntnis der Schuld verbunden. Nur wer seine Schuld erkannt hat und benennen kann, kann auch wirklich umkehren.
Wie geht man mit solchen Menschen um? Rümpft man die Nase? Wendet man sich ab? Fordert man Wiedergutmachung?
Jesus zeigt in dem Gleichnis eine andere Möglichkeit auf: man feiert. Denn wenn ein Mensch so tief gesunken ist und aus dieser Tiefe heraus um Vergebung bittet, geht es darum, ihm wieder das Leben in Würde zu ermöglichen und ihn nicht noch einmal in den Staub zu treten.
Tatsächlich muss der Sohn noch nicht einmal sein Schuldbekenntnis sagen, da fällt ihm schon der Vater um den Hals. Aber die Einladung zum Fest folgt dann doch erst, als der Sohn es ihm sagt: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße.“ (Lk 15, 21)
Jetzt ist die Voraussetzung erfüllt, damit das Fest starten kann. Also keine Wiedergutmachung. Kein „Du hast recht, ich werde dich bei mir anstellen, solange, bis du alles zurückgezahlt hast, was du verprasst hast.“
Gott will, dass wir umkehren und leben. Er belohnt uns mit einem Fest in seiner Gegenwart. Für uns sind solche Feste die Gottesdienste und besonders die Feier des Heiligen Abendmahls. Denn in diesen Feiern haben wir Gemeinschaft mit Gott.
Manche mögen da ihre Zweifel haben und vielleicht der Meinung sein, dass die Gottesdienste fröhlicher sein müssten, abwechslungsreicher, interessanter oder schlicht ansprechender.
Doch abgesehen davon, dass darunter jeder Mensch etwas anderes versteht, kommt es nicht darauf an, dass wir uns im Gottesdienst wohlfühlen. Vielmehr trägt jede Person, die am Gottesdienst teilnimmt, ihren Teil dazu bei, damit er gelingen kann.
Der Gang zum Gottesdienst ist im Grunde wie der Gang des jüngeren Sohnes zurück zum Vater. In der Regel sind wir natürlich nicht so tief gesunken wie er, aber wenn wir das Geschehen der Woche betrachten, merken wir doch, dass es hier und da Situationen gab, wo wir andere Menschen verletzt haben oder unseren eigenen Vorteil suchten usw.
Im Gottesdienst versammeln wir uns in dem Bewusstsein, dass wir der Gnade Gottes bedürfen. Und diese wird uns dann auch zugesprochen.
Und dann, zumindest wenn das Abendmahl gefeiert wird, ist es im Grunde so wie das Fest, das der Vater im Gleichnis ausrichtet: wir feiern die vollendete Gemeinschaft mit Gott – frei von aller Schuld, denn er hat sie uns vergeben durch Jesus Christus.
„Das große Fest“, so ist das Thema dieses Tages. Wir gehen nachher hinaus und werden ein Fest feiern – unser Gemeindefest. Aber das große Fest geschieht eigentlich schon hier, indem wir gemeinsam vor Gott treten, zu ihm beten, ihm unsere Schuld bekennen und seine Gnade empfangen. Hier geschieht das, was unsere Seele heil macht, was uns wahren Grund zur Freude und zum Feiern gibt.
Amen


Liedvorschläge zur Predigt:
Der Herr ist mein getreuer Hirt (EG 274)
Ich will zu meinem Vater gehen (EG 315)
Jesus nimmt die Sünder an (EG 353)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Gott rufet noch (EG 392)
Ich will dich lieben, meine Stärke (EG 400)


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