das Kirchenjahr

13. Sonntag nach Trinitatis

*Die Liebe Gottes

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe I - Mk 3, 31-35

Liebe Gemeinde!
Maria sorgt sich um ihren erstgeborenen Sohn, denn er begibt sich in große Gefahr. Es war ihr zu Ohren gekommen, wie Jesus die Oberen provoziert hatte, denn natürlich berichten Zeugen sofort den Eltern, was sich ereignet hat, auch dann, wenn das Kind längst schon erwachsen ist. Die Eltern sollten wissen, wenn da etwas schief läuft, und sich um ihn kümmern, zumal manche ja auch der Ansicht waren, dass Jesus psychisch krank wäre und darum eher in die Obhut seiner Familie als in die Öffentlichkeit gehörte.
Jesus hatte am Sabbat geheilt, er hatte seine Anhänger dazu ermutigt, am Sabbat Ähren zu raufen, und er hatte sich dazu herab gelassen, mit Zöllnern an einem Tisch zu sitzen. Provokativ hatte er die Pharisäer angesprochen und sie auf eine Art herausgefordert, dass sie nichts erwidern konnten, sie aber vor allen, die dabei waren, bloß gestellt wurden.
Er lud sich doch nur Ärger auf mit solchem Verhalten. Jemand hatte Maria gesagt, dass das Gerücht umginge, die Pharisäer wollten ihn töten lassen. Ihn, ihren Erstgeboren!
Sie wusste zwar, dass Jesus ein besonderer Mensch war, aber was hatte er davon, und was hatten die anderen Menschen davon, wenn er tot wäre? Dann konnte er ja nichts mehr für sie tun.
Nein, das Ganze war schon zu weit gegangen, und sie fühlte sich nicht nur verantwortlich, sondern ihr Mutterherz trieb sie, ihn in Schutz zu nehmen.
Doch wie konnte sie das tun? Die einzige Möglichkeit, die sie sah, war, ihn wieder zu sich zu nehmen und auf ihn auf zu passen.
So rief sie seine Geschwister zusammen, denn sie ahnte, dass sie alleine nicht viel ausrichten könne. Sie hoffte, dass die anderen Söhne ihr notfalls helfen würden, wenn kräftige Hände gefragt waren. Und dass die ganze Familie nach ihm fragte und ihn nach Hause bringen wollte, sollte dazu verhelfen, dass er sich angerührt fühlte und gerne, ohne Widerstand, mit kam.
Wir können es kaum nachempfinden, wie sie gebangt haben muss um ihren Sohn, der sich einem so tiefen Abgrund näherte und blind zu sein schien für die Tiefen, die sich da vor ihm auftaten.
• Er ist ja ihr Erstgeborener, dem sie anfangs all ihre Liebe schenken konnte, bevor er sie mit den anderen Geschwistern teilen musste.
• Er ist der Älteste, der ihr als erstes ihrer Kinder zur Hand ging und bei den alltäglichen Aufgaben mit half.
• Er ist der Erste, auf dessen Erfolge und Errungenschaften sie besonders stolz war, denn es war jedesmal das erste mal, dass sie das erlebte: wie er laufen lernte, wie er sprechen lernte, wie er Lesen und Schreiben lernte.
• Und dann war da noch die Verheißung, die auf ihm ruhte und an die sie sich noch gut erinnerte.
Auch wenn es in den Augen der Geschwister ungerecht erscheint - das erst geborene Kind genießt mehr Aufmerksamkeit als die Geschwister, weil es eben eine Zeit lang auch das einzige Kind ist. Es hat die Möglichkeit, eine besondere Beziehung zur Mutter aufzubauen, ohne dass die Mutter Rücksicht nehmen muss auf ein anderes Kind. Dieses Privileg haben die Geschwister niemals.
Und so geht sie hin, um dieses besonders geliebte Kind, das bereits ein erwachsener Mann geworden ist, der eigentlich ja auf sich selbst aufpassen müsste, vor größerem Schaden zu bewahren. Sie tut es, weil sie ihn nie ganz loslassen konnte - wie kann auch eine Mutter ihr Kind vergessen und sich selbst überlassen...
Aber sie wagt nicht, hinein zu gehen in den Raum, in dem er sitzt und spricht von dem, was ihm den Tod bringen wird. Sie will es nicht hören - oder sie hofft einfach darauf, dass sie ihn ohne großes Aufsehen mitnehmen und so in Schutz nehmen kann.
So bittet sie jemanden, der am Eingang steht, ihn heraus zu rufen, und der Bote geht, um es Jesus hinter vorgehaltener Hand zu sagen. Bange Minuten, vielleicht sogar nur Sekunden, aber es muss eine Ewigkeit gewesen sein, bis Jesus seine Stimme erhebt und deutlich vernehmlich sagt: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder?” (Mk 3, 33) und dann, mit großer Geste auf alle seine Zuhörer weisend: „Siehe, das ist meine Mutter und meine Brüder!” (Mk 3, 34)
Was muss Maria da empfunden haben. Wie ein Messer drangen diese Worte in ihr Herz ein, das so voller Liebe war, das ihn nicht leiden sehen konnte und auch nicht leiden sehen wollte.
Er verleugnete sie. Er sagte sich von ihr los. Die Hergelaufenen, die, die ihn mit hineinzogen in diesen Abgrund, der seinen Tod bedeutete, die ihn vielleicht sogar dazu verführt hatten, diesen Weg zu gehen - die sollen jetzt an ihrer Statt stehen?
Es ist vielleicht ein Funke Zorn in ihre Gefühle hinein gemischt, aber die Liebe ist größer. Sie empfindet nur den Schmerz, den der Sohn der Mutter zufügt, indem er sich von ihr lossagt, so tut, als ob es sie nie gegeben hätte.
Ist es ein Trost, wenn er sagt: „wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.” (Mk 3, 35)?
Wie kann das ein Trost sein? Vielleicht so, dass sie sich selbst darin wieder findet: auch sie tut den Willen Gottes, hat sich zumindest immer darum bemüht. Er selbst, Jesus, hat sie ja auch immer wieder dazu ermutigt, durch seine Art und Weise, wie er mit der Frömmigkeit, dem Glauben, dem Weg umgegangen ist.
Er hatte all das, was mit Gott zu tun hatte, für sie aus der Routine heraus geholt. Er hatte Gott für sie lebendig gemacht, und damit allerdings nicht nur Freude in ihr Herz gebracht. Manches Mal hatte sie sich wohl gefragt, ob er so von Gott reden, ob sie so von Gott denken darf. Sie hatte es anders gelernt in ihrer Kindheit: sie kannte Gott als den Erhabenen und Allmächtigen, und nun hatte er sie, als ihr Kind, aufs Neue gelehrt. Sie fühlte sich wohler dabei, Gott als himmlischen Vater, der barmherzig und gnädig ist, zu erkennen und zu lieben, und war doch voller Zweifel. War Gott nicht auch der, der Gerechtigkeit durch seine Gebote einforderte und den strafte, der diese Gebote nicht einhielt?
Jesus, so mag sie gedacht haben, ich glaube an Gott und ich bemühe mich, nach seinem Willen zu leben - aber ich will dich nicht mit all den anderen teilen, und vor allem: ich will dich nicht an sie verlieren. Du bist mein geliebter Sohn - du gehörst zu mir, auch wenn du schon lange erwachsen bist. Du bist und bleibst mein Kind!
Welch großen Schmerz mutet Jesus seiner Mutter zu. Und wie wenig erfahren wir von ihr im weiteren Verlauf des Evangeliums, obwohl sie doch später zur Schar der Jünger hinzugezählt wird. Bei Markus aber steht sie nicht unter dem Kreuz, und sie ist auch nicht Zeuge der Auferstehung. Insofern ist der Evangelist konsequent: sie ist nicht mehr seine Mutter.
Jesus hat andere zu seiner Familie erkoren. Menschen wie Du und ich, Menschen, die sich zu ihm gehörig fühlen, Menschen, die sich Christen nennen. Menschen, die aus allen Bevölkerungsschichten stammen, Menschen, die bereit sind, Gottes Willen zu tun - so wie seine Mutter, Maria – und damit auch in Kauf nehmen, dass es eine schmerzhafte Erfahrung sein kann.
Die Reaktion Jesu auf die Bitte seiner Mutter und seiner Geschwister, heraus und mit ihnen nach Hause zu kommen, zeugt nicht von Kaltblütigkeit oder Herzlosigkeit, auch zeugt sie nicht von Verachtung gegenüber seiner Mutter, sondern sie zeugt von der großen, unermesslichen Liebe, die er allen Menschen gegenüber hegt: diese Liebe ist größer als selbst die Liebe zwischen dem Kind und seiner Mutter.
Wie danken wir ihm solche Liebe? Sind wir ein würdiger Geschwisterersatz, ja, sind wir ein würdiger Mutterersatz? Es ist gut, wenn wir uns diese Frage ab und zu stellen, vielleicht auch öfter und nicht nur ab und zu.
Viel zu selten erinnern wir uns an die Frau, von der sich Jesus so lossagte, wie wir es nun gehört haben, deren Namen wir Sonntag für Sonntag im Glaubensbekenntnis aussprechen. Deutlich erinnert uns dieser Name an die Liebe, die uns mit mit unserem Herrn Jesus Christus verbindet.
Der Protestantismus will von Marienfrömmigkeit nichts wissen, denn sie hat bei unseren katholischen Geschwistern schon seltsame Blüten getrieben. Es ist gut und richtig, dass da eine Abgrenzung erfolgt ist.
Aber wir tun sicher gut daran, wenn wir uns immer wieder auch an sie erinnern lassen. Denn durch sie gelingt es uns vielleicht, diese unermessliche Liebe, die Gott an uns bewiesen hat, zu erfassen, oder einfach etwas deutlicher zu sehen.
Martin Luther schrieb in seiner Auslegung zum Magnifikat: „Maria will keine Abgöttin sein. Sie tut nichts; Gott tut alle Dinge. Anrufen soll man sie, dass Gott um ihretwillen gebe und tue, was wir bitten; im gleichen Sinn sind auch alle anderen Heiligen anzurufen, damit ja gewiss das Werk immer ganz allein Gottes Sache bleibe.
In diesem Sinn ist es gut, dass wir uns an Maria erinnern – als Werkzeug in der Hand Gottes, als Mensch, der sich dem Willen Gottes ganz und gar ergibt, und darin als Vorbild für uns und unser Leben.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Halleluja. Suchet zuerst Gottes Reich (EG 182)
Du hast mich, Herr, zu dir gerufen (EG 210)
Nun freut euch lieben Christen g'mein (EG 341)
Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)
Bei dir, Jesu, will ich bleiben (EG 406)
Auf der Spur des Hirten (KHW-EG 616)


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Predigtvorschläge zu Reihe II - Apg 6, 1-7

Liebe Gemeinde! „Famous Last Words“ - diese Redewendung ging mir in den letzten Wochen immer wieder durch den Kopf. Berühmte letzte Worte – damit werden die Worte von berühmten Persönlichkeiten bezeichnet, die sie unmittelbar vor ihrem Tod aussprachen.
Aber daran dachte ich weniger, sondern an eine Schallplatte der Band „Supertramp“, die diesen Titel trug. [Auf ihr gibt es ein Lied mit dem Titel „It's raining again“ - Es regnet schon wieder – was ja auch zu diesem Tag passt.]
Und natürlich dachte ich auch an die heutige Predigt – meine letzte Predigt von dieser Kanzel als Pfarrer des Quartiers hier in Wolfenbüttel, und ob Sie wohl solche „Famous Last Words“ von mir erwarten.
Aber da muss ich Sie enttäuschen. Denn in unserem Predigttext steht nichts von Martin Senftleben, sondern von Stephanus, einem Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia.
Wenn ich Stephan oder Philipp heißen würde, könnte ich ja vielleicht noch etwas zurecht biegen, aber das muss ja nicht sein.
Also hören Sie, was Lukas in der Apostelgeschichte im 6. Kapitel schreibt:
In diesen Tagen aber, als die Zahl der Jünger zunahm, erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegen die hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung. Da riefen die Zwölf die Menge der Jünger zusammen und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen. Darum, ihr lieben Brüder, seht euch um nach sieben Männern in eurer Mitte, die einen guten Ruf haben und voll heiligen Geistes und Weisheit sind, die wir bestellen wollen zu diesem Dienst. Wir aber wollen ganz beim Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben. Und die Rede gefiel der ganzen Menge gut; und sie wählten Stephanus, einen Mann voll Glaubens und heiligen Geistes, und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus, den Judengenossen aus Antiochia. Diese Männer stellten sie vor die Apostel; die beteten und legten die Hände auf sie. Und das Wort Gottes breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in Jerusalem. Es wurden auch viele Priester dem Glauben gehorsam.
(Apg 6, 1-7)
Es ist eigentlich ja schon bemerkenswert, dass es damals wie heute um die Versorgung der Gemeinden bzw. derer Gemeindeglieder geht. Da hat sich in 2000 Jahren wohl nicht viel geändert.
Und natürlich findet man auch immer Gründe, warum es einem selbst so schlecht geht (und den anderen besser). In dem von Lukas geschilderten Fall sind es die griechischen Juden, die sich von ihrem Ursprung und ihrer Sprache her von den hebräischen Juden unterscheiden und die meinen, Opfer von Diskriminierung zu sein. Ihre Witwen werden „übersehen bei der täglichen Versorgung“, so heißt es.
Da können wir mal einen tiefen Blick in die Ursprünge der christlichen Gemeinde werfen. Zunächst einmal stellen wir fest: Offenbar gab es neben den Gottesdiensten schon ein durchdachtes System der sozialen Fürsorge.
Witwen gehörten zu dem Personenkreis, der durch die Gesetzgebung und die gesellschaftlichen Strukturen benachteiligt war. Sie hatten kein Teil am Erbe ihres verstorbenen Mannes und durften auch selbst nicht einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Wenn es keine Familie gab, die für sie sorgte, dann trat allerdings die Gemeinde für die Versorgung ein. So war es in der jüdischen Gesellschaft, und so übernahm es selbstverständlich auch die christliche Gemeinde, die zu der Zeit ja noch tief in der jüdischen Gemeinde verwurzelt war.
Und nun gab es offenbar Probleme bei dieser Versorgung. Die Apostel waren dafür zuständig, die Mittel der Gemeinde zu verwalten und dafür zu sorgen, dass die Witwen zu essen bekamen und auch sonst versorgt waren.
Übrigens waren die Witwen nicht etwa alles alte Damen. Viele Männer starben früh, sei es wegen einer Krankheit, die nicht geheilt werden konnte, oder wegen eines Unfalls oder einer Verletzung, die sich entzündete und dadurch zum Tod führte. Und so hoffte man, für die jungen Witwen wieder einen Mann zu finden, aber darüber hinaus bekamen sie auch Aufgaben in der Gemeinde zugeteilt.
Auf jeden Fall gab es offenbar die gemeinschaftlichen diakonischen Mahlzeiten, so möchte ich sie einmal nennen, und zu denen wurden wohl die Witwen, die aus den griechischen Juden kamen, nicht eingeladen oder für sie wurde nichts vorbereitet.
Und anstatt zu sagen: 'selbstverständlich kümmern wir uns auch um sie, sie sollen nur auch dazu kommen', sagen die Apostel: „Es ist nicht recht, dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.“
Also Arbeitsteilung, denn offenbar nimmt die Verwaltungsarbeit doch zu viel Zeit in Anspruch und behindert die Apostel beim Dienst am Wort Gottes. Vielmehr sollten nun sieben Männer für diesen Dienst (und die Verwaltungsarbeit) berufen werden.
Diese Männer wurden nicht etwa von den Aposteln bestimmt, sondern von der Gemeinde, und das finde ich schon einmal bemerkenswert. Die Apostel waren nur bereit, sie dann auch in den Dienst zu stellen und zu segnen.
Ja, und so kam es, dass Stephanus und Philippus und Prochorus und Nikanor und Timon und Parmenas und Nikolaus zu dieser Aufgabe berufen wurden. Diese sieben sind übrigens alle griechische Judengenossen, und man hat schon ein bisschen den Eindruck, dass sich nicht nur die 12 Apostel um diese Aufgabe drücken wollten, sondern auch die übrigen der hebräischen Juden. Es gab wohl doch irgendwie schon Spannungen zwischen diesen beiden Gruppen.
Aber offensichtlich war diese Lösung eine gute Lösung, denn die Apostel konnten sich weiterhin dem Gebet widmen und dem „Dienst des Wortes“, was zu einer Ausbreitung desselben führte und zu einem Wachstum der Gemeinde.

Wenn wir diese Schilderung der urchristlichen Situation auf unsere Zeit übertragen, was ja zunächst recht einfach scheint, dann merken wir bei genauerem Hinsehen, dass das nun doch nicht ganz so einfach ist.
Die Gemeindegliederzahl ist heute wohl doch deutlich größer als damals, und die Hilfsbedürftigen sind uns keineswegs immer bekannt, so wie es damals der Fall war. Es kommen zwar immer wieder Menschen an die Tür mit der Bitte um Unterstützung, aber da wir sie nicht kennen, fällt es schwer, ihre Bedürftigkeit festzustellen.
Das war damals anders: die Menschen kannten sich untereinander, und vor allem: es war eine Tischgemeinschaft, die da zur Hilfe der Bedürftigen geschaffen wurde und offensichtlich auch weitgehend gut funktionierte. Eine Gemeinschaft, die vielleicht durch die Suppenküche noch am ehesten abgebildet wird, wo Arme zusammenkommen, um miteinander zu essen, und dabei von denen versorgt werden, denen es besser geht.
Aber außer denen, die in der Suppenküche Dienst tun, gibt es wohl kaum jemanden unter uns, der die Menschen kennt, die dorthin zum Essen gehen. Sie bleiben Fremde und verschwinden den Sommer über ja wieder.
Ich denke, dass das der größte Unterschied von uns zur damaligen Gemeinde ist, denn so richtig Gemeinde sind wir selten, eigentlich nur zu den Zeiten der Gottesdienste, zu denen sich meist weniger als 1% aller Gemeindeglieder versammelt.
Also ist es auch nicht wirklich Gemeinde, denn es bleiben die vielen Unbekannten, deren Namen wir zwar im Melderegister haben und die ab dem 80. Geburtstag dann auch meist regelmäßig zum Geburtstag besucht werden, die aber ansonsten nicht auftauchen.
Dennoch dürfen wir dankbar sein für diese Menschen, denn sie tragen immerhin mit einem guten Teil zum Haushalt unserer Gemeinden mit bei. Aber sie bleiben Fremde, Unbekannte. Ist das richtig?
Schickt uns mehr Pastoren, schickt uns mehr Diakone, möchte man ausrufen, damit es wieder so zugehen kann wie damals, dass die Gemeindeglieder versorgt sind und regelmäßig besucht werden können und wieder ein Band geflochten werden kann, das sie alle miteinander verbindet, das sie uns zu Vertrauten macht, zu Menschen, die zu uns gehören nicht nur auf dem Papier, sondern auch im Herzen.
Aber so viel Geld ist dann doch nicht da, um das zu ermöglichen, denn inzwischen haben sich die Lebensbedingungen geändert. Es genügt nicht eine Tasche, die regelmäßig von Gemeindegliedern mit Brot und anderen nötigen Nahrungsmitteln gefüllt wird, und ein Bett oder auch eine Matratze irgendwo in der Ecke einer Wohnung eines Gemeindeglieds, um die Pastoren oder Diakone vor Unwetter zu schützen; es muss schon etwas mehr sein.
Und da wird der Haken an der Sache bald deutlich: wer soll denn die Pastoren und die Diakone schicken? Das Landeskirchenamt, über das man sich sicher ärgern kann, muss ja die zur Verfügung stehenden Mittel so verwalten, dass unsere Landeskirche nicht durch wachsende Schulden irgendwann zahlungsunfähig wird. Ob der eingeschlagene Kurs da wirklich der richtige ist, mag dahingestellt sein, aber das werden wir auch nicht lösen können, dazu gibt es eine Synode, die diese Dinge entscheidet und die ja auch zum größeren Teil aus Gemeindegliedern besteht.
Wichtiger für uns heute ist ein zweiter Aspekt, nämlich dass gar nicht mehr so viele Menschen da sind, die bereit wären, sich in einen entsprechenden Dienst senden zu lassen.
Und da wird der Blick in unseren Predigttext noch einmal wichtig: wo kommen sie denn her, diese sieben Armenpfleger, wie sie damals genannt wurden? Aus „eurer Mitte“, heißt es. Aus der Mitte der Gemeinde. Seht euch um, riefen die Zwölf der Gemeinde zu, seht euch um nach Menschen in eurer Mitte, die den Dienst tun können, den ihr von uns erwartet.
Es ist also Sache der Gemeinde, dafür zu sorgen, dass die Versorgung funktioniert. Und darum kann man auch sicher sagen: wenn ich die Gemeinden im Quartier nun verlasse, um in einer anderen Gemeinde Dienst zu tun, dann mag zwar ein Loch entstehen, aber keines, das nicht wieder gefüllt werden könnte.
Gott findet immer Wege, auf denen sein Wort laufen kann. Er ruft Menschen in seinen Dienst, und das müssen natürlich nicht immer Profis sein, die eine lange Ausbildung hinter sich haben, sondern das können Menschen aus unserer Mitte sein, die es wagen wollen, diese oder jene Aufgabe zu übernehmen und zu ihrer eigenen Aufgabe zu machen. So war es damals, vor zweitausend Jahren, und so muss es auch heute sein – ob da viele Pastoren sind oder wenige, spielt da eigentlich keine so große Rolle.
Da wird lebendige Gemeinde sichtbar, Gemeinde, die aus dem Geist Gottes lebt, wo Menschen aufstehen und sagen: ich bin bereit, diesen oder jenen Dienst zu übernehmen.
Und dann wird sich auch das Wort Gottes ausbreiten, es wird Menschen erreichen, die bisher unerreicht geblieben sind, und wir werden merken, dass wir doch reich beschenkt sind, trotz aller Verluste, die wir vielleicht hinnehmen müssen.
So lasst uns Gott darum bitten, dass er seine Gemeinde auch weiterhin versorgt, und ein jeder prüfe sich selbst, ob er nicht den einen oder anderen Beitrag leisten kann, damit der Dienst am Wort und an der Gemeinde weiter getan werden kann, so wie es nötig ist.
Amen
oder
Liebe Gemeinde!
Damals war alles noch sehr einfach. Heiden waren ziemlich genau definiert. Es waren alle die Menschen, die nicht zum jüdischen Volk gehörten. Und die konnte man leicht erkennen, denn sie beteten viele Götter an, mitunter auch ihren Herrscher, opferten nicht im Tempel in Jerusalem und bestanden darauf, dass man Gott auf irgendeine Weise abbilden könnte. Sie hatten also immer ein Bild ihres speziellen Gottes, dem sie besonders vertrauten, in ihrem Haus - jeder Tempel war mit dem Bild eines Gottes oder mehrerer Götter geschmückt.
Christen gehörten zum jüdischen Volk. Sie beteten den einen, einzigen, unsichtbaren Gott an, von dem man sich kein Bild machen darf. Dafür wurden sie ausgelacht, aber auch gefürchtet; denn wenn die Heiden die Macht dieses Gottes, wie er sie durch sein Volk sichtbar werden ließ, erlebten, dann konnte man schon das Fürchten kriegen. Und wenn man dann nicht wusste, was eigentlich hinter dieser Macht steckt, weil man kein Bild von ihr sehen konnte, dann wurde es unheimlich. Darum waren die Juden immer Außenseiter, und mit ihnen die Christen, die als jüdische Sekte angesehen wurden.
Die christliche Gemeinde des ersten Jahrhunderts verstand sich nicht als eine neue Religion. Sie glaubte an die Prophezeiungen, die Gott dem jüdischen Volk gemacht hatte. Die Geschichte dieses Volkes, der Auszug aus Ägypten, die Verheißung des Landes, die Größe der Königsherrschaft Davids und seines Sohnes Salomo, das Exil und dann die Rückkehr mit dem Wiederaufbau des Tempels und der Stadt Jerusalem: das alles war ihre eigene Geschichte, mit der sie sehr eng verbunden waren.
Darum glaubten sie auch an Jesus Christus, denn für sie war er der Messias, den die Propheten verheißen hatten. Er war der Erlöser, der Retter, der Befreier. Er passte in diese Tradition hinein. Es störte sie dabei nicht, dass manche der Prophezeiungen durch diesen Messias noch nicht in Erfüllung gegangen waren, denn sie erwarteten, dass er bald, noch zu ihren Lebzeiten, wiederkommen und auch das übrige erfüllen würde. Und dann würden auch die Juden, die jetzt noch nicht an ihn glaubten, den Messias erkennen.
Das Zentrum der Gemeinde war Jerusalem, dort lebten auch die 12 Apostel, wenn sie nicht unterwegs waren, um das Evangelium zu verkündigen. Diese Gemeinde in Jerusalem war das Vorbild für alle anderen Gemeinden - was dort geschah, wurde in allen anderen christlichen Gemeinden in Israel ebenfalls gemacht.
Ein wichtiges Anliegen der Gemeinden war die Versorgung der Witwen, denn sie konnten nicht erben, und wenn Sie zum christlichen Glauben übergetreten waren, wurden sie oft von ihren Familienangehörigen ausgestoßen. Arbeit bekamen sie oft keine, so dass sie auf die Hilfe der anderen Christen angewiesen waren. Diese Hilfe organisierten die zwölf Apostel. Sie sammelten bei den wohlhabenderen Mitgliedern der Gemeinde, kauften Essen ein und brachten es zu diesen Witwen und anderen Bedürftigen.
Nun gab es auch Juden, die gar keine Juden waren: es waren Griechen, die der jüdische Glaube so angesprochen hatte, dass sie sich zum jüdischen Volk hielten und versuchten, von ihnen die Sitten und Bräuche zu lernen. Außerdem ließen sie sich unterweisen in den Heiligen Schriften, der Thora und den Propheten.
Aber sie waren Außenseiter. Sie waren nicht von einer jüdischen Mutter geboren, und die Geschichte des Volkes Israel war nicht ihre eigene. Ihre Geschichte war heidnisch, sie hatten zuvor an eine Vielzahl von Göttern geglaubt, die alle sehr menschliche Züge hatten. Sie waren zwar unter den Juden geduldet, weil sie sich bemühten, aber so richtig dazu gehörten sie nicht.
Das Evangelium von Jesus Christus sprach diese griechischen Juden an, denn sie erkannten, dass Jesus sich den Außenseitern zuwandte und ihnen die Liebe Gottes nahebrachte. Dabei war für Jesus die Geschichte des Volkes Gottes nicht mehr so wichtig, sondern der Mensch stand im Vordergrund. Das sprach die griechischen Juden an, und darum wurden viele von ihnen Christen.
Aber so wie zuvor, waren und blieben die griechischen Juden auch unter den Christen, wo man sie dann als Heidenchristen bezeichnete, Außenseiter. Nur eines hatten die Juden- und Heidenchristen gemeinsam: ihre Witwen brauchten Hilfe. Denn auch bei den Heiden hatten die Frauen kein Erbrecht, und wenn sie den Glauben ihrer Vorfahren verließen, dann wurden sie oft von der Familie ausgestoßen und hatten nichts mehr zum Leben.
Also wurden sie in die Verteilliste aufgenommen. Was dann geschah, bleibt im Dunkeln. Fest steht nur: es gab Grund zur Klage. Die Witwen, die nicht aus dem jüdischen Volk stammten, bekamen weniger als ihre Leidensgenossinnen, manchmal sogar gar nichts.
Die 12 Apostel meinten nun, dass sie entlastet werden müssten. Offenbar wollten sie nicht die Verantwortung übernehmen für diese Ungerechtigkeit. Sieben Armenpfleger wurden ausgewählt, die von nun an verantwortlich sein sollten. Ob es seitdem besser wurde, weiß niemand so genau; auf jeden Fall wird nicht mehr davon berichtet, dass sich die heidenchristlichen Witwen vernachlässigt fühlten.
Es ist ein interessantes Bild, das da von der ganz frühen christlichen Gemeinde dargestellt wird. In unserem Predigttext steht ein Satz im Mittelpunkt, den ich nun etwas genauer untersuchen möchte. Es ist die Begründung der Apostel, warum sie die Armenpfleger wählen lassen.
Hintergründig kann man zwar vermuten, dass sie den Vorwurf an sich abprallen lassen wollen, indem sie die Verantwortung auf andere abwälzen. Die hier genannte Begründung für die Wahl der Armenpfleger, der Diakone, ist aber eine ganz andere: »Es ist nicht gut«, sagen die Apostel, »dass wir für die Mahlzeiten sorgen und darüber das Wort Gottes vernachlässigen.« Es steht also, so scheint es, die Verkündigung des Wortes Gottes in Konkurrenz zur Armenpflege.
Aber es geht hier nicht um Konkurrenz. Die Apostel wissen sehr wohl, dass zur Verkündigung auch der Dienst am Nächsten gehört. Und weil sie erkannt haben - oder weil es ihnen mitgeteilt wurde -, dass ein Teil der Verkündigung zu kurz kommt, wenn sie der Aufgabe der Armenpflege nachgehen, darum wollen sie die Aufgaben nun teilen.
Es geht also darum, beides zu erhalten, und zwar so, dass beides richtig gemacht wird, und nicht das eine oder gar beides nur mit halbem Herzen.
Es geht darum, dass zum einen für die Bedürftigen gesorgt wird, zum anderen aber auch das Wort Gottes verkündigt wird - beides im gleichen Maß. Denn beides ist gleich wichtig - auf beide Weisen drückt Gott seine Liebe zu den Menschen aus.

In Indien gibt es ein Gesetz, das Menschen, die zu den Outcasts gehören, also den Kastenlosen, bestimmte Vorteile und Hilfen zusichert. So gibt es für sie reservierte Studienplätze, und auch im Parlament müssen Plätze für Kastenlose freigehalten werden. Sobald aber solch ein Kastenloser den christlichen Glauben annimmt, verliert er diese Privilegien. Die indische Regierung nimmt an, dass die Christen sich untereinander ausreichend versorgen können, obwohl sich ihre soziale und wirtschaftliche Situation durch die Annahme des Christentums nicht verändert.
Sie bleiben Kastenlose, ihre Chancen bleiben unverändert schlecht. Es bleibt nur die Hoffnung auf Hilfe aus Übersee, also von den wohlhabenderen Christen, wie z.B. hier in Deutschland.
Oft reicht die Hilfe nicht, viele bekommen gar nichts ab - es geht ihnen noch schlechter, denn die Hilfen der Regierung können sie nun ja auch nicht mehr in Anspruch nehmen. Und deswegen kehren auch manche wieder zum Hinduismus zurück.
Aber manche bleiben in der christlichen Gemeinde. Für sie ist etwas anderes ganz wichtig geworden: das Wort des lebendigen Gottes. Sie sind nicht Christen geworden, weil sie hofften, dass es ihnen besser gehen würde, sondern weil sie daran glaubten, dass Jesus Christus ihr Heiland ist, der ihnen die Liebe Gottes offenbart. Aber weil sie daran glauben, darum sind sie nun auf die Hilfe anderer Christen angewiesen.
Ich erzähle nicht deswegen von diesen indischen Christen, weil ich um Spenden für sie bitten will, sondern weil ihre Situation der Situation der ersten Christen sehr ähnlich ist. Außerdem wird an ihnen eines ganz deutlich: wenn es nur um etwas zu essen ginge, wären sie keine Christen. Hätten die christlichen Missionare nur Versorgungsgüter dorthin gebracht und auf diese Weise die Christen gewonnen, dann wären jetzt, wo die Hilfe durch Christen aus den fernen Ländern nur noch spärlich fließt, keine Christen mehr dort. Die Verkündigung des Wortes ist ebenso wichtig wie der Dienst am Nächsten.
Jede Gemeinde engagiert sich auf beide Weisen: diakonisch und theologisch. Und in jeder Gemeinde sind die Schwerpunkte anders gesetzt. Es ist wichtig, dass wir uns klar darüber sind, dass beides wichtig ist und zusammengehört.
Darum sollten wir uns auch immer wieder die Frage stellen, ob die Aktivitäten, die wir anbieten, etwas enthalten, was eben nur christliche Gemeinde anbieten kann, weil in ihr auch die Verkündigung des Wortes Gottes eine wichtige Rolle spielt. Denn wenn das eine verloren geht, dann wird auch das andere irgendwann einmal von anderen Angeboten, die die gleichen Zielgruppen ansprechen, aber besser, weil professionell, durchgeführt werden, verdrängt werden.
Im Gottesdienst hören wir auf das Wort Gottes, und heute wieder feiern wir die Gemeinschaft des Heiligen Abendmahls. Nirgendwo sonst können wir Gott so nahe kommen wie hier. Daraus schöpfen wir Kraft für die vielfältigen Aufgaben, denen wir uns Woche für Woche stellen. Wir erfahren durch das Abendmahl die Liebe Gottes, die uns immer wieder ermutigt und bekräftigt, den Dienst zu tun, den viele von uns ehrenamtlich ausüben. Auf diese Weise verknüpfen sich Verkündigung und Diakonie immer wieder aufs Neue. Auf diese Weise geben wir die Liebe Gottes weiter und lassen andere Menschen erfahren, dass wir ohne diese große Liebe gar nicht leben könnten.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Gott, du höchster Gnadenhort (EG 194)
Preis, Lob und Dank sei Gott dem Herren (EG 245)
Herz und Herz vereint zusammen (EG 251)
Kommt her, des Königs Aufgebot (EG 259)
Lobt Gott, den Herrn der Herrlichkeit (EG 300)
Vertraut den neuen Wegen (EG 395)
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt (EG 413)
Lass mich, o Herr, in allen Dingen (EG 414)


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Predigtvorschläge zu Reihe V - 1. Joh 4, 7-12

Liebe Gemeinde!
Lasst uns einander lieben...
wie kann das aussehen? Man kann es es sich einfach machen: wenn wir uns einander lieben, fällt das ja nicht schwer. Wir kennen uns einigermaßen, wir gehen freundlich miteinander um, wir sind bereit, die kleineren Patzer, die mal hier oder da geschehen, zu vergeben. Also, wir lieben uns. Genügt das nicht?
Doch der Predigttext fängt ja nur mit dieser Aufforderung an. Der nächste Satz lautet dann: Die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist von Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht. Denn Gott ist die Liebe.
Und da wird es schon schwieriger. Gott ist die Liebe. Er hat uns so sehr geliebt, dass er seinen Sohn zur Versöhnung für unsere Sünden sandte. Wessen Sünden? Meine? Ihre? Können wir da einen Unterschied machen? Können wir sagen, dass bestimmte Menschen von dieser Liebe ausgeschlossen sind? Dass bestimmte Sünden nicht vergeben werden?
Vielleicht die Sünden der Verbrecher, die andere Menschen töten – aus Spaß an der Gewalt, oder weil sie sich bereichern wollen, oder aus was für anderen Motiven: kann ihnen die Liebe Gottes denn gelten?
Oder vielleicht die Autofahrer, die andere Menschen durch ihre rücksichtslose Fahrweise in Gefahr bringen? Kann ihnen die Liebe Gottes gelten?
Oder vielleicht die Manager, die sich ihre Konten auffüllen lassen, während hunderte und tausende Arbeitnehmer aus ihrer Firma entlassen werden? Kann ihnen die Liebe Gottes gelten?
Oder auch die Sportler, die sich ruhigen Gewissens Millionenbeträge für ihre Werbeauftritte zahlen lassen und dabei doch nicht mehr leisten als der Arbeiter am Fließband, der vergleichsweise einen Hungerlohn erhält? Kann ihnen die Liebe Gottes gelten?
Oder die tausende von Menschen, die Tag für Tag verhungern, nur weil wir es nicht fertig bringen, ihnen zu helfen? Müssen sie nicht glauben, dass ihnen die Liebe Gottes nicht gilt?
Oder die Menschen, die Kindern auflauern, sie sexuell missbrauchen und dann umbringen? Kann ihnen die Liebe Gottes gelten?
Oder uns, die wir wohl betroffen sind, aber ansonsten doch stille halten, nichts tun, um das Elend und die Not in dieser Welt zu ändern? Die wir immer wieder versuchen, uns mit der Frage raus zu reden, was wir denn hätten tun können? Kann uns die Liebe Gottes gelten?
Oder die Terroristen, die Kinder als Geiseln nehmen und dann, als diese fliehen, sie von hinten erschießen? Ihnen kann die Liebe Gottes doch nicht gelten!
Ja, da fällt es uns leicht, ein Urteil zu fällen. Wer Kinder, die vor Angst außer sich sind und nichts anderes wissen als davon zu laufen, von hinten erschießt, kann unmöglich von Gott geliebt sein. Was für ein Gott wäre das, der diesen Menschen dann noch seine Liebe entgegen bringt?
Ja, was für ein Gott wäre das?
Lassen Sie mich die Frage anders herum stellen: Was für ein Gott wäre das, der seine Liebe einschränken würde, von dem wir wüssten: er liebt nur diesen und jene, z.B. nur gute und solche, die bereit sind, ihre Schuld zu erkennen und zu bereuen?
Dann könnten wir von diesem Gott jedenfalls nicht mehr das sagen, was Johannes hier in seinem Brief schreibt. Nein, ein solcher Gott wäre keine Liebe. Er wäre ein liebender, einer, der die Menschen liebt, solange sie ihm folgen und seine Gebote halten. Gott wäre berechenbar, benutzbar, denn man wäre in der Lage, zu sagen, wen er liebt und wen nicht. Oder man könnte es zumindest versuchen, und jeder, der mit genug Autorität aufzutreten versteht, könnte so Gott für sich und seine eigenen Zwecke gebrauchen und auch missbrauchen.
Aber genau dieser Denkensweise ist es ja, mit der Jesus versuchte, Schluss zu machen. Gott ist nicht berechenbar, und vor allem: er kann nicht für die Zwecke der Priester und Schriftgelehrten vereinnahmt werden. Gott ist die Liebe. Gott liebt, bedingungs- und vorbehaltlos. So schwer es uns fällt, das zu glauben: er liebt auch jene Terroristen, die Kinder hinterrücks ermordet haben. Er liebt sie so sehr, dass er vor Kummer weint. Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als dass Gott selbst zutiefst traurig ist angesichts so grenzenloser Brutalität und Grausamkeit. Was mag diesen Menschen widerfahren sein, dass sie dazu fähig wurden?
Gott allein weiß es.
Ja, Gott ist die Liebe. Grenzenlos, bedingungslos. Nichts kann diese Liebe schmälern, auch ein kaltes, gefühlloses Herz nicht. Wir haben diese Liebe am eigenen Leib erfahren und erkannt. Wir haben uns in ihr gebadet, wir haben sie für uns angenommen. Und nun erwartet Johannes, dass wir diese Liebe in uns und durch uns wirken lassen.
Gottes Liebe soll in uns vollkommen sein, das heißt doch nichts anderes als dass unsere Liebe genauso grenzenlos, genauso bedingungslos sein soll wie die Liebe Gottes.
Doch das fällt schwer, das fällt außerordentlich schwer. Denn wir können dem Handeln dieser Terroristen doch kein Verständnis entgegenbringen. Auch wenn sie Opfer zahlreicher Einflüsse geworden sind, die sie zu Unmenschen gemacht haben, so hätten sie doch diese Barriere niemals überschreiten dürfen. Und dennoch ist die Liebe Gottes grenzenlos.
Wir stecken in einem Dilemma. Denn wenn wir die Grenzenlosigkeit der Liebe Gottes nicht akzeptieren wollen, dann laufen wir Gefahr, unser eigenes Heil in Frage zu stellen. Denn woher sollen wir dann wissen, dass Gott uns liebt, dass er uns bevorzugt vor den anderen, dass er uns erwählt?
Jedenfalls: so unschuldig, wie wir vielleicht meinen, sind wir ja nicht. Zwar läuft es mehr oder weniger gut mit unseren Nachbarn und Mitmenschen, wir raufen uns nicht, wir sind freundlich miteinander... aber in unseren Gedanken haben wir sicher schon den einen oder anderen zum Teufel geschickt, und das, so sagt Jesus, reicht schon aus, um mit Haut und Haaren verdammt zu werden.
Wir alle sind Sünder vor den Augen Gottes, und da spielt es überhaupt keine Rolle, wie groß die Sünde ist. Das haben uns die Worte Jesu in der Bergpredigt, die sogenannten Antithesen, deutlich gemacht. Ob es sich nur in unseren Gedanken abspielt, oder ob wir tatsächlich anderen Menschen schaden: es ist Sünde, die mit der Höchststrafe geahndet werden muss.
Da sähen wir in der Tat ganz schön alt aus, wenn nicht diese grenzenlose Liebe Gottes wäre, die, auf die wir uns verlassen, auf die wir uns einlassen können. Diese Liebe, die uns mit offenen Armen empfängt, wenn wir sie nur anzunehmen bereit sind.
Ja, Gott liebt uns, denn Gott ist die Liebe. Und diese Liebe ist es nun, die uns erfüllt – wem könnten wir sie vorenthalten? Dürfen wir sie überhaupt irgend jemandem vorenthalten? Wenn Gott so grenzenlos liebt, dann haben wir wohl kaum das Recht dazu, uns dazwischen zu stellen und anderen diese Liebe zu verwehren. Wenn wir es aber täten, dann würden wir Gott nicht kennen, wir würden seine wahre Größe einfach nicht wahrnehmen und darum in Einsamkeit untergehen.
Noch einmal zurück zu den Terroristen: Es fällt schwer, sie zu lieben, sehr schwer. Aber Liebe bedeutet ja auch nicht, gut zu heißen, was diese Menschen getan haben. Wir werden damit nicht zu Sympathisanten. Das, was sie getan haben, ist und bleibt verabscheuungswürdig.
Aber vielleicht hilft uns diese Vorstellung weiter:
Die grenzenlose Liebe Gottes ist zu vergleichen mit der Liebe eines Vaters oder einer Mutter. Und auch diese Terroristen haben Eltern, die sie lieben, trotz allem, was sie getan haben. Gewiss werden ihre Eltern verzweifeln und zutiefst traurig sein, so wie ich glaube, dass Gott jetzt zutiefst traurig ist, aber es ist kaum vorstellbar, dass die Liebe der Eltern ein Ende findet. Vielleicht ist es möglich – doch Gottes Liebe wird niemals aufhören.
So soll also unsere Liebe sein: wie die eines Vaters oder einer Mutter. Es ist die Liebe, die den Zurückkehrenden immer mit offenen Armen empfängt, immer Platz findet für diesen Menschen, der Reue empfindet über das, was er getan hat.
Jesus hat im Sterben dem Verbrecher an seiner Seite das Paradies zugesagt – auch hierin wird die grenzenlose Liebe Gottes offenbar. Nur wenn wir uns ganz auf diese Liebe einlassen, können wir auch an ihr teilhaben, können wir auch an Gott teilhaben, kann Gott in uns bleiben.
Es fällt nach wie vor schwer, diese Liebe konkret werden zu lassen. Doch das ist notwendig. Denn solche grenzenlose Liebe sieht nicht nur zu und leidet, sie will auch weitergegeben werden. Sie bietet sich jedem an, die offenen Arme müssen sichtbar werden für alle Menschen.
Das bedeutet natürlich nicht, Verbrechern hinterher zu laufen und ihnen zu sagen, dass das, was sie getan haben, gar nicht so schlimm ist. Denn es ist schlimm, ob es nun die Ermordung von Kindern ist oder der Diebstahl einer Handtasche. Wir lassen die grenzenlose Liebe Gottes nur dadurch sichtbar und wirksam werden, dass wir denen, die das Gefühl haben, allein zu sein und von niemandem geliebt zu werden, deutlich machen, dass sie nicht allein sind, dass sie eben doch geliebt werden, dass sie nicht vergessen wurden.
Wenn wir das tun, dann helfen wir vielleicht, dass diese Welt ein kleines bisschen erträglicher, freundlicher, liebevoller wird. Und dann bleibt Gott auch in uns.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Heilger Geist, du Tröster mein (EG 128)
Herz und Herz vereint beisammen (EG 251)
Strahlen brechen viele (EG 268)
Herzlich lieb hab ich dich, o Herr (EG 397)
Ich will dich lieben, meine Stärke (EG 400)
Liebe, die du mich zum Bilde (EG 401)
Ein wahrer Glaube Gott's Zorn stillt (EG 413)
Liebe ist nicht nur ein Wort (NB-EG 613)
Schalom, Schalom! Wo die Liebe wohnt (HN-EG 627)


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Predigtvorschläge zu Reihe M - Am 5, 4-7.10-15
Apg 4, 32-35
Jak 2, 14-18.26

zu Am 5, 4-7.10-15:
Liebe Gemeinde!
Es ist böse Zeit. Böse Zeit, weil das Recht mit Füßen getreten wird. Die Gerechtigkeit wurde zu Boden gestoßen. Es ist böse Zeit. Aber nicht alle Menschen spüren etwas davon.
Da sind solche, die die Gerechtigkeit wie einen Teppich vor sich ausgebreitet sehen und darauf einher stolzieren. Sie nehmen nicht wahr, was sie da tun. Sie glauben vielmehr, dass es so sein soll. Sie stehen über dem Recht, das die Armen schützt, ja, sie stehen auf dem Recht.
Die Armen spüren es um so mehr: sie sind gewissermaßen eingewoben in diesen Teppich der Gerechtigkeit, weil das Recht sie in Schutz nehmen will – und doch wird auch auf ihnen herum getrampelt, wenn das Recht mit Füßen getreten wird.
Der Prophet Amos, der diese Worte verkündigt, ist eine einzigartige Gestalt. Er ist der erste Schriftprophet im sogenannten Alten Testament, und er stammt aus dem Land Juda, also dem Südreich. Von dort wird er gerufen, um dem Nordreich Israel das Gericht anzukündigen. Und so wird ihm gleich zu Anfang von denen in Israel gesagt: geh wieder dahin, wo du hergekommen bist. Uns hast du nichts zu sagen.
Aber was soll Amos machen? Er ist in diese Aufgabe hineingerufen, er, der als Schafzüchter in Tekoa lebte, er hatte keine Wahl. Gott wollte ihn gebrauchen, und dem Willen Gottes konnte und wollte er nicht widerstreben.
Ganz ungeschoren kommt Juda, die Heimat des Amos, dabei übrigens auch nicht weg, aber sein Aufgabenbereich liegt nicht in Juda, sondern in Israel.
„Ihr habt das Recht in Wermut verkehrt und die Gerechtigkeit zu Boden gestoßen“, wirft er ihnen vor und sagt dann, wo es lang geht:
Sucht nicht die Heiligtümer auf in Bethel oder Gilgal, und auch nicht in Beerscheba. Davon habt ihr überhaupt nichts.
Sucht den HERRN, dann werdet ihr leben. Sonst aber ist euer Tod gewiss.
Dabei sind die Orte, die sie nicht aufsuchen sollen, gerade die Orte, wo man den Herrn zu finden meinte. Es sind Heiligtümer, zu denen man reiste, um Gott anzubeten. Orte, an denen sich etwas Besonderes ereignet hatte, an denen Gott den Menschen ganz nahe kam.
Wo sollten sie denn suchen, wenn nicht dort?
In unserem Urlaub besuchten wir eine Kirche, die mich sehr an diese Worte erinnerte. Viele Menschen kamen dorthin, weil sie dort Heilung ihrer Leiden erhofften – so als offenbarte sich Gott nur an solch bestimmten Orten, wo früher schon einmal etwas Besonderes geschehen war.
Wo also sollen sie denn den Herrn suchen, wenn nicht an solchen Orten? Amos bleibt die Antwort schuldig. So scheint es zumindest.
Aber in Wahrheit ist die Antwort ganz offensichtlich in dem was Amos sagt:
Tut Gutes. Hasst das Böse. Richtet das Recht auf, wenn ihr im Tor, wie es damals ja üblich war, den Streit zwischen zwei Parteien schlichtet. Entscheidet nicht nach Ansehen und Reichtum, sondern nach Recht. Lasst euch nicht bestechen.
Dann findet ihr auch Gott. Denn dann wird Gott bei euch sein. Dann müsst ihr ihn gar nicht erst suchen. Dann wird Gott euch gnädig sein.
Aber hier findet sich dann doch ein Vorbehalt. „Vielleicht“, sagt Amos. Denn all zu schwer wiegt das Unrecht, das seit Jahrzehnten die Schützlinge des HERRN unterdrückte. Vielleicht wird der Herr, der Gott Zebaoth, doch gnädig sein.
Suchet mich, so werdet ihr leben – das waren die Worte des HERRN, das er zum Hause Israel sprach. Sucht mich, indem ihr Recht sprecht und indem ihr Gerechtigkeit walten lässt.
Es mag einem schon zum Hals raushängen, immer wieder daran erinnert zu werden. Aber es ist nun mal so: Gott steht auf der Seite der Armen, der Unterdrückten, der Außenseiter. Und auch, wenn wir das nicht und nirgends wirklich sehen, weder in den Kriegsgebieten noch in den Hungerländern noch in unserem eigenen Land, so ist es doch wahr.
Israel, das Nordreich, wurde wenig später nach dieser Verkündigung zerstört. Für das Volk war es immer klar, dass Gott auf diese Weise sein Volk bestraft hatte.
Aber immer blieb auch ein Rest, dem er gnädig war.
Vielleicht sind unsere Aussichten dann doch etwas anders. Denn wir vertrauen darauf, dass durch Jesus Christus die Liebe Gottes alles andere zu überdecken vermag.
Doch gilt auch für uns das Gebot der Nächstenliebe. Auch wir sind aufgerufen, das Recht aufzurichten und Ungerechtigkeit nicht zu dulden. Der Wochenspruch aus dem Gleichnis vom Weltgericht erinnert uns daran: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.
Suchet mich, ruft auch uns der Herr Zebaoth zu. Suchet mich, so werdet ihr leben.
Die Botschaft des Amos ist heute so aktuell wie damals, vor etwa 2700 Jahren: in China, wo Menschenrechte auch zur Zeit der Olympischen Spiele mit Füßen getreten werden; in Georgien, wo ein unsinniger Krieg Angst und Schrecken verbreitet; in Afrika, wo täglich tausende Menschen verhungern; in Deutschland, wo die Zahl der Sozialhilfeempfänger stetig wächst.
Suchet mich, spricht der Herr Zebaoth, so werdet ihr leben; sucht mich nicht in den Heiligtümern, sondern dort, wo das Recht gebeugt und Gerechtigkeit in den Staub getreten wird. Dann wird der Herr bei euch sein.
Amen

Zu Apg 4, 32-35:
Liebe Gemeinde!
Etwa ein halbes Jahrhundert ist verstrichen, als Lukas die Geschichte der ersten Gemeinden aufschrieb. 50 Jahre – da kann man noch Menschen antreffen, die damals gelebt hatten, und natürlich hatte Lukas auch über viele Jahre, in denen er in den Gemeinden umhergereist war, sich erzählen lassen, wie es gewesen war, damals, als es alles seinen Anfang nahm.
Der ursprünglichen Erschütterung über den Tod Jesu war bald die Unruhe gefolgt, die der Geist Gottes mit sich bringt und ja eigentlich erst verursacht: das Evangelium muss weiterlaufen, du kannst nicht ruhig an deinem Ort bleiben und hoffen, dass andere an deiner Stelle davon reden. Die Apostel und andere reisten umher, blieben nur wenige Wochen an einem Ort und predigten das Evangelium, das schnell Wurzeln fasste und so neue Gemeinden entstehen ließ. Immer ging es auch um den Geist Gottes, der in diesen Gemeinden wirkte. Auf ihn war Verlass – es bedurfte keiner weiteren Präsenz eines Apostels, wenn der Heilige Geist in einer Gemeinde gegenwärtig war.
Diese vom Heiligen Geist verursachte Unruhe machte aber an dieser Stelle nicht Halt, sondern sie bezog sich auch auf das baldige Kommen Jesu, das man in den ersten Jahren und Jahrzehnten noch erwartete. Jesus hatte ja verkündet, dass er wiederkommen würde – wie lange sollte es noch dauern, bis das Reich Gottes offenbar würde?
Alles, was Jesus ihnen gesagt hatte, war wichtig geworden und wurde zum Bestandteil ihres Lebens, zur Lebensaufgabe, um damit auch sein Kommen gewissermaßen zu forcieren.
Und so hielten sie fest an der Lehre der Apostel – derer, die mit Jesus gewandelt waren – und gingen in den Tempel oder in die Synagogen zum Gebet, denn sie waren nach wie vor fromme Juden. Zugleich kam das Neue hinzu: das gemeinsame Essen in den Häusern, was zwar auch dem jüdischen Volk bekannt war, aber nur zum hohen Fest des Passah. Hier bekam es eine neue Bedeutung: dieses Mahl war ein Fest der Gemeinschaft untereinander und mit dem auferstandenen Herrn.
Die christliche Gemeinde versammelte sich in den Häusern, denn Kirchgebäude oder andere Versammlungsräume hatten sie anfangs nicht zur Verfügung. Und es war ganz selbstverständlich, dass sie miteinander teilten, was sie hatten.
Fünfzig Jahre ist es her, dass alles so begann, und nun schreibt Lukas es auf, hält es fest für die Nachwelt. Manches ist schon Vergangenheit und wird in der gewesenen Form nicht wiederkehren: etwa die Erwartung, dass Jesus zu Lebzeiten der ersten Generation wiederkehren würde, aber auch, dass man einmütig in der Lehre der Apostel blieb, denn inzwischen hatte man sich mit dem Judentum zerstritten, es gab mehr heidnische Christen als jüdische Christen, und auch unter den Christen war man sich nicht mehr so einig wie damals in den Anfängen.
Der Tempel war zerstört, Jerusalem dem Erdboden gleich gemacht.
Und auch die Gütergemeinschaft, die sich ja in den klösterlichen Gemeinschaften bis in unsere Tage hindurch trägt, war für die übrige Gemeinde kaum mehr zu verwirklichen.
Und darum fügt Lukas eine Erzählung an von Hananias und Saphira, die zwar ihren Acker verkaufen, dann aber das Geld nur zur Hälfte der Gemeinde geben und dabei den Fehler machen, zu behaupten, das sei alles, was sie bekommen hatten. Beide sterben eines plötzlichen Todes, ohne dass jemand Hand an sie legte. Es ist ein grausames Gottesurteil, das Lukas da schildert, ein Urteil, das die Menschen, die seine Aufzeichnungen lesen, daran erinnern soll, dass Aufrichtigkeit eine wesentliche Notwendigkeit für das Miteinander der Christen ist. Jesus Christus ist der Weg und die Wahrheit und das Leben – niemand kommt zum Vater denn durch ihn, und das bedeutet eben auch: nur dann, wenn man wahrhaftig bleibt.
Lukas will die, die es sich bequem gemacht haben, spüren lassen, wie unbequem ihre Lage eigentlich ist, und so müssen auch wir uns herausfordern lassen von diesen Worten, die vom Anfang der Christen erzählen.
Warum ist es so eigentlich nicht mehr möglich? Sind es zu viele? Sind die gesellschaftlichen und kulturellen Hintergründe der verschiedenen Christen zu unterschiedlich? Oder ist es schlicht der Starrsinn, der Egoismus oder die Gleichgültigkeit der Menschen, die es unmöglich machen, dieses Ideal christlicher Gemeinde weiter zu leben? Oder gibt es zu viele Menschen, die die Liebe Gottes gar nicht annehmen wollen und darum auch die Gemeinde Jesu Christi an der Verwirklichung des Ideals?
Für Lukas brachen diese Fragen zu seiner Zeit schon auf. Er sah, dass das, was Jesus gepredigt hatte und in ihm schon sichtbar geworden war, nicht durchgehalten werden konnte. Aber es war ihm wichtig, darauf hinzuweisen, dass es doch möglich ist.
Und darum ist da erst ein Barnabas, der seinen Acker verkaufte und das Geld – alles Geld – vor die Füße der Apostel legte.
Natürlich ist es möglich. Aber wir werden uns gleich die Frage stellen: wem vertraue ich meinen Besitz an? Wenn ich wenigstens die Gewähr habe, dass es nicht genutzt wird, damit sich einzelne daran bereichern, bin ich zufrieden – und wenn ich selbst nicht am Hungertuch nagen muss, sondern in Frieden und ohne Sorge leben kann, ist es um so besser.
So war es gedacht, so fing es an, das Christentum, mit der Freiheit von allem, was uns in dieser Welt bindet, heute vielleicht mehr als damals, aber das glaube ich eigentlich nicht. Denn auch damals ging es um die Existenz, nicht nur um das eigene Leben, sondern auch um das der Familie, und darüber hinaus natürlich auch um die gesellschaftliche Stellung, die man durch solches Handeln verlieren konnte.
Was bindet uns? Diese Frage stellt uns Lukas mit diesem kurzen Schlaglicht auf die ersten Christen: die Menge der Gläubigen waren ein Herz und eine Seele.
Heute ist die Christenheit von Spaltungen und Trennungen geprägt. Unterschiedliche Konfessionen sind nicht zur Versöhnung bereit, und wo Gespräche geführt werden, merkt man doch auch, dass es über eine bestimmte Grenze nicht hinausgehen kann. Und diese Grenze: sie ist fast immer da, wo es um Macht geht. Denn dann bedeutet ihr Überschreiten Machtverlust. Und dazu sind Menschen wohl am wenigsten bereit.
Damals war es klar: die Macht gehört alleine Gott. Und so ist es auch heute. Nur einem gebührt die Macht und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Und so war es auch gar nicht schwierig, das wirklich werden zu lassen, was Lukas da beschreibt:
Es war keiner unter ihnen, der Mangel hatte.
Es liegt an uns, damit das wieder Wirklichkeit werden kann.
Amen Zurück zum Anfang