das Kirchenjahr

Laetare

Für euch dahingegeben

Predigtbeispiele

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Zu den Perikopen

Predigtvorschläge zu Reihe I - Joh 6, 47-51

Liebe Gemeinde!
1. Glaube
„Wer glaubt, der hat das ewige Leben!”
Ist das nicht wunderbar? Ich glaube, also habe ich das ewige Leben!
Doch schon während ich diese Worte ausspreche, regt sich in mir die Frage: kann das denn sein? Und wenn es so ist – ist mein Glaube stark genug, oder glaube ich das Richtige, oder glaube ich richtig?
Und schon ist es weg, dieses wunderbare Gefühl, das einem durch das Wissen, das ewige Leben zu haben, vermittelt wird.
„Wer glaubt, der hat das ewige Leben.”
Es scheint so einfach, womöglich zu einfach.
Vermutlich darum fangen wir an zu deuteln, zu hinterfragen, zu zweifeln. Denn das kann doch nicht stimmen, es kann nicht so einfach sein!
Und was ist ewiges Leben? Wir sehen doch ständig den Tod vor Augen. Liebe Menschen sterben, es geschehen Unfälle, Kriege führen uns immer wieder deutlich vor Augen, dass nichts unendlich ist, und Naturkatastrophen beweisen, wie hilflos wir manchmal sind. Wo ist da das ewige Leben?

Nicht umsonst stellt Jesus dagegen eine Bedingung, die der Erfahrung des ewigen Lebens vorausgeht: „Wer glaubt, der hat das ewige Leben.”
Glaube ist also die Bedingung – der Glaube an Jesus Christus.
Glaube, so heißt es im Hebräerbrief, ist „eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.” (Hebr 11, 1)
Glaube rechnet mit dem, was eigentlich nicht möglich zu sein scheint oder sogar nach unseren wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht möglich ist.
Wer glaubt, muss in unserer aufgeklärten Welt damit rechnen, wenigstens etwas misstrauisch beäugt oder wenigstens mitleidsvoll belächelt zu werden, denn Glaube spielt in unserer Gesellschaft eine immer geringere Rolle.
Es gehört also schon etwas Mut zum Glauben.
Man muss sich einlassen auf das Unbekannte, auf das, was unsere Vorstellungskraft sprengt und weit über alles Vernünftige hinaus geht.
Glaube ist neben der Zuversicht auf das, was man hofft, und dem Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht, auch ein Fürmöglichhalten dessen, was eigentlich unmöglich erscheint. Denn der Glaube rechnet mit Gott; er rechnet mit seiner Fähigkeit, völlig Neues zu schaffen und damit auch die Naturgesetze, die uns so unumstößlich scheinen, auszuhebeln.
Gott kann das. Wer diesen Satz aus seinem Herzen heraus sprechen kann, der glaubt. Aber er begibt sich mit einer solchen Aussage in den Augen seiner Mitmenschen mitunter auf recht dünnes Eis, das nur dann tragfähig bleibt, wenn der Glaube tragfähig ist.
2. Brot des Lebens
Das 6. Kapitel des Johannes-Evangeliums, aus dem unser Predigttext stammt, dreht sich überwiegend um das eine Stichwort: Brot. Man könnte es überschreiben mit:
„Jesus – das Brot des Lebens”.
Nachdem er mit 5 Gerstenbroten und zwei Fischen eine Menge von 5000 Männern (Frauen und Kinder wurden also nicht mitgezählt) gesättigt hatte, sollte er zum König ernannt werden. Weil er das nicht wollte, entzog er sich der Menge und überquerte später den See Tiberias, um dann nach Kapernaum zu gehen. Dort wurde er wieder von den Menschen gefunden, die am Tag zuvor das sogenannte Brotwunder erlebt hatten.
Jesus stellt die Motivation dieser Menschen in Frage. Warum sucht ihr mich? Doch nur, weil ich 5000 Menschen mit so wenigen Broten gespeist habe. Ihr wollt, dass ich das immer wieder tue. Aber das könnt ihr doch auch selber machen. Verschafft euch Speise, die nicht vergänglich ist, sondern die bleibt zum ewigen Leben. (Joh 6, 27)
Und dann beginnt er, von sich als dem Menschensohn zu reden, der diese unvergängliche Speise geben kann.
Obwohl die Menschen das Brotwunder gesehen hatten, begannen sie nun zu zweifeln; sie wollten noch mehr Wunder sehen. Doch dann begehren sie von ihm diese ewige Speise: „Herr, gib uns allzeit solches Brot.” (Joh 6, 34)
Und Jesus erwidert darauf dies:
„Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.” (Joh 6, 35)
Wieder folgt der Zweifel: wie kann das möglich sein? Er ist Jesus, der Sohn Josefs, aus Nazareth. Wie kann er sagen, er sei vom Himmel gekommen? Denn genau das hatte er über das Brot des Lebens gesagt.
Auf diesen Zweifel folgt die Antwort aus unserem Predigttext: Wer glaubt, der hat das ewige Leben. Wer das Unmögliche für möglich hält, dem öffnet sich der Himmel.
Und noch einmal erklingen die Worte: „Ich bin das Brot des Lebens.” (Joh 6, 48)

Es ist ziemlich offensichtlich, dass der Evangelist Johannes mit diesem Kapitel auf die Praxis und das Verständnis des Abendmahls anspielt, die sich zu der Zeit, als er das Evangelium schrieb, schon gefestigt hatte.
Brot des Lebens – lebendiges Brot – Jesu Fleisch, hingegeben für das Leben der Welt – das sind die Kernworte aus unserem Predigttext.
Vielen Menschen fällt es schwer, nachzuvollziehen, was es bedeutet, wenn wir sagen: „Christi Leib, für dich gegeben”, und damit das Brot meinen, das beim Abendmahl ausgeteilt wird.
Wie kann das, diese dünne, platte, geschmacklose Hostie, Christi Leib sein?
Die Theologen haben sich über viele Jahrhunderte noch ausführlich mit dieser Frage befasst, und auch zur Zeit der Reformation bewegte diese Frage die Gemüter. Man hat sich dabei einer Lehre des griechischen Philosophen Aristoteles bedient, der erklärte, dass jedes Ding eine Substanz habe, die im Grunde den Kern der Sache ausmache, aber sinnlich nicht wahrnehmbar sei. Es geht also nicht um die Farbe oder die Form, sondern um das ganz Wesentliche, das, was die Sache im Kern bestimmt. Für uns Lutheraner gilt, dass sich die Substanz des Leibes Jesu während des Abendmahls mit der Substanz des Brotes verbindet, und wir so den Leib Christi in der Gestalt des Brotes zu uns nehmen.
Der Leib Christi nimmt die Form des Brotes an, er verbirgt sich gewissermaßen im Brot – und damit wir nicht durch den Geschmack des Brotes abgelenkt oder irritiert werden, ist das Brot, das zum Abendmahl gereicht wird, weitgehend ohne Geschmack.
Aber man könnte noch immer fragen, wie denn der Leib Christi in das Brot kommt. Doch diese Frage lässt sich leicht beantworten, wenn wir glauben, dass Jesus als der Sohn Gottes überall gegenwärtig ist, so wie er zugesagt hat, und sein Leib nach der Auferstehung und Himmelfahrt in der gleichen Weise allgegenwärtig sein kann.
Letztlich wird Jesus gegenwärtig in den Gaben des Abendmahls durch die Zusage Jesu, die in den Einsetzungsworten gesprochen wird. Dies ist mein Leib – dies ist mein Blut, für euch gegeben. Aber das sind alles theoretische Überlegungen, mit denen man versucht hat, das Wesentliche des Abendmahls dem Verstand zugänglich zu machen.
Für Jesus scheint es viel einfacher zu sein: „Wer glaubt, der hat das ewige Leben”. Wer glaubt, dass er im Abendmahl das Brot des Lebens, den Leib Christi, zu sich nimmt, der hat auch Teil an der Ewigkeit. Denn Jesus ist das Brot des Lebens, und wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit. (Joh 6, 51b) Das muss man nicht verstehen, man muss es glauben.
Manchen ist es genug, im Abendmahl eine Feier der Gemeinschaft und der Erinnerung an das damalige Abendmahl zu sehen. Das würde es auch viel einfacher machen. Man müsste nichts zu erklären versuchen.
Dies ist vielleicht auch darum die Position Johannes Calvins und Ulrich Zwinglis gewesen, aus deren Verkündigung dann die Reformierte Kirche erwachsen ist.
Zwingli war so weit gegangen, zu sagen, dass es sich nur um die Gemeinschaft der Christen untereinander handele, um eine Erinnerungsfeier gewissermaßen, ganz im Sinne der Aufforderung: solches tut zu meinem Gedächtnis. Calvin meinte dann aber ergänzend, dass die Gemeinde natürlich auch die Gemeinschaft mit Jesus genieße, indem die Seelen während des Abendmahls durch den Heiligen Geist in den Himmel gehoben würden und dort die Gemeinschaft mit Christus erlebten.
Aber mehr konnten beide nicht im Abendmahl erkennen.
Es ist natürlich wahr, dass das Abendmahl auch eine Feier der Gemeinschaft und der Erinnerung ist. Aber so wie hier bei Johannes hatte Jesus während des Abendmahls mit seinen Jüngern gesagt: „Dies ist mein Leib” und „Dies ist mein Blut”, und damit auf Brot und Wein hingewiesen. An diesen Worten hat Martin Luther festgehalten.
Vielleicht hilft tatsächlich die philosophische Sichtweise des Aristoteles. Aber Jesus hat sicher nicht an den Philosophen gedacht, als er so das Abendmahl einsetzte. Für ihn ist nur eins wichtig: der Glaube. Und so mögen wir wohl mit dem Vater, der sein besessenes Kind zu Jesus brachte, rufen: „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!” (Mk 9, 24) Denn immer werden wir unbeantwortete Fragen haben, und immer wird sich der Zweifel regen. Die Antwort auf unsere Fragen und unseren Zweifel kann nur von Gott selbst her kommen. Und darum würde ich Glaube selbstverständlich auch in dem Menschen erkennen, der bei Gott Antworten auf seine Fragen sucht.
„Ich glaube, Herr; hilf meinem Unglauben!”
Ich glaube – vielleicht nur ein kleines bisschen, aber wer kann Glauben schon messen? Und außerdem genügt ja auch schon ein kleines bisschen Glaube, um Berge zu versetzen, wie Jesus gesagt hat.
3. Ewiges Leben
„Wer glaubt, der hat das ewige Leben.”
Jesus Christus verbindet mit dem Heiligen Abendmahl das Geschenk des ewigen Lebens: „Wer von diesem Brot isst, der wird leben in Ewigkeit.” (Joh 6, 51b)
Ja, wie ist das mit dem ewigen Leben? Die Lebenserwartung ist in unseren Breiten zwar in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angestiegen, aber von ewigem Leben kann man da beim besten Willen nicht sprechen. Denn das wissen wir sicher: jeder Mensch wird sterben.
Und darüber hinaus ist es mit dem ewigen Leben ja ohnehin nicht so einfach. Man kann es sich gar nicht so richtig vorstellen.
Wie sollen die Milliarden von Christen, die seit damals, als Jesus Christus die Botschaft vom Reich Gottes verkündigte, gestorben sind, noch Platz finden? Und wie will Gott den Überblick behalten? Und wäre es nicht schrecklich langweilig, ewig zu leben? Viele Menschen in hohem Alter wünschen sich den Tod, weil sie müde geworden sind. Der Tod wird da zu einer Erlösung. Und nun soll das in die Ewigkeit hinein verlängert werden?
Und was wäre das für ein Leben, das man mit Milliarden von Menschen irgendwo in der himmlischen Sphäre, im Reich Gottes, verbringt?
Solche Fragen wurden mir schon öfter gestellt, und nicht nur von Kindern oder Konfirmandinnen oder Konfirmanden, sondern auch und besonders von Erwachsenen.
Es sind Fragen, die durch den Verstand ausgelöst werden, der wiederum nur das gelten lässt, was man mit seinen Sinnen wahrnehmen oder wenigstens berechnen, auf jeden Fall aber beweisen kann.
Und da hört es mit der Ewigkeit auf. Wir können sie uns beim besten Willen nicht vorstellen, weil alles, was wir kennen, zeitlich ist. Es gibt Zeiten, von denen wissen wir nichts mehr. Ewigkeit würde aber bedeuten, dass alles präsent ist, alles ist gegenwärtig. Es gibt kein gestern und kein Morgen, weil es keine Zeit gibt. Und dann ist die Ewigkeit natürlich auch nicht langweilig, weil sie nicht ewig dauert, so wie eine zu lange Predigt. Denn das wäre mit der Zeit gemessen. Ewigkeit ist alles in allem, Ewigkeit ist die Vollkommenheit. Ewiges Leben bedeutet, in Gottes Gegenwart zu leben, oder vielleicht besser: in Gottes Gegenwart zu sein. Und so können wir etwas von der Ewigkeit auch in diesem Leben schon erfahren, dann nämlich, wenn wir die Nähe Gottes erleben, so wie z.B. in der Feier des heiligen Abendmahls, oder in der stillen Meditation, oder im Gebet. Es gibt Dinge, die müssen geglaubt werden, damit sie wahr werden können. Da hilft kein Deuteln, keine noch so schöne, vernünftige Konstruktion, die sogar ein Atheist nachvollziehen könnte, wenn er sich dem Philosophen Aristoteles nicht verschließt.
Denn da ist mehr als die Vernunft. Und dieses Mehr erschließt uns der Heilige Geist, um den wir nicht aufhören sollten zu bitten.
Und darum gilt für uns: „Wer glaubt, der hat das ewige Leben.”
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude (EG 66, 1.4.8)
Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen (EG 221)
Das Wort geht von dem Vater aus (EG 223)
Herr, gib uns unser täglich Brot (EG 464)
Aus ungewissen Pfaden (KHW-EG 578)
Jesus Brot, Jesus Wein (KHW-EG 581)
Du hast gesagt: „Ich bin das Brot” (KHW-EG 602, 4)


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Predigtvorschläge zu Reihe III - Joh 12, 20-24

Liebe Gemeinde!
Ein Soldat weigert sich, den Befehl auszuführen. Er weiß, dass die Rakete, die der Knopfdruck, der ihm gerade befohlen wurde, starten wird, tausende Menschen töten würde - viele davon haben diesen Krieg nie gewollt, niemand von diesen Menschen hat ihn je angegriffen. Sein Vorgesetzter herrscht ihn an, aber er bleibt dabei, er wird den Knopf nicht drücken. Schließlich wird er abgeführt, wegen Befehlsverweigerung wird ihm der Prozess gemacht werden, die unehrenhafte Entlassung steht ihm bevor, vielleicht auch eine lange Zeit im Gefängnis. Ein anderer drückt an seiner Stelle auf den Knopf.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt...
Eine Sozialhilfeempfängerin hat von dem Elend der Kinder in den Entwicklungsländern gehört. Sie vertraut darauf, dass die Organisation der Kindernothilfe gute Arbeit leistet, und ist bereit, monatlich 31 Euro von der Sozialhilfe abzuzweigen, um so einem Kind in einem Entwicklungsland eine gute Zukunft zu ermöglichen. Denn sie weiß, dass es ihr selbst mit der Sozialhilfe noch weitaus besser geht als vielen Kindern in den Entwicklungsländern, die noch nicht einmal die Möglichkeit haben, sich neue Kleidung zu verschaffen, und oft ihren Hunger nicht stillen können.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt...
Der Vater ist ein Pflegefall geworden. Als es darum ging, zu entscheiden, ob er in ein Heim kommt, hat sich die Tochter bereit erklärt, ihn in ihre Wohnung aufzunehmen und zu versorgen. Seitdem sind 10 Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sie selten einen Tag gehabt, an dem sie selbst ihren Tagesablauf bestimmen konnte. Ihre Freiheit war seitdem drastisch eingeschränkt. Dennoch hat sie ihren Entschluss nie bereut.
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt...

Millionen Soldaten folgen den Befehlen ihrer Befehlshaber. Dazu sind sie ausgebildet. Sie fragen nicht nach dem Warum, sie fragen nicht, ob es richtig ist, was sie tun. Sie lernen, sich im Kampf zu behaupten, damit sie nicht selbst den Tod finden. Darauf kommt es an - stärker zu sein als der Feind. Der Befehlshaber weiß, was zu tun ist, und darum folgen sie seinen Befehlen. So nur können sie sich aufeinander verlassen, wenn die Befehle strikt befolgt werden.
Wer sein Leben liebhat, der wird's verlieren...
Ein Mann ist dankbar, dass er seine Arbeitsstelle hat - das ist ja heutzutage nichts Selbstverständliches mehr. Aber es reicht nicht für ihn, seine Frau und ihr gemeinsames Kind. Es ist teuer, zwei Autos zu unterhalten, und die Schulden, die sie aufnehmen mussten, um ein eigenes Haus bauen zu können, belasten das Einkommen. So arbeitet die Frau mit. Dafür haben sie ein recht komfortables Leben. Aber natürlich bemüht er sich um eine Gehaltserhöhung, denn selbst jetzt ist es noch nicht genug.
Wer sein Leben liebhat, der wird's verlieren...
Als es darum ging, zu entscheiden, ob die Mutter ins Pflegeheim kommt oder nicht, war es schnell klar: Der Sohn wollte sich seine Freiheit nicht nehmen lassen. Wer weiß, wie lange sie ein Pflegefall sein würde? Und die Mutter wollte ihm natürlich auch nicht zur Last fallen. So kam sie in ein Heim. Die anfänglich täglichen Besuche wurden immer seltener, immer öfter fand man Ausreden. Zuletzt kam er nur noch einmal im Monat, um nach ihr zu sehen.
Wer sein Leben liebhat, der wird's verlieren...

„Wir möchten Jesus gerne sehen”, so fragen einige Griechen den Jünger Philippus. Ja, ich möchte auch gerne Jesus sehen. Nur zu gerne. Denn dann, so stelle ich es mir vor, hätte ich alle Antworten. Es gäbe keine Fragen, keine Zweifel mehr. Ich wüsste: ich bin auf dem richtigen Weg, denn er ist bei mir.
Diese Gewissheit hatten sich die Griechen damals sicher auch gewünscht. Sie waren Suchende, die schon etwas gefunden hatten im jüdischen Glauben, der sonst in der griechischen Welt wenig Ansehen genoss. Der jüdische Glaube war für diese Männer das Risiko wert, in ihrer Umwelt verachtet zu werden. Doch spürten sie, dass sie das Ziel ihrer Suche noch nicht gefunden hatten. Und darum wurden sie hellhörig, als sie von Jesus erfuhren. War er ihr Ziel?
Oft begegne ich Menschen, die ganz klare Ziele vor Augen haben. Sie wissen, was sie wollen. Ganz oben steht natürlich eine gesicherte Existenz, die in unserem Land überhaupt kein Problem darstellt. Aber dann möchte man Karriere machen. Denn es gibt viele Dinge, die man sich kaufen möchte, für die man aber auch Geld braucht. Um Karriere zu machen, muss man sich profilieren, man muss Rückgrat haben, unliebsame Konkurrenten müssen aus dem Weg geschafft werden.
Auch der Wettbewerb mit den Nachbarn spielt meist eine wichtige Rolle: ich bin besser als die oder der, und das werde ich unter Beweis stellen. Das kostet Kraft und meist auch Geld.
Aber was für ein Ziel ist das eigentlich. Wohin führt uns ein solcher Weg? Wenn man es genau betrachtet, basiert dieses Verhalten auf dem Gesetz des Dschungels: der Stärkere überlebt, der Schwächere stirbt. Was im Weg ist, wird aus dem Weg geräumt. Ich muss um alles in der Welt oben mitschwimmen, ich darf nicht untergehen, in der Masse verschwinden.
Ein solcher Weg ist alles andere als menschlich. Er missachtet die, die Hilfe brauchen. Ein Mensch, der einen solchen Weg geht, hat nichts mit dem Ebenbild Gottes zu tun. Er ist ein Ebenbild des Tieres, das nach seinen Instinkten handelt, vielleicht aber noch mehr Mitgefühl zeigt, als es solch ein Mensch tun würde.
Ich möchte Jesus gerne sehen. Seine Antwort an die Griechen, und damit sicher auch an mich, ist nicht: komm her, sonne dich in meiner Gegenwart, lass dir die Sicherheit geben, die du suchst, lass allen Zweifel fallen. Nein, so antwortet Jesu nicht. Seine Antwort ist merkwürdig, sie ist vielschichtig, und doch klar. Er sagt:
Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. Wer sein Leben lieb hat, der wird's verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten zum ewigen Leben.
Das Bild vom Weizenkorn ist schon beeindruckend. Dieses kleine Korn wird zu einem großen Halm, an dem es die vielfache Zahl dessen trägt, was es selbst einmal war. Dazu braucht es nur Wasser, Sonnenlicht, ein paar Mineralien - und schon entsteht diese beeindruckende Pflanze. Das Weizenkorn bringt viel Frucht. Aber damit es dazu kommen kann, muss sich das Weizenkorn selbst aufgeben. Es muss sterben. Und doch stirbt es ja nicht. Es lebt in dem Halm weiter, es vermehrt sich.
Jesus bringt es dann noch einmal auf den Punkt, wendet dieses Wort auf das menschliche Leben an. Wer sein Leben lieb hat, wird's verlieren. Wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's erhalten.
Liebe und Hass, das sind starke Gefühle, die man gegen sein eigenes Leben nur schwer hegen kann. Man liebt oder hasst, was außerhalb von einem ist, aber doch kaum das eigene Leben. Auch würde es im Widerspruch zum Gebot der Nächstenliebe stehen, wenn man sich selbt hasst, denn darin heißt es ja, man solle seinen Nächsten lieben wie sich selbst. Wenn man sich selbst hasst, wie kann man dann seinen Nächsten lieben?
Aber das ist es ja nicht. Wir sollen nicht uns selbst hassen, sondern das Leben, das wir leben. Das Leben, das nach dem Gesetz des Dschungels geführt wird: um jeden Preis oben bleiben, beweisen, dass man der Stärkere ist, niemals nachgeben.
Die Alternative zu diesem Leben ist klar: bereit sein, sein eigenes Leben aufzugeben, und nicht darauf zu warten, dass irgend jemand es von uns fordert, sondern alles aufgeben, was uns daran hindert, Frucht zu bringen. Die Sorge für unseren Nächsten, für die Menschen im Irak, für die tausende von Kindern, die in dieser Stunde verhungern, für die Außenseiter in unserer Gesellschaft, und der Einsatz gegen die Herrschaft des Geldes, das ist es, was Jesus gemeint hat.
Sie haben alle am Eingang ein Weizenkorn bekommen. Mit diesem Weizenkorn können Sie nun symbolisch zeigen, dass Sie bereit sind, Jesus zu folgen: Hier vorne steht eine Schale mit Erde, in die Sie ihr Samenkorn legen können. Ich werde uns dann von Zeit zu Zeit an diese Saat erinnern.
Nun kommen Sie nach vorne und legen Ihr Samenkorn in die Erde.
...
Gott segne alles, was Ihr in der Nachfolge seines Sohnes Jesus Christus tut.
Amen

(Gehalten am 30.3.2003)
oder
Die nachfolgende Predigt wurde mit einer Aktion verknüpft, in der die Gemeindeglieder je ein Weizenkorn bekamen, um es mit nach Hause zu nehmen und dort einzupflanzen.
Liebe Gemeinde,
Mit den Griechen fängt es an.
Sie haben eine lange Strecke zurückgelegt. Sie gehören zu den sogenannten Proselyten. Das sind Menschen, die den jüdischen Glauben angenommen haben, aber von der Geburt her nicht zum jüdischen Volk gehören.
Sie waren in den Synagogen gern gesehen, und durften natürlich auch am Tempelkult teilnehmen. Und so waren sie zur Feier des Passah-Festes nach Jerusalem gekommen.
Wie alle Juden, so erwarteten sie den Messias. Aber vielleicht war ihre Erwartung schon etwas anders, denn sie teilten ja nicht die Geschichte des jüdischen Volkes. Aber was sie in dem Messias sahen, das wissen wir nicht.
Auf ihrem Weg nach Jerusalem mussten sie von Jesus gehört haben. Was sie da gehört hatten, hatte sie so sehr beeindruckt, dass in ihnen der Wunsch wuchs, Jesus zu sehen und ihn zu hören. Sie wollten ihm Fragen stellen über den Glauben. Sollte er der Messias sein?
Vielleicht waren sie aufgeschlossener als manche andere. Sie hatten ja erst im Laufe ihres Lebens beschlossen, Juden zu werden, und sich das sicher gut überlegt. Sie waren begierig danach, mehr von Gott zu erfahren, und sahen vermutlich in Jesus einen Lehrer, der ihnen Antworten geben konnte auf die Fragen, die bisher unbeantwortet geblieben waren.
In Jerusalem angekommen, stand natürlich das rituelle Handeln rund um das Passafest im Vordergrund.
Aber als sie durch die Stadt gingen, sahen sie einen, der von Jesus erzählte. Er stand an einer Straßenecke und sprach zu den Menschen, die vorübergingen. Manche waren stehen geblieben und hörten ihm zu. Andere gingen achtlos vorüber, wieder andere schüttelten den Kopf oder schimpften mehr oder weniger laut über diesen Straßenprediger.
Es war Philippus, ein Jünger Jesu. Der, den Jesus mit den Worten „Folge mir nach!“ in seine Nachfolge gerufen hatte.
Die Griechen gingen auf ihn zu und legten ihm ihr Anliegen vor. „Wir möchten Jesus gerne sehen.
Ja, wer möchte das nicht?
Es ist eigentlich eine geringe Bitte, die leicht zu erfüllen wäre. Aber irgendwie fühlt man sich erinnert an das, was man heute um so manchen Star, Schauspieler oder Musiker, herum erlebt:
Man kommt an diese Personen nicht mehr heran. Sie verschließen sich der Öffentlichkeit, lassen sich schützen, weil sie sonst wohl kaum vorwärts kommen würden und sicher auch um ihre Gesundheit, wenn nicht gar um ihr Leben fürchten müssten.
Aber ist es mit Jesus etwa genau so? Ist er so unnahbar? Wir wissen ja von Geschichten, in denen er ganz nahbar ist.
Aber für uns ist er so unnahbar wie jene Stars, denn er ist ja nicht hier, er lebt nicht in Sunstedt, so dass man ihm zufällig oder auch absichtlich über den Weg laufen könnte.
Er ist vielmehr bei seinem himmlischen Vater, und uns wird es schwer fallen, dorthin zu kommen, solange wir in dieser Welt sind.
Aber damals, als Jesus noch lebte? War er da so unnahbar wie so mancher Star heute?
Es gibt eigentlich keinen Grund, so zurückhaltend, ja, sogar ehrfürchtig, zu sein, wie es die Griechen damals waren. Jesus war immer offen für die Begegnung mit den Menschen. Und so verwundert es umsomehr, wie schwierig es zu sein scheint, dieses Anliegen der Griechen an Jesus heranzutragen.
Philippus wendet sich erst an Andreas, der noch vor ihm in die Nachfolge gerufen worden war, und dann gehen sie gemeinsam zu Jesus, wo sie die Bitte der Griechen vortragen.
Es scheint tatsächlich so, als erwarteten sie eine Abfuhr. Als fürchteten sie den Zorn Jesu. Aber warum nur? Es leuchtet nicht wirklich ein. Und es geht auch nicht erhellend weiter.
Die Griechen, die ein so vitales Interesse gezeigt haben und die alle Vorsicht walten ließen, um Jesus nicht vor den Kopf zu stoßen, kommen gar nicht zum Zuge. Jesus gibt eine Antwort, ohne dass sie überhaupt zu ihm kommen können. Eine Antwort, die an dieser Stelle rätselhaft scheint.
Die Zeit ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde.
Warum sagt er so etwas, nachdem ihm gesagt wurden, dass da einige Griechen sind, die ihn gerne sehen würden?
Die Zeit ist gekommen, sagt er. Haben die Griechen vielleicht damit zu tun? Ist ihr Auftreten das Signal, dass es nun soweit ist? Oder will Jesus damit sagen: die Griechen können nicht mehr zu mir kommen, denn nun sind andere Dinge dran?
Will er sagen, dass es jetzt um seine Verherrlichung geht und nicht mehr darum, den Menschen Antworten zu geben? Will er vermitteln, dass seine Verherrlichung letztlich die Antwort auf alle Fragen sein wird?
Ist es das?
Vielleicht. Aber wenn Jesus von Verherrlichung redet, denkt man natürlich nicht an den Tod. Man denkt an etwas Prunkvolles, Herrliches eben. An einen goldenen oder wenigstens vergoldeten Thron etwa, an einen großen Triumph, an tausende jubelnder Menschen, an die Zurschaustellung von Macht und Glorie, an Musiker, Chöre, Pauken und Trompeten.
Aber das ist nicht gemeint, und darum fügt Jesus den Satz an, der unser Wochenspruch ist:
Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein. Wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht.
Schön hat Luther das übersetzt: ersterben. Ein merkwürdiges Wort, wenn man es sich genauer betrachtet. Sterben, das wäre doch richtig. Andere Übersetzungen haben es auch so gemacht – die gute Nachricht etwa oder die Einheitsübersetzung. Sie kennen nur das Sterben.
Aber es liegt etwas in dem Wort Ersterben, das die Endgültigkeit des Todes, wie wir sie sonst wahrnehmen, herausfordert. Der Tod, von dem hier die Rede ist, ist nicht endgültig, es liegt vielmehr ein Aufbruch in diesem „Ersterben“.
Ersterben, das hat etwas von „Erbauen“. Genauso, wie es das Weizenkorn uns verdeutlicht. In seinem Tod beginnt etwas Neues. Es stirbt also nicht, sondern es erstirbt.
Es ersteht zu neuem Leben. Einem Leben mit vielfältiger Frucht.
Ein Weizenkorn ist klein und unscheinbar. Und dennoch steckt eine ungeheure Kraft darin. Die Kraft, einen Halm hervorzubringen, der am Ende das Vielfache von sich selbst trägt. Das Staunen hält an, wenn wir den Halm betrachten, dieses dünne, lange Etwas, an dessen Ende das Vielfache seines eigenen Gewichtes getragen wird.
Aber damit es soweit kommen kann, muss etwas geschehen. Das Weizenkorn, der Same, muss in die Erde gelangen. Dort erst ist das, was es zur Entfaltung, zum Ersterben, braucht. Aber ist es erst einmal dort, beginnt eine eigenartige Verwandlung. Das Dunkel der Erde, die Feuchtigkeit veranlassen das Weizenkorn dazu, das hervorzubringen, was ohne Licht nicht bestehen kann. Im Grunde ein Paradox. Wir können das Weizenkorn jahrelang in die Sonne legen, es wird sich nichts tun.
Erst wenn es im Dunkeln erstorben ist, wird die ganze Herrlichkeit, die in diesem Korn schon verborgen ist, sichtbar.
So vergleicht Jesus seine Existenz mit dem des Weizenkorns. Der Tod am Kreuz ist seine Verherrlichung, sein Ersterben. Hier wird die Macht Gottes erkennbar. Hier wird seine Liebe sichtbar, und dazu auch die Macht über den Tod. Denn so wie das Weizenkorn nur scheinbar stirbt und am Ende ja doch neues Leben aus ihm ersteht, so überwindet Jesus den Tod, indem er zuerst in die Finsternis des Todes eindringt, und öffnet uns damit den Weg zum Leben.
Wir sind in die Nachfolge gerufen. Nachfolge bedeutet, eben auch dies zu durchleben, dieses Bild vom Weizenkorn auch auf unser Leben wirken zu lassen. Und so sagt Jesus:
Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.
Wer sein Leben lieb hat – das meint, wer an seinem Leben hängt, wer es festhalten will, weil er den Tod fürchtet – der wird es verlieren, dann nämlich, wenn er stirbt. Dann ist das Leben auch zu Ende, ganz so, wie dieser Mensch es gefürchtet hat.
Wer sein Leben hasst – das ist nun ein starker Gegensatz zur Liebe, aber es stimmt ja. Das Gegenteil der Liebe ist Hass oder Verachtung.
Nun ist es so, dass wir das gerne abschwächen würden. Muss man sein Leben wirklich hassen, um das Ziel zu erreichen, nämlich das ewige Leben? Es kommt in diesen Worten Jesu noch etwas hinzu, was im ersten Teilsatz nicht war: in dieser Welt.
Damit bringt Jesus zum Ausdruck, dass es keinen Sinn hat, das Leben in dieser Welt in irgendeiner Weise fest zu halten. Es ist die enge Verknüpfung des Lebens mit dieser Welt, um die es geht. Wir sollen unser Leben transzendieren, also zu Gott hinüber bringen. Wir sollen es im Licht Gottes sehen. Dann dürfen wir es auch weiterhin lieben. Und nur dann kann unser Leben auch gelingen.
Wer es in Verbindung mit dieser Welt hasst – also, wem es nicht nur egal ist, ob er nun reich oder arm, immer vorne oder immer am hinteren Ende steht – sondern wer sein Leben so gestaltet, dass es dem Willen Gottes entspricht, dass es ganz und gar gottgefällig ist, dass es gewissermaßen von Gott durchdrungen ist - der wird sein Leben bewahren zum ewigen Leben.
Nach diesen Worten Jesu kommt uns also, wenn wir ihm nachfolgen wollen, durchaus eine Aufgabe zu. Wir sind nicht rein passiv, wir trotten Jesus nicht nur hinterher, sondern wir gestalten unser Leben aktiv so, dass auch an uns sichtbar wird, was dieses Weizenkorn verdeutlicht: nur wenn wir ersterben, können auch wir viel Frucht bringen.
Wer so lebt, darf gewiss sein, das Gott ihn ehren wird. So schließt unser Predigttext, und es wirkt auch gleich merkwürdig und fremd. Warum sollte Gott uns ehren? Wir haben es doch nun wahrlich nicht verdient.
Mit dieser Einschätzung hätten wir sicher recht.
Aber es ist ja die Liebe Gottes, durch die wir geehrt werden. Gott wendet sich uns zu und nimmt uns als seine Kinder an. Darauf dürfen wir vertrauen, wenn wir den Weg Jesu mitzugehen bereit sind, wenn auch wir bereit sind, zu ersterben.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Jesus ist das Weizenkorn (EG 78, 9)
Ich grüße dich am Kreuzesstamm (EG 90)
Korn, das in die Erde (EG 98)
Such, wer da will, ein ander Ziel (EG 346)
O Durchbrecher aller Bande (EG 388)
Kommt Kinder, lasst uns gehen (EG 393)
Jesu, meine Freude (EG 396)
Wer leben will wie Gott (KHW-EG 546)
Das Weizenkorn muss sterben (KHW-EG 579)
Freunde, dass der Mandelzweig (NB-EG 620)


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Predigtvorschläge zu Reihe IV - 2. Kor 1, 3-7

Liebe Gemeinde,
haben Sie mitgezählt? In den fünf Versen unseres Predigttextes kommt das Wort Trost oder trösten insgesamt 10 mal vor.
„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal, damit wir auch trösten können, die in allerlei Trübsal sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott.“ (2. Kor 1, 4-5)
Bei dem Wort „Trost“ denken wir vielleicht auch an die Jahreslosung: „Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“ (Jes 66, 13)
Für Kinder ist instinktiv klar, dass sie von ihren Eltern, meist von der Mutter, getröstet werden, wenn mal irgend etwas Schlimmes passiert ist.
Aber nicht immer brauchen wir Trost. Wenn alles gut geht, wenn alles passt, wenn wir zufrieden sind und das Leben so verläuft, wie wir es uns wünschen, dann ist Trost überflüssig.
Mit zunehmender Lebenserfahrung stellen wir jedoch fest, dass wir ohne Trost kaum leben können. Immer wieder geraten wir in Situationen, in denen es gut wäre, wenn wir Trost hätten.
Wir brauchen z.B. Zuspruch und Trost, wenn sich der erhoffte Erfolg nicht einstellt und alles verloren zu sein scheint.
Wir brauchen Beistand, wenn eine Krankheit unsere Kräfte einschränkt und das, was uns sonst mit Leichtigkeit von der Hand ging, nicht mehr gelingen will.
Wir brauchen Trost, wenn ein lieber Mensch von uns gegangen ist, der vielleicht sogar einen großen Teil unseres Lebens begleitet hat.
Doch woher nehmen wir dann den Trost? Meist suchen wir ihn bei unseren Mitmenschen. Schwierig wird es, wenn die Person gestorben ist, von der wir bis dahin meist Trost empfangen haben.
Nicht immer sind die Versuche anderer Menschen wirklich tröstlich. Und manchmal sitzt der Schmerz so tief, dass jeder Zuspruch an uns abprallt, vor allem dann, wenn wir wissen, dass die, die uns zu trösten versuchen, nie eine ähnliche Situation durchgemacht haben.
Paulus schreibt in seinem Brief an die Korinther von seinen eigenen Erfahrungen. Er hat Leid erfahren, tiefes, schweres Leid, und in diesem Leid ist ihm Trost widerfahren. Dadurch wird das, was er schreibt, auch glaubwürdig.
Denn es sind nicht einfach nur dahin gesagte, leere Worte. Es sind Worte, in denen die Sympathie, das Mitleiden, deutlich spürbar wird.
Nicht umsonst heißt es, geteiltes Leid sei halbes Leid. Es bedeutet viel, wenn man sein Leid mit anderen Menschen teilen kann.
Dieses Mitleiden ist etwas anderes als das, was wir Mitleid nennen. Es kann durchaus auch eine körperliche Erfahrung sein, also ein echtes Mitteilen des Leids.
Sie kennen das vielleicht auch: Sie sehen, wie sich einer mit dem Hammer auf den Daumennagel haut, und es tut Ihnen selber auch weh.
Eltern erleben es vermutlich häufiger: wenn das eigene Kind Schmerzen hat, spüren sie es auf eigenartige Weise auch.
Es sind natürlich nicht die gleichen Schmerzen. Aber die Tatsache, dass ein vertrauter Mensch leidet, führt zum Mit-Leiden.
Es ist die Erfahrung anderer, die uns wieder Mut macht. Allein das Wissen, dass der andere, der das Gleiche oder sogar Schlimmeres durchgemacht hat und da auch hindurch getröstet wurde, hilft uns schon und schenkt uns selbst Trost, wenigstens einen Funken Hoffnung. Denn wir wissen, dass wir, so wie die andere Person, die uns tröstet, auch durch das Leid hindurch wieder zur Freude gelangen werden.
Denn Trost ist der Hoffnung sehr ähnlich. Wenn wir getröstet werden, dann keimt in uns die Ahnung auf, dass es besser werden wird, dass der Schmerz vergeht, dass das Leid ein Ende haben wird.
Aus dem Teilhaben am Leiden, also aus dem Mit-Leiden, folgt für Paulus auch das Teilhaben am Trost. So wie er getröstet wurde durch Christus, so kann auch die Gemeinde durch Christus getröstet werden.
Nun spricht Paulus von einem ganz spezifischen Trost, nämlich dem Trost, der von Gott kommt. „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, 4 der uns tröstet in aller unserer Trübsal...“ (2. Kor 1, 3-4a)
Wo kommt dieser Trost Gottes her? Wir erfahren ihn, wenn wir auf das Kreuz schauen.
Doch für viele Menschen ist das Kreuz eher trostlos. Sie sehen da nur einen Getöteten, der noch nicht einmal den Mut hatte, sich zu wehren. Von dort kann, so glauben sie, kein Trost kommen.
Doch wir sehen etwas anderes. Wir sehen am Kreuz den Gottessohn. Und dieser Gottessohn durchleidet nicht nur körperliche Qualen. „Er ward verschmäht und verachtet, ein Mann der Schmerzen und umgeben mit Qual. Den Rücken bot er den Peinigern, hielt die Wange dar der rohen Feinde Wut, er barg nicht sein Antlitz vor Schmach und Schande.“ (Jes 50, 6) So beschreibt es der Prophet Jesaja.
Jesus hat auch die Verachtung erduldet und die Schmach des Urteils, das ihn zum Verbrecher abstempelte, obwohl er der Gerechteste ist.
Verachtung, Schmach, Hohn, Spott, ja, auch das eigene Versagen, da am Ende die, die ihm beim Einzug in Jerusalem noch zugejubelt hatten, das „Kreuzige“ schrien – all das hat er durchlitten.
Er weiß also, wie das ist, wenn man das Gefühl hat, versagt zu haben, wenn das Leben nicht so gelingt, wie man es sich vorgestellt hat.
Es ist das Kreuz, das Symbol des Todes, das wir anschauen. Aber dabei bleibt es ja nicht. Wir wissen, dass er wieder auferstehen wird. Er wird den Tod überwinden. „Doch du überlässt ihn nicht dem Tod; du wirst nicht dulden, dass dein Heiliger Verwesung sähe“ (Ps 16, 10), so heißt es im 16. Psalm.
Und dann haben wir die Berichte von dem leeren Grab und von den Offenbarungen des Auferstandenen. Wir schauen gewissermaßen über das Leid dieser Welt, über das Leid des Todes hinweg. Wir sehen die Herrlichkeit Gottes schon in dem am Kreuz Gestorbenen.
Denn in ihm sehen wir das Leben, ewiges Leben. Darum wurde das Kreuz überhaupt erst Symbol des christlichen Glaubens. Besonders deutlich wurde es sichtbar gemacht durch den Künstler, der das Kreuz im Hohen Chor des Kaiserdoms schuf. Dieses Kreuz ist ein Bild des Trostes, ein Unterpfand unserer Hoffnung, denn es zeigt uns den, der den Tod besiegt hat.

Einer, der aus dem Bild des Kreuzes tiefen Trost schöpfen konnte, ist Paul Gerhardt.
In dem vertrauten Lied „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld“ heißt es in der 6. Strophe von dem, was Christus für uns getan hat durch seinen Kreuzestod:
Das soll und will ich mir zunutz
zu allen Zeiten machen;
im Streite soll es sein mein Schutz,
in Traurigkeit mein Lachen,
in Fröhlichkeit mein Saitenspiel;
und wenn mir nichts mehr schmecken will,
soll mich dies Manna speisen;
im Durst soll's sein mein Wasserquell,
in Einsamkeit mein Sprachgesell
zu Haus und auch auf Reisen.

(EG 83, 6)
In seinem nicht weniger bekannten Lied „O Haupt voll Blut und Wunden“ heißt es, nachdem er das Bild des Gekreuzigten in den ersten Strophen mit seinen Worten gewissermaßen gemalt hat:
7. Es dient zu meinen Freuden
und tut mir herzlich wohl,
wenn ich in deinem Leiden,
mein Heil, mich finden soll.
Ach möcht ich, o mein Leben,
an deinem Kreuze hier
mein Leben von mir geben,
wie wohl geschähe mir!

8. Ich danke dir von Herzen,
o Jesu, liebster Freund,
für deines Todes Schmerzen,
da du's so gut gemeint.
Ach gib, dass ich mich halte
zu dir und deiner Treu
und, wenn ich nun erkalte,
in dir mein Ende sei.

9. Wenn ich einmal soll scheiden,
so scheide nicht von mir,
wenn ich den Tod soll leiden,
so tritt du dann herfür;
wenn mir am allerbängsten
wird um das Herze sein,
so reiß mich aus den Ängsten.

10. Erscheine mir zum Schilde,
kraft deiner Angst und Pein.
zum Trost in meinem Tod,
und lass mich sehn dein Bilde
in deiner Kreuzesnot.
Da will ich nach dir blicken,
da will ich glaubensvoll
dich fest an mein Herz drücken.
Wer so stirbt, der stirbt wohl.

(EG 85, 7-10)
In diesen Versen wird die Kraft des Trostes deutlich, der gewissermaßen aus dem Kreuz heraus quillt. Wohl können das Leid dieser Welt und der Tod uns Angst machen, aber das Kreuz Jesu Christi reißt uns aus dieser Angst heraus, denn von ihm her strahlt das Licht der Auferstehung, des leeren Grabes.
In den Versen Paul Gerhardts wird letztlich deutlich, dass das Vertrauen in die Liebe Gottes eine ungeheuer befreiende Kraft hat. Und so kann auch Paulus sagen:
Unsere Hoffnung steht fest für euch, weil wir wissen: wie ihr an den Leiden teilhabt, so werdet ihr auch am Trost teilhaben. (2. Kor 1, 7) Denn nichts kann uns von der Liebe Gottes trennen, weder Hohes noch Tiefes, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, und auch der Tod nicht. (Röm 8, 38f) Denn die Liebe Gottes ist stärker als alle Mächte der Welt.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Von guten Mächten treu und still umgeben (EG 65, 1.3.4.7)
Dein Kampf ist unser Sieg (EG 87, 3-5)
Gelobet sei der Herr (EG 139)
Was mein Gott will, gescheh allzeit (EG 364)
Jesu, meine Freude (EG 396)
Lass mich, solang ich hier soll leben (EG 414, 3-4)
Valet will ich dir geben (EG 523)
Jesus, meine Zuversicht (EG 526)


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Predigtvorschläge zu Reihe V - Jes 54, 7-10

Liebe Gemeinde,
Laetare! Freuet euch! Wir haben diese Aufforderung gerade in der Antiphon zum Introitus gehört. Freuet euch – aber worüber? Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit.
Dieser Sonntag wurde früher Mittfasten genannt. Vielleicht war es sowas wie ein Hoffnungsschimmer: Ab jetzt geht es dem Ende entgegen! Dem Ende des Fastens, wohlgemerkt.
Vor einigen hundert Jahren gab es wohl kaum einen Menschen, der sich nicht – ob freiwillig oder gezwungen – in dieser Zeit dem Fasten unterzog. Es gab Wächter, die darauf achteten, dass Händler nichts verkauften, was zum Brechen des Fastens verleiten könnte. Und natürlich war man sich auch vor den eigenen Hausgenossen nicht sicher. Wenn man dabei erwischt wurde, wie man ein Stück Fleisch aß, galt es, zur Beichte zu gehen und schwere Bußauflagen zu erfüllen.
Während alle Wochentage vom Verzicht geprägt waren, bildeten die Sonntage immer eine Ausnahme. Denn jeder Sonntag gilt als kleines Osterfest. Man erinnerte sich an die Worte Jesu, die er sagte: Wie können die Hochzeitleute Leid tragen, solange der Bräutigam bei ihnen ist? Es wird aber die Zeit kommen, dass der Bräutigam von ihnen genommen wird; alsdann werden sie fasten. (Mt 9, 15)
An jedem Sonntag ist man durch die Feier der Eucharistie in diese Situation versetzt, dass der Bräutigam präsent ist – und da kann man nicht Leid tragen.
Der Sonntag Laetare hob sich aber auch von den anderen Sonntagen noch etwas ab, weil er gewissermaßen den Gipfelpunkt der Fastenzeit markierte. Das Licht der österlichen Freude scheint, so könnte man sagen, durch das sonst übliche Violett der Fastenzeit und erhellt es, so dass sich die liturgische Farbe für diesen Sonntag zum Rosa wandelt.
Das Evangelium von der Speisung der 5000 erinnert uns daran, dass Gott für seine Kinder sorgt. Zugleich weist es auch auf das Abendmahl hin. Jesus Christus gibt uns seinen Leib und Blut in den Gestalten von Brot und Wein, um uns der Versöhnung Gottes durch ihn zu vergewissern. Auch das ist Grund zur Freude!
Unser Predigttext, der aus dem 54. Kapitel des Propheten Jesaja stammt, enthält eine Zusage, die uns in gleicher Weise fröhlich und dankbar werden lässt. Dort steht:
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln. Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser. Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will. Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer. (Jes 54, 7-10)
Der Prophet Jesaja hat viel durchleiden müssen. Er hat das Ende des großen Königreichs Israel gesehen, und er war es, der dieses schwere Schicksal dem Volk Gottes ankündigen musste. So manches Gerichtswort ist da aus seinem Munde ergangen:
Der Zorn des Herrn ist entbrannt über sein Volk“, (Jes 5, 25a) sagte er.
Seinen Sohn sollte er „Raubebald-Eilebeute“ nennen (Jes 8, 1-4) als Zeichen für das Gericht durch den König der Assyrer.
Aber er durfte auch Gutes sagen. Er kündigte den Friedefürst an mit den uns allen bekannten Worten:
Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst.“ (Jes 9, 5).
Er sprach vom Gottesknecht, der für die Schuld anderer leidet, und deutete so hin auf Christus, das Lamm Gottes, das die Schuld der Menschheit auf sich nimmt.
Und er sprach Worte wie die, die wir gerade als Predigttext gehört haben.
Das sind Worte des lebendigen Gottes, die in einer Zeit erklingen, in der man es noch nicht so recht wahrnimmt und vielleicht auch gar nicht wahrhaben kann, weil alles dagegen spricht.
Damals, als diese Worte erstmals erklungen, lebten die Menschen in Gefangenschaft, d.h. sie waren deportiert und mussten weit weg von ihrer Heimat leben. Sie wurden gewissermaßen gebunden, vor allem aber lebten sie unter Menschen, die ihren Glauben nicht teilten und so manche Gewohnheit pflegten, die sich ein Jude normalerweise kaum oder gar nicht erlauben würde. Jetzt ist es anders: sie sind in der Minderheit, und wenn sie sich nicht anpassten, wurden sie sicherlich als Außenseiter und Fremdlinge angesehen. Man vertraute ihnen nicht. Und so fühlten sich wohl manche gezwungen, eine fremde Lebensweise anzunehmen.
Ob es für sie wirklich so entsetzlich war, dass sie sogar die dortigen Götter anbeten sollten, ist zumindest fraglich, denn das Exil ist ja die Strafe dafür, dass sie genau das in ihrem eigenen Land, in Israel, schon getan hatten.
Es ist Strafe – das wurde den Israeliten aber auch zunehmend bewusst. Strafe für den Abfall, für den Hochmut, der sich breit gemacht hatte. Strafe für den Glauben, dass sie sich selbst an die Stelle Gottes setzen könnten, indem sie nicht den lebendigen Gott anriefen! Und zugleich unterdrückten sie ihr eigenes Volk, ließen die Armen hungern und schmachten. Noch schlimmer: oft nutzten sie auch noch ihre Wehrlosigkeit schamlos aus, um sich an dem wenigen, was sie hatten, zu bereichern.
Die Reichen wurden immer reicher und die Armen immer Ärmer – irgendwie kommt uns das bekannt vor.
Hochmut kommt vor dem Fall, das wissen wir, und so geschah es ja auch dem Volk Gottes. Es geht nicht an, die Gaben, die einem anvertraut sind, als eigene Errungenschaften anzusehen, sie in Besitz zu nehmen und für Taten zu nutzen, die unrecht sind.
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen.“ So beginnt Jesaja sein Wort des Trostes und der Zuversicht. Immerhin hat das Exil 70 Jahre gedauert. Aber in Gottes Augen ist es nur ein kleiner Augenblick.
Aus unserer Sicht gesehen ist es ein Menschenleben, etwas mehr als zwei Generationen, könnte man auch sagen. Es gibt mittlerweile Kinder und Enkel, die das Land Israel gar nicht mehr kennen und die keine Probleme haben, sich den Bräuchen der Babylonier anzupassen.
Es gibt aber noch die Erzählungen von Jerusalem und vom Tempel. Je länger sie im Exil lebten, je mehr wurde auf diese Geschichten zurückgegriffen. Damit versicherten sie sich ihrer eigenen Identität und versuchten, ihren Kindern und Kindeskindern etwas von dieser Identität zu vermitteln. Zugleich wurde die Frage immer stärker: Lohnt es sich überhaupt? Sollten wir nicht doch lieber aufhören zu warten und unsere Lebensart der der Babylonier anpassen? Denn Gott hatte sich ja wohl von seinem Volk verabschiedet.
Aber solche Gedanken sind dann doch wohl zu sehr aus dem menschlichen Erfahrungsschatz erwachsen anstatt aus dem Vertrauen in die Zusagen Gottes. Sie gehen davon aus, dass Gott sich zurückgezogen hat, ja, vielleicht sogar den Bund aufgegeben hat, den er mit Abraham geschlossen hatte.
Sicher wird es den einen oder die andere gegeben haben, die fragten: Gott, wo bist Du? Aber je öfter man diese Frage stellte, desto deutlicher schien die Antwort: nirgends, und wenn doch irgendwo, dann nicht bei uns.
Was für ein Trugschluss! Mit dem ersten Satz unseres Predigttextes wird schon deutlich: Gott handelt in anderen Kategorien, als wir Menschen kennen. Einen kleinen Augenblick nur, so sagt er, hat er sein Volk verlassen. Das würde nach unserem Verständnis bedeuten, dass Gott nur mal eben weggeschaut hat und dann wieder da ist, sein Blick wieder auf uns ruht. Aber das sehen wir nicht. Und so bleiben es 70 lange Jahre, die einen immer weiter von Gott entfernen.
Wer so denkt, hat Gott nach dem Bild des Menschen geformt, so wie es die Götzenbildner machten. Aber so ist Gott nicht.
Nur wer wirklich glaubt, dass Gott der Ewige ist, der rechnet auch damit, dass Gott bleibt, dass sein Blick auf uns ruht, dass er weiß, wie es um uns steht.
Der Prophet Jesaja führt den Beweis an: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Gott redet durch den Propheten. Es gibt wohl immer auch Menschen, die sagen: Sollte Gott das wirklich gesagt haben? Eine solche Frage erinnert allerdings auch an die Frage der Schlange im Paradies, und es erinnert an die Art und Weise, wie der Satan versucht, Jesus in seine Gewalt zu bringen. Und es stellt sich dann die Frage, auf welche Stimme wir hören wollen. Die Stimme des Versuchers oder die Stimme unseres Herrn?
Zerstreut in alle Welt war das Volk Gottes, verteilt auf das riesige Gebiet, das von den Babyloniern beherrscht wurde. Getrennt voneinander. Nun verheißt der Prophet, dass sie wieder zusammenkommen werden, vereint zum Volk, das Er sich zum Erbe erwählt hatte und das nun demütig wird vor seinem Gott.
Gott redet von Barmherzigkeit, weil die Menschen eine solche Reaktion eigentlich nicht verdient haben. Gott hätte sich gänzlich zurückziehen und die Israeliten ihrem Schicksal überlassen können. Aber nein, Gott ist barmherzig.
Barmherzig: Es gibt heute Menschen, die kennen dieses Wort nicht mehr.
Dementsprechend wissen sie auch nicht mehr, was Erbarmen oder Barmherzigkeit bedeutet. Sie verstehen nicht, dass damit die liebevolle und vergebende Zuwendung gemeint ist, die dem Menschen gilt, der im Elend versunken ist. Es ist Erbarmen, das aus dem Elend der Strafe herauf holt, das begnadigt, das neues Leben schenkt.
Mit ewiger Gnade, spricht der Herr, will ich mich deiner erbarmen.
Ewig, das zeigt uns wieder, wie wenig wir eigentlich die Größe Gottes erfassen können. Denn wir sind ja in der Zeit gebunden, für uns gibt es nie wirklich ein Jetzt, weil, sobald wir das Wort gesprochen haben, das „Jetzt“ schon Vergangenheit ist. Für Gott gibt es aber keine Vergangenheit und keine Zukunft, für ihn ist alles „Jetzt“, selbst das, was sich vor dreitausend oder zweitausend Jahren ereignete.
Wir erleben sein Wirken als eine Abfolge von Ereignissen, und manche sind schon so lange her, dass einige Menschen meinen, es seien Hirngespinste oder die Menschen hätten damals Naturereignisse falsch gedeutet und diese dann als Wunder Gottes beschrieben.
Nein, Gott bleibt der Allmächtige, er war es damals und ist es heute, der ewig ist, der weder Anfang noch Ende kennt. Er wirkt zwar in der Geschichte der Menschen, aber nur wir Menschen erleben dies als eine Abfolge von Ereignissen.
Und nun verpflichtet sich Gott gewissermaßen durch den Propheten Jesaja zu ewiger Gnade. Und diese Gnade bleibt dann auch nicht auf das Volk Israel, das er damals durch den Propheten ansprach, beschränkt, sondern weitet sich durch Jesus Christus auch auf uns aus, die wir nicht zum Volk Israel gehören.
Gott ist die Liebe, das erfuhren natürlich auch die Israeliten damals in ihrer Not. Er will nicht, dass wir umkommen und verloren gehen. Er will, dass wir gerettet werden, zu ihm hin.
Das ist die Richtung, auf die es ankommt: zu Gott hin. Nur bei ihm gibt es dieses Erbarmen, nur bei ihm ist die Gnade.
Gott bekräftigt es mit den wunderbaren, trostreichen Worten:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Versuchen wir einmal, uns vorzustellen, was mit diesen Worten eigentlich gesagt ist.
Gott sagt im Grunde, dass es wohl geschehen kann, dass Berge weichen und Hügel hinfallen, d.h. zum Beispiel, dass die Alpen sich so teilen, dass man ohne große Anstrengung zwischen ihnen durchgehen kann; oder dass es überall nur noch flaches Land gibt.
Das wäre im Ergebnis zwar langweilig, aber darum geht es ja nicht. Denn wir wissen ja auch, dass so etwas nicht passiert. Zumindest nicht innerhalb weniger Tage. Zwar können Erdbeben schon einige Veränderungen in der Landschaft bewirken, aber auch Erdbeben werden keine Berge verschieben oder Hügel abflachen, wenigstens nicht so gravierend, dass man es sehen könnte.
Die Berge, die uns so vertraut sind und im Wesentlichen seit Menschengedenken so sind, wie wir sie kennen, sind über Millionen von Jahren langsam entstanden. Und vielleicht dauert es nochmal so lange, bis der eine oder der andere Berg sich etwas verschoben hat. Kein Mensch hat je so etwas beobachten können.
Gott beteuert nun, dass seine Gnade beständiger ist als jeder Berg, und auch der Bund, den er mit uns Menschen durch Jesus Christus schließt, ist beständiger als Hügel und Täler.
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Was für eine Zusage das ist!
Eigentlich dürfte es auf solch eine Zusage hin keinen Menschen mehr geben, der nichts von Gott wissen will. Aber es gibt auch Menschen, die meinen, dass Gott nicht zu seiner Zusage stehen würde. Gerade angesichts des Krieges in der Ukraine fragen sie, wo denn der versprochene Friede sei. Oder wenn ein Mensch Amok läuft und dabei sogar Kinder tötet, fragen sie, was das mit Gnade zu tun hat.
Und natürlich haben sie Recht. Aber damit ist auch klar, dass sie kein Vertrauen in Gott haben. Sie denken Gott nach menschlicher Weise.
Vor einigen Tagen las ich einen Auszug aus einem Buch von Hans von Soden mit dem Titel „Wahrheit in Christus“. In dem Abschnitt befasst er sich mit dem Wort aus dem Römerbrief, in dem es heißt: „Wir rühmen uns auch der Trübsale, denn wir wissen, dass Trübsal Geduld bringt.“
Wenn wir solche Katastrophen, wie ich sie gerade beschrieben habe, erleben, dann bringen wir keine Geduld auf, sondern im Gegenteil, wir wollen Antworten, und zwar so schnell wie möglich.
Hans von Soden schreibt dagegen:
Der Christ [hat] einen besonderen Grund zur Geduld und [kann] aus diesem in der Tat wohl auch eine besondere Kraft der Geduld schöpfen [...], nämlich den Frieden mit Gott. Damit nimmt er die Leiden aus Gottes Hand, was für Leiden es auch immer sein mögen, in wechem erkennbaren oder unerkennbaren Zusammenhang des Grundes oder Sinnes sie immer stehen; er nimmt sie als Gottes Fügung, vielleicht als seine geheimen Boten oder Zeichen auf. Er lenkt sich nicht irgendwie von ihnen ab, sondern stellt sich ganz in sie hinein. Und darin stirbt die Ungeduld. Denn was wäre sie anderes, als dass der Mensch nicht will, was Gott doch will; dass der Mensch für sinnlos hielte, wobei Gott doch seine Gedanken hat, so unbegreiflich er uns auch erscheinen mag; dass der Mensch für böse hielte, was Gott doch für gut befindet zuzulassen, mag es auch von Menschen sehr bös gemeint oder gemacht sein? Gottes Wille kennt kein Warum, kein menschliches Warum, keines, das der Mensch verstehen oder für das er Rechenschaft fordern könnte. Wir Menschen haben Gott weder zu beschuldigen noch zu entschuldigen. 'Ich bin der Herr und keiner mehr, der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Übel.' (Jes 45, 6b-7a)
Es ist durchaus nicht so, dass die Leiden leichter werden, wenn man sie aus Gottes Hand nimmt. Dieser Gott, der uns leiden lässt, ist kein Glücksgott, wie wir ihn uns wünschen oder träumen; aber er ist eben der wirkliche Gott, der allmächtige Herr. 'Wie er fängt seine Sachen an, muss ich ihm halten stille.' (EG 372, 1)

Soweit Hans von Soden.
Es ist der Gott, der zu seinem Wort steht, so möchte ich diese Worte noch ergänzen.
Die Zusage des Jesaja – sie ist wahr. Sie gilt uns auch in der größten Gefahr, in Krankheit und Not, in Schmerz und Leid. Zwar mögen wir oft keine Antwort auf das „Warum“ finden, aber wir bleiben dennoch stets an ihm, denn er steht zu seinem Wort. Wenn wir nur ihn haben, so fragen wir nichts nach Himmel und Erde. Denn das ist unsere Freude: dass wir uns zu Gott halten und unsere Zuversicht setzen auf Gott, den Herrn. (nach Ps 73, 23.25.28).
Amen

oder
Liebe Gemeinde,
Der Prophet Jesaja hat viel durchleiden müssen. Er hat das Ende des großen Königreichs Israel gesehen, und musste dieses schwere Schicksal dem Volk Gottes ankündigen. So manches Gerichtswort ist da aus seinem Munde ergangen.
Der Zorn des Herrn ist entbrannt über sein Volk“, (Jes 5, 25a) sagte er. Sein Sohn wird „Raubebald-Eilebeute“ genannt (Jes 8, 1-4) als Zeichen für das Gericht durch den König der Assyrer.
Aber er durfte auch Gutes sagen. Er kündigte den Friedefürst an mit dem uns allen bekannten Wort:
Uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friedefürst.“ (Jes 9, 5).
Er sprach vom Gottesknecht, der für die Schuld anderer leidet, und deutete so hin auf Christus, der die Schuld der Menschheit auf sich nahm.
Und er sprach Worte wie die, die wir gerade als Predigttext gehört haben.
Das sind Worte des lebendigen Gottes, die in einer Zeit erklingen, in der man es noch nicht so recht wahrnimmt und vielleicht auch gar nicht wahrhaben will, weil alles dagegen spricht. Die Menschen lebten damals in Gefangenschaft, weit weg von ihrer Heimat. Sie sind gebunden, werden gezwungen, eine fremde Lebensweise anzunehmen.
Ja, sogar die dortigen Götter sollen sie anbeten.
Es ist Strafe – so sah es das Volk Israel. Strafe für den Abfall, für den Hochmut, der sich breit gemacht hatte: uns kann niemand etwas anhaben, Gott ist auf unserer Seite! Und zugleich unterdrückten sie ihr eigenes Volk, ließen die Armen hungern und schmachten und beuteten sie aus.
Die Reichen wurden immer reicher und die Armen immer Ärmer – irgendwie kommt uns das bekannt vor.
Hochmut kommt vor dem Fall, das wissen wir, und so geschah es ja auch dem Volk Gottes. Es geht nicht an, die Gaben, die einem anvertraut sind, als eigene Errungenschaften anzusehen, sie in Besitz zu nehmen und für Taten zu nutzen, die unrecht sind.
Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen.“ Immerhin 70 Jahre dauerte das Exil. Eine schlimme Erfahrung, eine ganze Generation geht darüber hin.
So etwas kennen wir alle: Gott ist nicht da. Wir fragen: Wo bist du?
Aber allein schon dadurch, dass Gott den Propheten diese Worte sagen lässt, wird ja deutlich: nein, er ist nicht fort. Er hat nur aufgehört, sich ausnutzen, sich und seinen Namen missbrauchen zu lassen.
Er bleibt und redet mit seinen Kindern: einen kleinen Augenblick habe ich dich verlassen. Du sollst spüren, was du an mir hast. Aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.
Zerstreut in alle Welt war das Volk Gottes, verteilt auf das riesige Gebiet, das von den Babyloniern beherrscht wurde. Getrennt voneinander. Nun verheißt der Prophet, dass sie wieder zusammenkommen werden, vereint zum Volk, das demütig wird vor seinem Gott.
Gott redet von Barmherzigkeit.
Es gibt heute Menschen, die kennen dieses Wort nicht mehr.
Sie wissen nicht, was Erbarmen oder Barmherzigkeit bedeutet. Sie wissen nicht, dass damit liebevolle Zuwendung gemeint ist, die dem Menschen gilt, der im Elend versunken ist.
Es ist Erbarmen, das aus dem Elend der Strafe herauf holt, das begnadigt, das neues Leben schenkt.
Mit ewiger Gnade, spricht der Herr, will ich mich deiner erbarmen. Ewig, ohne Vorbehalt, ohne zeitliche Begrenzung. Kann es etwas Großartigeres geben? Macht eine solche Zusage nicht Hoffnung, die unerschütterlich ist? Gott erbarmt sich mit ewiger Gnade – das erleben wir durch Jesus Christus.
Ich stelle mir das in unserer Welt vor: da wird einer, der Übles getan und dafür seine gerechte Strafe erhalten hat, begnadigt, nachdem er einen Teil der Strafe abgesessen hat. Er beginnt wieder, böse an seinen Mitmenschen zu handeln, und dennoch bleibt die Begnadigung bestehen. Ewige Gnade.
Da bäumt sich ja unser eigenes Rechtsbewusstsein auf, das wollen und können wir doch nicht zulassen. Ein solcher Mensch muss wieder bestraft, er muss wieder hinter Gitter gebracht werden, damit er anderen nicht mehr schaden kann.
Doch Gott ist da anders. Er verspricht ewige Gnade. So oft und so viel wir Menschen Unrecht tun:
Gott verspricht uns seine Gnade, sein Erbarmen. Frei sollt ihr sein von aller Sünde, sagt er. „Ich habe geschworen, nicht mehr über dich zu zürnen und dich nicht mehr zu schelten.
Für alle Zeiten, von nun an bis in Ewigkeit.
Bedeutet das nun, dass Gott sich doch zurückzieht, dass er uns schalten und walten lässt, wie es uns gefällt – und also auch manchmal unseren Mitmenschen schaden?
Das glaube ich nicht. Das Gericht gehört dazu, es lässt sich nicht einfach verschweigen. Aber durch dieses Gericht gehen wir hindurch, wenn wir nicht aufhören, mit der Gnade zu rechnen, die in Jesus Christus offenbar wurde.
Die Gnade Gottes kann nur der erfahren, der sich ganz Gott hingibt, der ihm ganz vertraut. Denn anders kann man Gnade nicht annehmen, als dadurch, dass man weiß: ich bin ein Kind Gottes.
Das fällt dann wiederum nicht so leicht, und darum strafen wir im Grunde immer wieder uns selbst, weil wir diese Gnade gar nicht annehmen wollen oder können. Wir merken, dass wir sie nicht verdient haben. Sie ist zu groß für uns.
Und dennoch:
Es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.
Ein wunderschönes Bild, das sich hier vor uns ausbreitet. Stellen wir es uns nur mal vor, wie ein Berg seinen Platz verlässt, wie Hügel eben werden, einfach nicht mehr da sind. Es ist nicht vorstellbar, so etwas kann nicht passieren.
Doch selbst wenn so etwas passiert, dann wird die Gnade Gottes doch nicht vorbei sein. Was für eine Zusage. Gott macht es noch einmal ganz fest: die Gnade, die ich Euch geben will, ist ewig. Das ist kein einmaliger Akt. Ich werde euch immer und immer gnädig sein. Weil ich euch liebe.
Und darum geht Jesus Christus, Gottes Sohn, ans Kreuz, leidet, was wir leiden müssten, und befreit uns für immer von unserer Schuld. Denn das könnten wir ja gar nicht selbst. Darum tut Gott es, weil er uns liebt, weil er uns das nicht zumuten will.
Der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer, selbst dann nicht, wenn Hügel hinfallen.
Lassen wir diesen Frieden uns und unsere Herzen bewahren in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
Freuet euch im Herren allewege (EG 239)
Nun lob, mein Seel, den Herren (EG 289)
O gläubig Herz, gebenedei (EG 318)
Mir ist Erbarmung widerfahren (EG 355)
Befiehl du deine Wege (EG 361, 1.8-10)
Solang es Menschen gibt auf Erden (EG 427)
Gib Frieden, Herr, gib Frieden (EG 430)


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Predigtvorschläge zu Reihe VI - Lk 22, 54-62

Liebe Gemeinde,
Petrus, der als Geburtsname den Namen „Simon“ trägt, wird von der römisch-katholischen Kirche als der erste Papst angesehen, da er nach der Überlieferung die erste christliche Gemeinde in Rom geleitet hat. Man führt seine Führungsrolle auch auf die Aussage Jesu zurück, in der dieser zu Simon sagt: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreichs geben...“ usw.(Mt 16, 18f) So bekommt Simon den Beinamen „Petrus“, was auf Deutsch „Fels“ bedeutet.
Interessant ist, dass unmittelbar nach dieser Aussage Jesu im Matthäusevangelium die andere Szene angeschlossen wird, in der Petrus zu Jesus sagt, dass Gott ihn vor dem gewaltsamen Tod bewahren möge, woraufhin ihn Jesus mit den Worten „Geh weg von mir, Satan!“ (Mt 16,23) forsch zurückweist.
Größer kann der Gegensatz wohl kaum sein. Auf der einen Seite die Übertragung einer Verantwortung, die höchste Integrität und Zuverlässigkeit erfordert, auf der anderen Seite die Abweisung als Versucher, als Satan, der genau das Gegenteil von dem tut, wozu er kurz zuvor beauftragt wurde.
Nun wirft unser Predigttext noch ein anderes Licht auf Petrus, den Apostelfürsten. Nachdem Jesus gefangen genommen worden war, hatte Petrus sich wohl kurzerhand entschlossen, der Schar zu folgen und zu sehen, was geschehen würde. Ob er nur stiller Zeuge sein wollte oder ob ihn das Gefühl drängte, er müsse seinem Herrn und Meister irgendwie zur Seite stehen, wird nicht deutlich. Ich könnte mir jedenfalls beides vorstellen.
Sicher spielen auch die beiden Ereignisse, die ich gerade kurz beschrieben habe, eine Rolle: Petrus hatte ja Zeit, beides auf sich einwirken zu lassen. Er hatte sicher lange und oft über die Worte Jesu nachgedacht und sich gefragt, was Jesus damit gemeint haben könnte bzw. wie sich dies in Zukunft auswirken würde.
Denn tatsächlich fehlt an der Zusage, dass Petrus der Fels sein solle, auf dem Jesus seine Gemeinde baut, ja noch nahezu alles, und vor allem: kann es überhaupt geschehen, wenn Jesus getötet wird? Sah Petrus in diesen Worten vielleicht den Auftrag, das fortzuführen, was Jesus begonnen hatte?
Wollte Petrus also jetzt durch sein Mitgehen sicherstellen, dass er nicht voreilig die Führungsrolle übernimmt? Wollte er sehen, ob Jesus tatsächlich zum Tode verurteilt wird? Wollte er Zeuge sein all dessen, was Jesus widerfuhr? Oder hoffte er auf ein weiteres Zeichen, ein Signal Jesu, das ihm Gewissheit geben würde?
Jedenfalls gab es für ihn kein Hindernis, in den Hof des Hauses des Hohepriesters zu gelangen, und er gesellte sich, mehr oder weniger lässig und den Schein der Zufälligkeit erweckend, zu der Schar, die im Hof ein Lagerfeuer angezündet hatte. Von dort konnte er vielleicht etwas mitbekommen von dem, was sich um Jesus herum abspielte, ohne dabei aufzufallen.
Natürlich hatte auch die Schar, die am Feuer saß, mitbekommen, dass sie Jesus gebunden hergebracht hatten, und sie mochten sich auch so ihre Gedanken machen. Vielleicht waren sie sogar unter denen gewesen, die noch kurz zuvor das „Hosianna“ gerufen hatten, und sahen jetzt ihre Hoffnungen enttäuscht. Der, von dem sie erwartet hatten, dass er eine Armee gegen die Besatzungsmacht sammeln und in den Kampf führen würde, war nun von den eigenen Leuten gebunden und völlig machtlos.
Das Leben muss weitergehen, und so wärmen sie sich und plaudern vielleicht auch über das, was sie mit und um Jesus erlebt hatten. Und da merkt eine der Mägde, der Petrus wohl schon als einer, der nicht zu den Bediensteten des Hauses des Hohepriesters gehörte, aufgefallen war, dass sie ihn im Gefolge des Jesus von Nazareth gesehen hatte. „Dieser war auch mit ihm!“ (Lk 22,56), ruft sie aus.
Es ist eigentlich völlig offen, was für Konsequenzen diese Beobachtung haben wird. Es kann sich um eine simple Feststellung handeln, vielleicht sogar Interesse wecken: Erzähle uns mehr von ihm! Was ist das für ein Mensch, dieser Jesus? Was weißt Du von ihm? Er kam so mächtig daher bei seinem Einzug in Jerusalem, er handelte so voller Vollmacht, und seine Predigten haben viele Menschen angerührt. Kannst Du uns sagen, warum er sich jetzt nicht wehrt?
Petrus aber fürchtet, dass, wenn seine Identität aufgedeckt würde, er womöglich auch verhaftet und sogar gefoltert werden könnte. Und darum antwortet er: „Frau, ich kenne ihn nicht!“ (Lk 22,57)
Nichts erinnert ihn an die Worte Jesu, dass er, bevor der Hahn kräht, Jesus dreimal verleugnen wird. In ihm sitzt die Angst, die er mit allen Kräften zu verbergen sucht, um kein Aufsehen zu erregen. Das beschäftigt ihn viel zu sehr. Aber es scheint ihm zu gelingen.
Vermutlich, auch wenn uns das nicht von Lukas überliefert wird, zog er sich etwas zurück, damit der Schein des Feuers nicht zu sehr auf sein Gesicht fiel. Aber es nützt ihm nichts. Ein anderer erkennt ihn „nach einer kleinen Weile“ (Lk 22,58a), wie Lukas schreibt, und erneut verleugnet Petrus, dass er Jesus kenne.
Interessant ist, dass der Evangelist Lukas nun beim driten Mal noch eine etwas genauere Zeitangabe einfügt: „Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrhaftig, dieser war auch mit ihm; denn er ist ein Galiläer.“ (Lk 22,59)
Eine Stunde war verstrichen, eine Stunde, in der sich die Angst wohl wieder etwas gelegt hatte und Petrus sich vielleicht getraut hatte, hin und wieder ein paar Worte zu sagen. Aber so wie wir einen Bayern an seinem Dialekt erkennen würden, so erkannte auch dieser Mann am Feuer, dass Petrus nicht von hier war, und folgerte: „dieser war auch mit ihm“.
Weil die Schlussfolgerung aber doch etwas vage ist, versucht sich Petrus jetzt auf andere Weise herauszuwinden: „Mensch, ich weiß nicht, was du sagst.“ (Lk 22,60a) Natürlich wäre es falsch, einfach aufgrund eines Dialekts einen Menschen einer Gruppe zuzuordnen, die nicht durch die Herkunft, sondern durch die Überzeugung und durch Ideale, die es zu vertreten gilt, entstanden ist. Darum tut Petrus so, als ob er den Vorwurf nicht verstünde, denn die Schlussfolgerung ist, so will er wohl andeuten, nicht zulässig. Ich kann mir auch vorstellen, dass er sich dabei bemüht, den Dialekt möglichst zu vermeiden.
Aber in dem Moment, wo er das sagt und zum dritten Mal meinte, seine Haut gerettet zu haben, kräht der Hahn. Mit diesem Signal erwacht in Petrus die Szene, die sich vor der Gefangennahme Jesu abgespielt hatte. „Der Hahn wird heute nicht krähen, ehe du dreimal geleugnet hast, dass du mich kennst.“ (Lk 22,34)
Mit dieser Erinnerung verbindet sich etwas, das die anderen Evangelisten nicht berichten: „Der Herr wandte sich und sah Petrus an.“ (Lk 22,61a)
Wir erfahren daraus, dass Jesus tatsächlich in Sicht- und damit wohl auch Hörweite gewesen war, während Petrus sich zu der Schar um das Lagerfeuer gesellt hatte.
Und es wird wohl auch so sein, dass sich die beiden in diesem Moment anschauten: der eine, um eine Verbindung herzustellen, der andere, weil in ihm tiefes Entsetzen herrschte über seinen Verrat. Hatte er nicht versprochen, dass er mit ihm ins Gefängnis und in den Tod gehen würde? Hatte er nicht gesagt, dass er dazu bereit wäre? (Lk 22,33)
Und jetzt hatte sich ergeben, was Petrus zuvor vehement ausgeschlossen hatte.
Oh, wie ängstlich wird unser Herz, wenn es wirklich drauf ankommt. Große Worte können wir immer machen, aber wenn es daran geht, diese Wort auch Realität werden zu lassen, ziehen wir uns viel lieber zurück, um uns zu schützen. Sicher legen wir uns auch die eine oder andere Rechtfertigung zurecht, etwa:
Wenn ich sterbe, wer soll dann die Sache weiterführen? Ich muss doch am Leben bleiben!
oder:
Mit meinem Tod nütze ich niemandem. Außerdem trage ich Verantwortung für andere, da wäre der Tod doch nur ein Versuch, sich vor dieser Verantwortung zu drücken.
Sicher fällt einem dann schnell noch das eine oder andere ein, um seinen Kopf gewissermaßen aus der Schlinge zu ziehen.
Für Petrus bricht in diesem Moment jedenfalls eine Welt zusammen. Es ist eine Scheinwelt gewesen, die er sich selbst gebaut hatte, eine Welt, in der er der Held ist und alles richtig macht, in der er für das Recht und die Gerechtigkeit eintritt und dafür auch den Tod auf sich nehmen würde.
Er wird wieder heruntergeholt in die Realität, er erkennt, dass es nicht möglich ist, so perfekt zu sein, wie er es gerne gewesen wäre. Er ist kein Supermann, er ist kein Held.
Im Gegenteil: er ist feige gewesen. Er hatte gekniffen, war das Risiko nicht eingegangen, sondern hatte versucht, sich mit Lügen zu schützen.
Aber was bedeutete in dieser Situation der Blick Jesu?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, diesen Blick zu deuten, denn Lukas überliefert uns sonst nichts außer diesem: „Der Herr wandte sich und sah Petrus an.“ (Lk 22,61a).
Jesus könnte Petrus vorwurfsvoll angeblickt haben, etwa so: „Ich habe es dir doch gesagt. Warum bist du nur so ein Sprücheklopfer! Gib doch zu, dass du ein Nichtsnutz bist.“
Sein Blick könnte Trauer und Enttäuschung zum Ausdruck gebracht haben, etwa so: „Petrus, schon am Abend hast du lieber geschlafen als mit mir zu beten. Und jetzt hast du mich auch noch dreimal verleugnet! Du hast mich tief enttäuscht!“
Sein Blick könnte aber auch ermutigend gewesen sein, etwa so: „Petrus, jetzt erkennst Du, dass das Leben nicht aus Luftschlössern besteht. Lass es dir eine Lehre sein und sieh zu, dass du meine Gemeinde so anleitest, dass sie sich stets ihrer Unzulänglichkeiten bewusst ist und dennoch sich bemüht, auf den Wegen Gottes zu wandeln. Die Kraft bekommst du daher, dass ich jetzt für dich ans Kreuz gehe, um alle deine Sünden auf mich zu nehmen und ein für allemal zu tilgen.“

Ich möchte Jesu Blick so verstehen, wie ich es zuletzt skizziert habe. Denn es ist der Blick Gottes, der sich dem Sünder zuwendet, der seine eigene Schuld erkennt und davor vielleicht auch erschrickt, der seine Sünde aus tiefstem Herzen bereut und keinen anderen Weg weiß als zu Gott hin. Das ist es, was Jesus uns durch sein Leben und seinen Tod vermittelt hat.
Petrus mag es nicht ganz so ermutigend wahrgenommen haben, denn sonst wäre er vielleicht noch aufgestanden und hätte bekannt: „Ja, ich bin auch einer von denen, die mit dem Angeklagten dort zusammen waren.“ Vielleicht dachte er auch an die Verheißung: Auf diesen Fels will ich meine Gemeinde bauen. Vielleicht wurde ihm klar, dass er sich schützen müsse um der anderen Jünger willen, damit diese nicht gänzlich verzagen, wenn Jesus zum Tod verurteilt würde.
Das bitterliche Weinen, zu dem er sich vom Ort des Geschehens entfernt hatte, zeigt sein Entsetzen vor seinem Versagen, seine Trauer und Zerknirschung, seine Reue. Er hatte Treue bis in den Tod versprochen, vor wenigen Stunden, und trotzdem war er schon kurze Zeit später untreu geworden.
Es wird deutlich, dass Menschen nicht vollkommen sind und auch das Bemühen, vollkommen zu sein, vergeblich ist.
Man kann wohl zur Verteidigung Petri anmelden, dass es für ihn noch kein Ostern gab. Er wusste nicht, was geschehen würde, obwohl Jesus selbst ja schon auf die Auferstehung hingewiesen hatte. Es war für Petrus aber noch gänzlich unvorstellbar.
Denn auch wenn Jesus in den Leidensankündigungen auch auf die Auferstehung hinwies, so bestand die Möglichkeit, dass dies nicht wörtlich gemeint sein könnte.
Viele Menschen denken heute, wenn von Auferstehung die Rede ist, ja auch eher an ein diesseitiges Auferstehen, dass eher einem „Aufstehen“ entspricht: Man steht für eine Sache auf, setzt sich für sie ein, erstarkt und ermutigt durch die Worte, die wir in der Bibel lesen. Häufig scheint man auch zu meinen, dass damit sdie Selbstermutigung gemeint ist, für sich selbst einzustehen.
Auf diese Weise kann man immer noch sagen, man glaube an die Auferstehung, hat diese aber vollständig ins Diesseits hineingeholt und damit keine Dimension mehr für das Leben nach dem Tod.
Es kann durchaus sein, dass die Jünger damals zunächst auch so dachten, aber vermutlich war es schlicht so, dass sie bei den Leidensankündigungen wohl nur den Hinweis darauf, dass Jesus getötet werden würde, gehört hatten. Denn wenn so eine Aussage gemacht wird, ist alles, was folgt, zweitrangig oder wird völlig unbedeutend.
Also hätte Petrus vielleicht doch aufstehen und sagen sollen, dass er zu Jesus gehört? Hätte er im Diesseits beweisen müssen, dass er zu Jesus steht?
Wir wissen, dass er es nicht tat, und darum brauchen wir uns auch keine Gedanken darüber zu machen, was er hätte tun sollen oder was wohl geworden wäre, wenn er anders gehandelt hätte.
Petrus wird uns gerade in seinem Versagen zum Vorbild. Und zwar insofern, dass wir durch ihn erkennen, dass Gottes Liebe auch in unserem Versagen nicht aufhört.
Natürlich bleibt die Aufforderung, dass wir unseren Willen dem Willen Gottes unterordnen. Es bleibt das höchste Gebot, dass wir Gott über alles und unseren Nächsten wie uns selbst lieben sollen. Das gilt, das ist unsere Richtschnur.
Aber wir wissen selbst nur zu gut, dass wir darin immer wieder versagen. Wir schauen doch auch oft darauf, was uns selbst nützt, und nicht auf das, was unserem Nächsten nützlich ist. Wenn wir dann erkennen, dass wir gegen den Willen Gottes gehandelt haben, dass wir unseren Nächsten nicht wie uns selbst liebten, können wir uns aber Gott zuwenden und ihn um Vergebung bitten.
Das ist ja auch der Grund, warum jede Messe mit dem Bekenntnis der Sünden und dem Zuspruch der Sündenvergebung beginnt.
Und so können wir getrost sein und dankbar, dass wir uns auf die Liebe Gottes ganz und gar verlassen dürfen. Nichts, aber auch wirklich nichts, kann uns von seiner Liebe scheiden.
Amen

Liedvorschläge zur Predigt:
O Mensch, bewein dein Sünde groß (EG 76)
Wenn meine Sünd' mich kränken (EG 82)
Ach Herr, wie groß und schwer (EG 233)
Jesus nimmt die Sünder an (EG 353)
Mir ist Erbarmung wierfahren (EG 355)


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