das Kirchenjahr

Quinquagesimae

Estomihi

Der Weg zum Kreuz

Predigtanregungen

Der Name des Sonntags leitet sich vom Beginn der lateinischen Antiphon ab: esto mihi in lapidem fortissimum et in domum munitam ut salves me (Ps 31, 3b; deutsch s. unten, die wörtlich übersetzten Worte hervorgehoben).
Der Sonntag Estomihi oder Quinquagesimae (der Fünfzigste) beginnt nun, die Spannung wieder zu steigern, indem er auf das Leiden als einen wichtigen Bestandteil der Erlösung und der Nachfolge hinweist. Das Evangelium des Sonntags enthält zwei wichtige Aussagen: die Leidensankündigung Jesu und der Aufruf zur Nachfolge unter dem Kreuz: „Wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.” (Mk 8, 35b). Wichtig in dieser Woche ist, dass die Fastenzeit am Aschermittwoch beginnt. In manchen Gegenden ist der Karneval jetzt im vollen Schwung, was sicher auch im kirchlichen Geschehen ein Echo finden kann.

Zu den Perikopen

  • I: Lk 10, 38-42

    Dieser Abschnitt gehört sicherlich zu den schwierigeren unserer Zeit. Maria und Marta, die beiden Schwestern, die beide dem Herrn zuhören wollen, nur: die eine tut es auch, während die andere die Arbeit sieht und sich daran macht, sie zu erledigen. Jesus lobt ausdrücklich Maria, die sich „das gute Teil erwählt” hat, nämlich, Jesus zu Füßen zu sitzen und ihm zuzuhören. Gleichzeitig läßt sie Marta sich abschuften.
    Man fragt sich, wie Marta auf diese Worte Jesu reagierte. Wurde sie ärgerlich? Begann sie einen Streit mit Jesus? Oder setzte sie sich spontan hin, weil sie nicht noch mehr vom „guten Teil” verpassen wollte? Von unserer Perspektive aus ist Jesu Verhalten schwer zu verstehen. Die Dienstbereitschaft ist eine der wichtigsten Haltungen des Christentums, die eigentlich durch nichts übertroffen wird: die Hingabe im Dienst, die manchmal bis zur Selbstaufgabe gesteigert wurde, ist über die Jahrhunderte zum großen christlichen Ideal geworden.
    Gewiss kann man die tadelnden Worte Jesu nicht als letztgültige Aussage hinstellen: nichts ist so wichtig wie Gottes Wort (Jesu Wort) hören. Man muss wohl diese Worte im Kontext der Bedürftigkeit sehen. Wenn Menschen in Not sind, was brauchen sie? In diesem Fall wäre vermutlich Zeit gewesen, die Hausarbeit später zu machen. Da Jesus nun mal nur begrenzte Zeit im Haus war, entschied sich Maria, diese Zeit voll und ganz auszunutzen, und nicht den größeren Teil der Zeit mit der Hausarbeit zu verbringen. Sie macht sich wohl kaum schuldig, Marta die Hausarbeit alleine zu überlassen, denn ebensogut hätte Marta das gleiche tun können. Sie aber möchte dem Herrn ein schönes, gutes Essen bereiten, sie möchte es ihm bequem machen, wie es auch in der Perikope zum Ausdruck kommt, und ärgert sich im Stillen über Maria, die Jesus fast ganz für sich hat. Das führt zur Beschwerde. Im Grunde ist es nicht das Dienen, worum es bei der Beschwerde geht, sondern die Fairness: Marta möchte wie Maria Jesus genießen, aber ihre Prioritäten sind anders gesetzt, und deswegen kann sie es nicht. Sie möchte gerne, dass Maria die Prioritäten so wie sie selbst setzt.
    Kirchenjahreszeitliche Einordnung: Dieser Text ist, zumindest auf den ersten Blick, schwer in den Kontext des Kirchenjahres einzufügen. Er scheint wenig mit dem „Weg zum Kreuz” zu tun zu haben. Wenn wir allerdings das Evangelium unter dem Aspekt dieser Perikope betrachten, fällt auf, dass dort das Dienen bis zur Sebstaufgabe im Vordergrund steht, während es hier ja in den Hintergrund rückt. Der Text kann daher eigentlich nur als gewollter Kontrast zu einer zu sehr auf Selbstaufgabe ausgerichteten „Nachfolgetheologie” verstanden werden. Nachfolge, in der man „sein Leben hingibt”, kann nur dann wirklich fruchtbar sein, wenn man sich von Jesus selbst dazu bereiten läßt, indem man sich die Zeit nimmt, auf Jesus zu hören. Martas Eifrigkeit wird hier vielleicht mißbraucht, denn die Geschichte steht ja nicht im Kontext des Evangeliums von Markus 8. Da die Lesung des Evangeliums aber im Gottesdienst auf jeden Fall erfolgt (hoffe ich), steht dieser Text zumindest im Zusammenhang des Gottesdienstes. Es ist wichtig, dass dieser Zusammenhang herausgestellt wird, vielleicht dadurch, dass man Jesus eben diese Worte zu Maria sagen läßt: „Wer sein Leben erhalten will, der wird's verlieren. Wer es aber verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird's erhalten.” (Mk 8, 35)
    Wichtig ist, gerade in unserer Zeit, darauf hinzuweisen, dass ein Leben allein des Hörens nicht ausreicht.

  • II: Lk 18, 31-43

    Die Auswahl dieses Predigttextes erscheint merkwürdig, stehen hier doch die Leidensankündigung und eine Wunderheilung zusammenhanglos nebeneinander.
    Die Leidensankündigung enthält auch den Hinweis darauf, dass der Menschensohn wieder auferstehen wird. Von den anderen zwei Leidensankündigungen in Kapitel 9 unterscheidet sich diese darin, dass Jesus den „Heiden” überantwortet wird (1. Leidensankündigung: „den Ältesten, Hohepriestern und Schriftgelehrten”, 2. Leidensankündigung den „Menschen”.) Die zweite Leidensankündigung ist äußerst knapp und lässt den Hinweis auf die Auferstehung vermissen. Die erste unterscheidet sich kaum von der 3. Ankündigung. Von daher ist es wohl beachtenswert, dass hier von den „Heiden” die Rede ist. Es wird nicht ganz klar, wer mit „Heiden” gemeint ist. Aus dem Blickwinkel jüdischer Theologie waren es alle Nicht-Juden, also auch und vor allem die Römer, denen Jesus ja auch überantwortet wurde. Wenn der Begriff „Heiden” als Hinweis auf die Römer zu verstehen ist, dann wäre hiermit der sonst ja immer gerne gebrauchte Sündenbock, nämlich die Pharisäer und Schriftgelehrten, nicht mehr so ohne weiteres zu gebrauchen, und unser Reden über diese Gruppen von Menschen muss vielleicht überprüft werden. Jedenfalls sollte man bei der Predigt es tunlichst vermeiden, diese Gruppen in irgendweiser Weise negativ herauszustellen.
    Die Heilung des Blinden hat damit herzlich wenig zu tun. Jesus hat offensichtlich einen etwas längeren Weg zurückgelegt (zuvor war er auf dem Weg nach Jerusalem in Samaria und Galiläa: Lk 17,11). Dieser Blinde, nachdem er die Ursache der Unruhe erforscht hatte, stürzt sich förmlich auf Jesus, indem er ihn anruft: „Jesus, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!” Er weiß nicht genau, wo Jesus ist, nur dass sich dieser gerade auf dem Weg vor ihm befindet. Denn die Menge ist zu laut, als dass er die Stimme Jesu erkennen könnte, die er zuvor ja ohnehin noch nie gehört hatte.
    Die Menschen stellen sich zwischen ihn und Jesus, warum, ist nicht ersichtlich. Warum sollte dieser Blinde nicht Jesus um Hilfe bitten? Ist es Neid, der diese Menschen treibt? War Jesus gerade dabei, ein wichtiges Thema zu erörtern, und wollten sie dabei jede Störung vermeiden? Jedenfalls ruft der Blinde umso lauter, und Jesus hört ihn und ruft ihn zu sich, denn wer sich Gott zuwendet, wird nicht zurückgestoßen, es sei denn von Menschen, die glauben, Gott besser zu kennen. Die Heilung ist dann ausgesprochen unspektakulär. Der Wunsch des Blinden wird erfüllt, denn „Dein Glaube hat dir geholfen.” Merkwürdig, dass nun das Volk auch Gott lobt. Es ist fast, als wolle Lukas hier deutlich machen, wie wetterwendisch die Menschen doch sind, wenn sie einmal erkennen, dass sie einen Fehler gemacht haben. Es ist fast wie das Hosianna-Rufen beim Einzug in Jerusalem, dem das „Kreuzige” folgt. Nunr umgekehrt: einem Menschen wird der Zugang zu Gott verwehrt, doch Gott selbst wendet sich diesem Menschen zu. Es ist der Einzelne, der das Erbarmen Gottes erfährt, und nicht die Menge, denn der Glaube ist kein kollektives Ereignis. Er drückt sich nur im Wunsch nach Gemeinschaft aus, denn auch der Geheilte Blinde folgt nun Jesus.
    Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang wird vor allem bei der Leidensankündigung erkennbar. Jesus erzählt ja von seinem Weg zum Kreuz. Dankbar nehmen wir zur Kenntnis, dass es am Kreuz nicht endet, sondern dass die Auferstehung folgen wird.
    Aber auch die Heilung des Blinden gehört dazu, denn die Menge symbolisiert die Reaktion der Menschen auf diesen Leidensweg. Das Leiden ist ihnen fremd, sie wollen es aus ihrem Leben ausschließen, darum lassen sie den Blinden, der das Leiden, den Kreuzweg, symbolisiert, auch nicht an Jesus heran. Dabei werden Gottes Liebe und Barmherzigkeit erst dann sicht- und spürbar, wenn man sie im Leid erfährt. Der Blinde wendet sich mit seinem Leiden Gott zu und wird geheilt, er wird gewissermaßen zu einem neuen Leben auferweckt. Dies ist nur möglich, weil er das Leid erfuhr, das ihn letztlich dazu führte, sich allein auf den Glauben einzulassen. In der Predigt könnte die Bedeutung des Leidens erörtert werden: es hilft uns, unser Leben aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. Letztlich sind wir auf Gott angewiesen, denn das letzte Wort hat ja doch nicht die Medizin (oder jede andere Institution, die versucht, unserem Leben das Leid, in welcher Form es auch immer über uns kommt, zu nehmen), sondern Gott.

  • III: Jes 58, 1-9a

    Dieser Text kommt zum Teil (Verse 7-12) auch am Erntedankfest vor. Daher ist es sinnvoll, auf die Unterschiede zu achten, die sich vom kirchenjahreszeitlichen Zusammenhang her ergeben.
    Die Worte des Jesaja sind Worte des Gerichts. Gott verurteilt die Praxis des Fastens. Dabei verurteilt Gott nicht das Fasten an sich, sondern die Haltung der Fastenden zu Gott. Sie glauben, mit ihrem Fasten alles getan zu haben, was Gott von ihnen verlangt. Sie übersehen völlig, dass Gott Gerechtigkeit will. Wenn das Fasten nicht zur Gerechtigkeit führt, ist es eine überflüssige, ja verdammenswerte Aktion. Das Fasten verändert nicht die Herzen der Menschen zum Guten, sondern es scheint eher so zu sein, dass sich ihre Agressivität noch weiter steigert (Vers 4). Das Fasten, das zur Schau gestellt wird, damit man gesehen und beachtet wird, kann Gott nicht gefallen.
    Fasten geschieht, indem man auf Gewalt verzichtet, wenn man seine Macht nicht ausnutzt, um anderen zu schaden, sondern um zu helfen. Man selbst steht nicht im Mittelpunkt, sondern die Bedürftigen, die Hilfe brauchen. Recht üben ist Fasten. Dabei wird offenbar auf eine Situation innerhalb des Volkes Israel angespielt -es geht also nicht um Unterdrückung Fremder, sondern um Unterdrückung derer, die dem eigenen Volk angehören. Wenn man bereit wird, mit solchen das Brot zu brechen, sie zu kleiden und ihnen ein Dach über dem Kopf zu geben, dann fastet man so, wie Gott es will.
    Schön sind die Verse 8+9, die nun die positive Antwort Gottes verheißen: Dein Licht wird hervorbrechen wie die Morgenröte. Das bedeutet aber auch, dass jetzt das Volk im Dunkel lebt - eigentlich eine bedrückende Vorstellung. Deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen: nicht die frommen Faster, die es besonders gut geschafft haben, sich zu produzieren mit ihrem Fasten. Und wenn du nach Gott rufst, wird er hören - dann, wenn du das richtige Fasten befolgst.
    Die hier vorliegende Aufforderung zur Gerechtigkeit ist einmalig in ihrer Zeit, und auch heute aktuell. Fastenaktionen sind modern geworden, aber wo führen sie hin? Welchem Zweck dienen sie? Diese Frage darf man sicher auch stellen.
    Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ist nicht ganz offensichtlich, der Weg zum Kreuz scheint zunächst wenig mit dem Fasten zu tun zu haben. Aber natürlich ist das Fasten selbst ein Weg zum Kreuz, denn es macht uns die Qualität des Leidens bewusst und hilft uns, das Leid anderer zu erkennen und dann auch zu überwinden. Selbstverständlich ist dieser Weg zum Kreuz nicht vergleichbar mit dem Weg, den Jesus gegangen ist. Aber wir erfahren den Tod, den Jesus Christus für uns überwunden hat, oft als etwas leidvolles, und es fällt uns zunehmend schwerer, Leid anzunehmen. Darum ist Fasten eine gute Übung, um sich bewusst zu machen, dass das Leben nicht immer Honigschlecken ist.
    Die Predigt wird die Frage stellen, wo die Prioritäten unseres Lebens liegen. Wofür strengen wir ans an? Steht die Frage im Vordergrund, was wir von unserem Tun haben? Oder handeln wir mit der Frage im Hinterkopf, was andere davon haben? Eins ist bei allem bisher Gesagten ganz wichtig: Fasten - nach Jesaja - ist kein Passivum (Leiden), sondern ein Aktivum, eine Tat der Befreiung. So wie Jesaja es schildert, ist es eine starke Aktion, die mit Kraft und Willenseinsatz durchgeführt wird. Die predigende Person sollte versuchen, diese Stärke zu vermitteln. Denn in dem Handeln, das in Gottes Augen ein wohlgefälliges Fasten ist, kommt uns das Heil entgegen.

  • IV: Mk 8, 31-38

    Es ist dies die erste Leidensankündigung Jesu, auf die Petrus recht naiv reagiert, dann aber von Jesus agressiv zurückgewiesen wird. Die Anrede „Satan” muss Petrus zutiefst verunsichert haben. Vielleicht folgt deswegen dann die etwas ausführlichere Rede von der Nachfolge, die darlegt, dass Nachfolge eben auch bedeuten kann, dass man sein Leben aufgibt und durch Leiden hindurchgehen muss, um zur Vollendung zu gelangen.
    Der Einwand des Petrus könnte auch unser Einwand sein. Denn es ist immer wieder ein Problem: Der Gott, an den wir glauben, scheint von seiner Allmacht nicht sonderlich viel zu halten. Er setzt sie zumindest nicht ein - oder wenn, dann immer an der falschen Stelle. Es kann doch nicht angehen, dass ausgerechnet die ärmsten Länder jährlich von schrecklichen Naturkatastrophen überrollt werden, die tausenden Menschen das Leben kosten. Solche Fragen werden immer wieder gestellt, und hinter diesen Fragen steht die Erkenntnis, dass Gott seine Allmacht nicht oder falsch nutzt. Dabei wäre es so wichtig, dass er sie - nicht nur einmal - an der richtigen Stelle zum Einsatz bringt. Für den Frieden, z.B., indem er alle Massenvernichtungswaffen der Welt unschädlich macht sowie allen Menschen das Verlangen nach Frieden ins Herz pflanzt. Das wäre es doch!
    Oder wenigstens, dass es wieder solch einen Menschen gibt wie damals Jesus, der klar und deutlich sagt, was Sache ist, und die Menschen wieder auf den richtigen Weg weist. Aber damit wären wir auch wieder bei unserer Perikope: Hier ist dieser Mann, und alle erwarten von ihm genau das, was gerade dargelegt wurde, natürlich dem Kontext angepasst.
    Jesus erkennt dieses Verlangen und zeigt auf, worauf es ankommt. Der Messias wird das Böse nicht mit Bösem vernichten. Er wird sich dem Bösen in den Weg stellen - wobei all das Böse ist, das Leben vernichtet, so erfahren wir es im Evangelium - und dieses Böse so überwinden, obwohl ihn zunächst das Böse selbst überwinden wird. Aber weil er nicht selbst das Böse zum Einsatz bringt, kann es so nicht bleiben, das Böse kann nicht die Oberhand behalten. Er überwindet das, was das Leben vernichtet. Er überwindet das Böse mit seiner Liebe selbst für die, die ihm das Leben nehmen.
    Jesus ruft uns auf, diesem Beispiel zu folgen. Nimm dein Kreuz auf dich und trage es als einer, der Jesus nachfolgt. Die Nachfolge ist ein Nachfolgen unter dem Kreuz, im steten Bewusstsein, dass das Böse noch freie Hand hat und wir es nicht mit Bösem überwinden können bzw. dürfen. Wenn wir es täten, hätten wir das Kreuz schon abgelegt oder zu einer Waffe umgewandelt.
    Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang ergibt sich aus der Leidensankündigung, und er legt nahe, das Leiden des Kreuzes in den Vordergrund zu rücken. Dabei sollte man aber nicht vergessen und dies in der Predigt dann auch berücksichtigen, dass das Kreuz durch das Kreuz überwunden wird. Es bleibt nicht beim Leid, sondern das Leid wird überwunden
    In der Predigt könnte man versuchen, die aktuelle politische Situation mit aufzunehmen: der Starke, nach dem sich manche sehnen, scheint in Gestalt eines George W. Bush zu erscheinen, das Böse, gegen das er antritt, ist von ihm benannt. Der Predigttext spricht in gewisser Weise auch in diese Situation und warnt davor, das Kreuz zur Waffe zu machen. Der, dem wir folgen, hat das Kreuz auf sich genommen und nicht damit um sich geschlagen.

  • V: 1. Kor 13

    Das Hohelied der Liebe ist auch heute noch recht bekannt, wenn auch nur in Stücken. Meist ist der 13. Vers als Trauspruch beliebt. Darin zeigt sich allerdings nur, dass dieser Text weithin missverstanden wird. Denn es geht in erster Linie natürlich um die Liebe Gottes, oder, um die Worte des 1. Johannesbriefes ernst zu nehmen, um Gott selbst (1. Joh 4, 8).
    Für die Predigt ist es wichtig,dass dies auch erkennbar wird. Denn lieben kann jede/r. Und aus solcher Liebe heraus gute Werke tun, ebenfalls. Es gehört aber die Liebe Gottes zu unserem Handeln und Reden, ja, es gehört Gott selbst dazu. Ohne ihn ist alles, was wir tun, und sei es noch so fromm, doch nur Stückwerk und letztlich unnütz. Wir sind gerufen, durch unser Leben Zeugnis zu geben von der Liebe Gottes, durch die wir erlöst wurden von aller Sünde.
    Herausragend in dieser Perikope ist eigentlich die Mitte (Verse 4-7), in der die Liebe mit vielen (15) Attributen versehen wird. Manche davon sind leicht nachvollziehbar, wie z.B. Langmut und Freundlichkeit. Bei anderen müssten wir stutzen, wie etwa: „sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles...” - da könnte man auch sagen, dass die Liebe ausgesprochen naiv und sogar selbstzerstörerisch ist. Sie erträgt alles: Begründet eine solche Aussage nicht auch manches Leid? Manche Menschen nutzen diesen Aspekt der Liebe sogar bewusst aus und misshandeln ihre/n „Geliebten”, wobei auf Seiten der misshandelnden Person wohl kaum mehr von Liebe die Rede sein kann. Und muss man um der Liebe willen wirklich alles glauben? Seit einigen Jahren häufen sich die sogenannten Populisten, die ihre eigene Wahrheit haben und diese tatkräftig verbreiten, indem sie die sachlich begründbaren Wahrheiten, die ihren Behauptungen entgegenstehen, als Lüge bezeichnen. Muss man dann aus Liebe einfach glauben?
    M.E. wird in diesen fragwürdigen Attributen erst deutlich, dass hier von der Liebe Gottes die Rede ist und nicht von der Liebe zweier Menschen. Denn da Gott selbst die Wahrheit ist, hat er einen anderen Blick auf die Menschen als wir jemals haben könnten. Seine Liebe hat eine andere Perspektive, als menschliche Liebe jemals haben könnte. In diesen Worten offenbart sich vor allem die Bedingungslosigkeit der Liebe Gottes. Gott liebt auch Despoten und Populisten - so schwer es uns fällt, diese Tatsache anzunehmen. Es sei hier allerdings angemerkt, dass nach allem, was wir aus den Worten der Bibel lernen können, zur Liebe Gottes auch die Antwort des oder der Geliebten gehört, damit sie tatsächlich erlöst werden können. Mit anderen Worten: Gott Liebt jeden Menschen ohne Vorbehalt, aber solange diese Person die Liebe Gottes nicht annimmt, ist sie in sich gefangen und nicht frei, kann also auch nicht zu Gott gelangen. Wer allerdings die Liebe Gottes erkennt und annimmt, kann nicht anders als sein Leben so zu gestalten, dass durch sein Reden und Handeln die Liebe Gottes gewissermaßen reflektiert wird.
    Der letzte Vers ist nun allerdings für uns von besonderer Bedeutung, denn in ihm wird ein Dreiklang angeschlagen, in dem zwar die Liebe die größte ist, aber zu dem Glaube und Hoffnung ebenso gehören. Und das meint doch: an die Heilstat Gottes durch Jesus Christus glauben und darauf hoffen, dass wir dereinst mit Gott in seinem Reich vereint werden. Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang wird nur dann erkennbar, wenn man die Liebe, von der in 1. Kor 13 die Rede ist, als eine Beschreibung der Liebe Gottes versteht. Denn dann erkennt man auch die Bedeutung des Kreuzes (die Liebe erträgt und duldet alles): Jesus litt willentlich und ohne Widerstand, er ließ sich von denen, die die Liebe Gottes nicht erkannten, kreuzigen. Der Weg zum Kreuz ist ein Weg, in dem diese Liebe ihre Tragfähigkeit und Ausdauer (sie hört niemals auf, während die Liebe zwischen zwei Menschen nur allzu oft aufhört) beweist.

  • VI: Am 5, 21-24

    Wasser auf die Mühlen der unzähligen Gottesdienstschwänzer, könnte man fast meinen. Gottesdienste mag Gott nicht mehr, was soll er mit dem „Geplärr” unserer Lieder schon anfangen? Damit werden die, die unrecht behandelt werden, auch nicht besser gestellt. Ja, Heuchler sind es, die sich da regelmäßig zum Gottesdienst versammeln! Und denen soll man noch Gesellschaft leisten? Nein danke!
    Amos' Kritik ist sehr klar formuliert. Es ist aber überaus wichtig, sich der Adressaten dieser Kritik bewusst zu sein. Das sind nämlich nicht die, die vom Gottesdienst fernbleiben, sondern die, die ständig hingehen. Also rausreden können sich Gottesdienstschwänzer damit noch lange nicht.
    Auf der anderen Seite gibt dieser Text keinem das Recht, auf die mit Fingern zu zeigen, die nun regelmäßig den Gottesdienst besuchen. Denn über sie können und dürfen wir nicht richten - es liegt nicht in unserer Macht. Abgesehen davon ist vorauszusetzen, dass die Menschen, die in den Gottesdienst gehen, dies tun, um wirklich Gottes Nähe und Weisung zu erfahren.
    Der Text wendet sich ganz deutlich gegen die, die den Gottesdienst gebrauchen, um sich selbst zu rechttertigen. Die meinen, dass sie mit dem Gottesdienstbesuch ihr „Soll”, nämlich die Gebote Gottes, erfüllt haben. Weit gefehlt, sagt Amos: ich will Recht und Gerechtigkeit sehen, keine noch so kunstvoll gesungenen Lieder und inbrünstig gesprochenen Gebete hören. Denn das darf man schon vermuten: die Gottesdienste damals waren perfektioniert, sie „glänzten”, sie waren „prunkvoll”. Und dies ging, so scheint es, auf Kosten vieler anderer Menschen. Und das darf nicht sein. Dafür ist der Gottesdienst nicht da!
    Der kirchenjahreszeitliche Zusammenhang wird auf Anhieb nicht deutlich. Der Text scheint in keiner Weise in Bezug zu stehen zum Leiden und Sterben Jesu. Und doch tut er es. Denn Jesus hat sich so wie Amos gegen den oberflächlichen Gottesdienst, der zwar nach außen hin schön aussieht und sich auch gut anhört, aber innerlich hohl und leer ist, gewandt. Er hat mit seinem Leiden und Sterben einen Neuanfang ermöglicht, der aus der Liebe zum Nächsten heraus kommt und nicht aus dem Bedürfnis, Gott zu gefallen. Der Gottesdienst, das Opfer, von dem Amos redet, ist gleichsam richtig und vollkommen - und einmalig! - dargebracht durch Jesus Christus. Die Opfer der Menschen können immer nur unvollkommen sein und sind darum auch eigentlich nutzlos.
    Die Predigt kann durchaus schon das Wesen des Gottesdienstes noch einmal vor Augen führen. Es geht darin um das Suchen nach Wegweisung, nach dem Willen Gottes, und um die Stärkung für das Leben des Alltags. Genau das ist das Entscheidende: der Alltag. Gottesdienst geht darauf zu und ermutigt dazu, den Alltag nach dem Willen Gottes zu leben, und das heißt, um mit Amos zu reden: Recht wie Wasser strömen zu lassen und Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach.

  • Marginaltexte: Spr 1, 20-28
    Lk 8, 16-18
    Lk 23, 26-31

    folgt später



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