Der Name des Sonntags Invokavit leitet sich vom Beginn der lateinischen Antiphon ab: "Invocavit me, et ergo exaudiam eum"
(Ps 91, 15; deutsch s. unten, wörtliche Übersetzung von "Invokavit" hervorgehoben).
Der Sonntag Invokavit hat die Geschichte der Versuchung Jesu zum Thema. Versuchung ist inzwischen zu einem altertümlichen Begriff geworden,
vor allem deshalb, weil die Frage nach dem Versuchenden immer deutlicher gestellt wurde und wird. Gibt es ihn überhaupt? Entspringt die Versuchung nicht ausschließlich
in einem selbst? Diese Entwicklung muss auf jeden Fall berücksichtigt werden, wenn wir von Versuchung sprechen. Die Vorstellung eines leibhaftigen Versuchers
als des Teufels ruft höchstens noch ein müdes Lächeln hervor; das Arbeiten mit solchen Bildern in der Predigt ist heutzutage ausgesprochen schwierig,
wenn nicht gar unmöglich. Die Frage nach dem Versuchenden bleibt, sei es nun die Person selbst oder eine von außen wirkende Kraft. Und immerhin finden
wir den Begriff noch in der deutschen Sprache, wenn z.B. gesagt wird: "Ich bin versucht, das und das zu kaufen." Aber hier hat es gewiss nicht mehr
den Sinn, den es in der Bibel hat. Zu den Perikopen- Mt 4, 1-11
Rev. 2014: Hebr 4, 14-16 (Epistellesung - s. Reihe II)folgt später - Hebr 4, 14-16
Rev. 2014: 1. Mose 3, 1-19(20-24) (= Gen 3, 1-19(20-24) - Alttestamentliche Lesung - s. Reihe III)folgt später - 1. Mose 3, 1-19 (20-24)
Rev. 2014: Joh 13, 21-30Dieser Text nimmt eine kritische Stellung in der christlichen Theologie
ein, denn er legt den Grundstein für unser Sündenverständnis. Die
Sünde wird aus dieser Geschichte heraus zum Erbgut erhoben (Röm
5, 12), das in jedem Menschen schon vor der Geburt existiert. Ohne diese
Geschichte hätte es Paulus wohl schwer gehabt, die Notwendigkeit des Todes
und der Auferstehung Jesu zu begründen.
Heute wissen wir, dass diese Geschichte
eine reine Etiologie ist, um den Ursprung verschiedener Gegebenheiten zu begründen:
die Angst des Menschen vor der Schlange, die Tatsache, dass dem Menschen nichts
in den Schoß fällt, oder dass die Frau bei der Geburt große
Schmerzen hat. Die wichtigste Beobachtung der Menschen, die mit dieser Geschichte
begründet werden soll, ist aber die Gottesferne, die Tatsache, dass Gott
nicht mit den Menschen unmittelbar redet. Dafür hat der Mensch etwas wunderbares
erhalten, nämlich die Fähigkeit, Gut von Böse zu unterscheiden, damit
aber auch die Möglichkeit, das Böse zu wählen und zu tun.
Im Kontext dieses Sonntages geht es bei dieser Geschichte wohl vor allem um den
kurzen Abschnitt 1-6. Hier wird von der Versuchung gesprochen. Unglücklicherweise,
aber wohl durch seine Kultur so geleitet, entschied der Autor, die Frau zur Person
zu machen, die sich zunächst verführen läßt und dann den Mann
verführt. Dass der Mann Gelüste nach der Frucht dieses Baumes gehabt
haben könnte, wird weder erwähnt noch angedeutet. Es ist die Frau, über
deren Gelüste elaboriert wird.
Feministische Theolog(inn)en dürften mit dieser Stelle arge Probleme haben,
ich habe sie auch, zumal das Ergebnis dieser "Versuchung" ja dem Menschen
durchaus nützlich war, zumindest in der Hinsicht, dass er nun nicht mehr
nur wie ein Haustier von Gott gehalten wird, sondern dazu befähigt und gezwungen
wird, für sich selbst zu sorgen und selbst Entscheidungen zu treffen. Nur durch
diese Befähigung hat sich die Menschheit (nicht immer zum Besseren) entwickeln
können.
Auf der anderen Seite steht natürlich die Gottesferne als Ergebnis dieses Handelns.
Noch immer denke ich, dass dieser Preis durchaus akzeptabel ist, solange die
neu gewonnenen Fähigkeiten nicht dazu benutzt werden, an Gottes Stelle zu treten.
Der Versuch wurde schon unzählige Male gemacht, und immer wieder waren die
Folgen katastrophal.
Eine Predigt über diesen Text wird wohl einer Gratwanderung gleichen. Hier
müssen beide Ergebnisse des Handelns des Menschen bedacht werden, der Gewinn
an Entscheidungsfähigkeit und der Verlust der Gottesnähe. Es läßt
sich nicht abwägen, was wichtiger ist, denn beides hat einen ebenso hohen Wert.
Es ließe sich auf verschiedene Entwicklungen unserer Zeit, wie z.B. die Gentechnologie,
hinweisen, die zugleich Versuchung wie auch Fluch ist, denn mit ihr erst kommen
die Fragen auf, die uns langsam zu Unmenschen machen: sollte nicht von jedem Embrio
eine Genanalyse gemacht werden, um dann zu entscheiden, ob das Kind überhaupt
leben sollte? Sollte man nicht beginnen, Organe zu "züchten", um
im Notfall sofort ein Transplantat zur Verfügung zu haben? Sollte man nicht
die Genmasse verschiedener Zuchttiere so verändern, dass sie das liefern,
was der Mensch konsumieren kann, während alles andere einfach nicht mehr wächst?
Die Liste kann unendlich fortgesetzt werden, und es gibt andere Bereiche, wie z.B.
die Rüstung, wo der Mensch schon lange seine Grenzen überschritten hat,
weil er meint, alles, was Gottes Aufgabe ist, selbst in die Hand nehmen zu müssen.
Aber auch im persönlichen Bereich gibt es Beispiele: der "Konsum"
von Partnern, der heutzutage schon so üblich ist, dass die Regierung die
Anerkennung nichtverheirateter Paare erwägt oder sogar schon teilweise umgesetzt
hat. Der Verzicht auf Kinder um der Karriere willen, die Karriere als das
Ziel schlechthin sind weitere Beispiele der Gottesferne, in die uns die materielle
Versuchung unserer Tage treibt.
Ein Aufruf zum Stillehalten wäre angebracht. Einen Rückblick und einen
Vorausblick wagen: worauf kann ich stolz sein, weil ich damit geholfen habe, diese
Welt ein Stück liebenswerter zu machen? Worauf kann ich mich freuen in meiner
Zukunft, weil ich damit den Grundstock für eine bessere Welt lege? - 2. Kor 6, 1-10 (auch in Rev. 2014)
Diese Perikope gehört wohl zu den bekanntesten aus den Paulusbriefen.
Wenn Paulus die Gemeinde mahnt, die Gnade Gottes nicht vergeblich zu empfangen,
kann man ins Fragen kommen: wird die Gnade grundsätzlich allen zuteil? Das
könnte man daraus ableiten, dass sie vergeblich empfangen werden kann. Es würde
bedeuten, dass sie zunächst ohne Vorbedingung ausgeteilt wird. Was heißt
"vergeblich empfangen"? Bedeutet es, dass man sie nicht in Anspruch nimmt?
Oder dass man sich gegen sie stellt, d.h. sie ablehnt? Der nachfolgende Vers 2 legt
nahe, dass es das bloße Nicht-In-Anspruch-Nehmen ist, das hier gemeint ist.
Jedenfalls ist wichtig, dass Paulus jetzt die Zeit der Gnade ausruft. Jetzt ist
der Zeitpunkt, und nicht die Zeitspanne. In der Tat meint Paulus wohl damit, dass
in jeder Situation die Gnade erfasst wird, als wäre sie gerade erst präsent
geworden. Das Leben eines Christen ist nicht christlich, wenn er sich immer wieder
neu der Gnade Gottes vergewissert und diese Vergewisserung dann auch zur Tat führt.
Im Folgenden rechtfertigt dann Paulus seine Mahnung: er ist dazu berechtigt, weil
er (sie) sich als Diener Gottes erweist (erweisen). Diese Verse bringen eine neue
Perspektive in die Perikope, die ganz eigenständig behandelt werden könnte.
Denn hier wird der Aspekt des Duldens in den Vordergrund gestellt, das Dulden, das
im Leiden die Herrlichkeit des Kreuzes erkennt. Paulus schreibt von dem, was er
erduldet hat, und stellt ab Vers 8b dar, wie ihnen trotz aller schlechten Erfahrung
die Gnade zuteil wurde. Insoweit kann man vielleicht doch eine Verbindung zum ersten
Abschnitt herstellen. Denn trotzdem sie traurig wurden, konnten sie - aus Gnade
- fröhlich sein. Trotzdem sie arm waren, konnten sie - aus Gnade - viele reich
machen.
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang wird vage deutlich: Wir
werden immer wieder versucht, die Gnade nicht zu ergreifen. Gerne versinken
wir in den Trübsalen, die uns befallen, und geben uns dem Selbstmitleid hin.
Paulus setzt dagegen, dass zu jedem Zeitpunkt, also auch in größter Betrübnis,
die Gnade empfangen wird. Sie muss nur auch genutzt werden.
Es wäre für die Predigt wohl zu banal, Erlebnisse der Gnade aufzuzählen,
wie Paulus das tut. Es geht darum, den Menschen nahezubringen, dass die Zeit der
Gnade kein Zeitraum ist; denn das meint Paulus. Vielmehr ist sie zwar immer greifbar
nahe, wird aber erst dann wirksam, wenn sie auch ergriffen wird. Wenn sie nicht
ergriffen wird, geht sie ungenutzt vorüber, um bei der nächsten Gelegenheit
wieder präsent zu sein. Man kann aber auch nicht von ihr Besitz ergreifen,
denn sie entzieht sich dem, der sie besitzen will, weil sie immer situationsabhängig
ist. Es geht also darum, der Gemeinde bewusst zu machen, dass sie die Gnade in den
jeweiligen Situationen ergreifen muss, damit sie wirksam werden kann. - Lk 22, 31-34
Rev. 2014: Hiob 2, 1-13Eine merkwürdige Perikope. Nachdem sich die Jünger darum
gestritten haben, wer von ihnen als der Größte gelten solle, und Jesus
diesen Streit schlichtet, indem er allen "das Reich zueignen" will (Vers
29), kommt nun der Satan ins Spiel. Er will die Jünger sieben, wie man Weizen
siebt. Das ist schon merkwürdig deswegen, weil höchstens einer der Jünger
ausgesiebt werden könnte, es wäre also keine großartige Aktion vonnöten,
und eine solche Ankündigung schon gar nicht, die im Weiteren das Gefühl
vermittelt, nur Petrus würde durchhalten.
Offenbar hat Jesus seinen eigenen Tod im Blick, und er sieht die Notwendigkeit,
dass einer von den Zwölfen für die anderen da sein soll, wenn Jesus nicht
mehr unter ihnen ist. Aber dieser eine, Petrus, ist in keiner Weise besser als die
anderen, wenn es um das Verhältnis zu Jesus Christus geht: auch er wird seinen
Herrn verleugnen, sein Glaube wird also jämmerlich versagen.
Die Perikope dient sicherlich dazu, die Stellung eines "Primus inter pares"
zu festigen. Dies darf freilich nicht zu einer überhöhung der Person dieses
Primus führen, denn er ist genauso fehlbar wie die, denen er beistehen soll.
Auch in der protestantischen Kirche gibt es diesen Gedanken des "primus inter
pares" z.B. in der Person des Pfarrers, der die Aufgabe der geistlichen Betreuung
der Gemeinde hat, dabei aber selbst nicht besser ist als die anderen, obgleich dieser
Anspruch auch heute noch oft erhoben wird.
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang kann nur schwer hergestellt
werden. Zwar kann man durchaus die Thematik "Versuchung" erkennen, aber
es handelt sich nicht um die Versuchung Jesu, sondern um die mögliche
Versuchung der Nachfolger Jesu. Die ist allerdings deutlich erkennbar: den Tod,
den Jesus auf sich nimmt, will ja später keiner der Jünger mit ihm teilen.
Sie beobachten das ganze Geschehen höchstens aus der Ferne, sind aber noch
nicht mal in der Lage, ihre Verbundenheit mit ihm zuzugeben. Es wäre kaum verwunderlich
gewesen, wenn die Jünger nun wieder ihre eigenen Wege gegangen wären,
zurück zu ihren Familien und ihren Berufen. Das wäre es gewesen, was der
Versucher - Satan - gewollt hätte. Stattdessen bildete sich die Kirche, die
Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben.
Die Predigt kann sicherlich versuchen, auch auf den vorhergehenden Text, die Frage
nach der Rangordnung, etwas einzugehen. Kirche wird darunter leiden, wenn die Gemeinden
nicht in der Lage sind, die jeweiligen Fähigkeiten des einzelnen anzunehmen,
zu respektieren und zu nutzen, sondern wenn es zu Machtkämpfen kommt. Die Predigt
kann dieses Problem positiv angehen, indem sie dazu ermutigt, sich einzubringen,
am Gemeindeleben aktiv teilzuhaben und in bestimmten Personen (allen voran wohl
dem Pfarrer) nicht eine unantastabre Autoritätsperson zu vermuten, sondern
einen Menschen, der genauso von der Gnade Gottes abhängig ist wie jedes andere
Gemeindeglied auch. - Jak 1, 12-18
Rev. 2014: Mt 4, 1-11 (Evangeliumslesung - s. Reihe I)Es ist schwer zu verstehen, warum Martin Luther diesen Brief nicht
mochte. Sicher finden wir hier eine Aussage, die dem Grundsatz "Allein aus Glauben" zu
widersprechen scheint, aber der Brief enthält doch vieles, was für das Leben eines Christenmenschen
von Bedeutung ist - eben auch diese Aussage, die in Zeiten, in denen man es sich vielleicht doch zu
leicht macht, wieder an Bedeutung gewinnt.
Der vorliegende Text befasst sich mit dem Thema der Versuchung. Zunächst einmal wird der selig
gepriesen, der die Anfechtung erduldet, denn nachdem er diese durchgestanden hat, wird er die Krone
des Lebens empfangen. Dass hier von einem Mann die Rede ist, soll uns nicht daran hindern, anstelle
dessen "Mensch" zu sagen, was ja auch in wenigstens einigen Handschriften zu lesen
ist.
Den Hauptteil der Perikope macht aber die Frage aus: Kann Gott versuchen? Die Antwort ist klar:
Nein. Die logische Schlussfolgerung, die sicher mancher dann ziehen möchte, ist: der Böse, sprich
"Satan" oder "der Teufel". Aber weit gefehlt: Jakobus weiß schon, was der
Christenheit dann doch erst nach Jahrhunderten bewusst wurde: ein jeder, der versucht wird, wird
von seinen eigenen Begierden gereizt und gelockt. (Vers 14) Der folgende Vers will wohl zum
Ausdruck bringen, dass dann, wenn wir dieser Begierde nachgeben, wir zu Sündern werden und folglich
den Tod erleiden, der keine Hoffnung kennt.
Das Wichtigste aber ist doch die Feststellung, dass
Gott eben nicht die Menschen versucht, und darum bekräftigt Jakobus es hier noch einmal: Von Gott,
dem Vater des Lichts, kommt nur das Gute (Vers 17).
Der Schwerpunkt des Textes liegt
offensichtlich auf der Aussage, dass Gott uns nicht versucht, sondern wir selbst. Wenn wir also
einer Anfechtung widerstehen, dann widerstehen wir im Grunde nur uns selbst. So schwer dürfte
das nicht fallen - vor allem nimmt es uns das Argument, jemand anderes sei für unser Handeln
verantwortlich. Wir können für die Fehler, die wir machen, nicht andere, schon gar nicht ominöse
Größen wie den "Teufel" oder "Versucher", verantwortlich machen, sondern
müssen die Ursache bei uns suchen. Damit wird die Tatsache ernst genommen, dass Gott uns
schöpfungsgemäß die Fähigkeiten mitgegeben hat, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden und
entsprechend uns für das eine oder das andere zu entscheiden. Es liegt in unserer Hand. Was aber
Gott angeht, so können wir von ihm nur Gutes erwarten.
Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ist eindeutig. Es geht um die Versuchung.
Die Predigt sollte deutlich machen, dass Versuchung nicht von außen kommt, sondern aus uns
heraus. Es gibt viele Menschen, in jeder Gemeinde, die sich aber zu schwach fühlen, der
Versuchung zu widerstehen. Denen - und natürlich auch denen, die sich für standfest halten
(denn sie sind oft der Versuchung der Selbstüberschätzung erlegen) - sollte natürlich auch die
Zusage gemacht werden, dass sich Gott allen zuwendet, die ihn suchen und die sich bemühen, auch
wenn sie nicht die Anforderungen, die hier gestellt werden, erfüllen können. Denn eben, von Gott
kommt alles Gute, und von ihm können wir auch die Hilfe erwarten, die wir brauchen, um uns von
uns selbst zu befreien.
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